Wie gestaltungsarm beziehungsweise -unwillig die politischen (Groß-)Parteien mittlerweile in Österreich sind, lässt sich an den kommenden Bundespräsidentenwahlen ablesen: Zum ersten Mal seit 1986* steht keine einzige weibliche Kandidatin zur Wahl – und alle tun so, als ob dies völlig normal wäre.
Manche sagen jetzt: Es hat sich keine gemeldet (= Interesse gezeigt). Dieses Argument zieht vielleicht bei einer schlecht gelaufenen Ringelsockenverlosung. Kann aber wohl bei einer relevanten, politischen Wahl im 21. Jahrhundert keine Gültigkeit haben. Andere wiederum behaupten, es habe sich keine geeignete Kandidatin gefunden. Dabei muss man nicht lange nachdenken, um zum Beispiel auf die ehemalige Außenministerin und spätere Botschafterin Ursula Plassnik (ÖVP), die ehemalige EU-Staatssekretärin und spätere Industriemanagerin Brigitte Ederer oder die Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures (beide SPÖ) zu kommen. Man wolle niemanden „verbrennen“, ist auch so ein Argument, das in diesem Zusammenhang recht häufig zu hören war und ist – wobei dies auf zwei von den eben Genannten allein deshalb nicht zutrifft, weil sie nicht mehr politisch aktiv sind.
Bevor man anderswo zu sparen beginnt, pfeift man doch lieber auf die Sache mit den Frauen.
Wahrscheinlich hat das Ganze pragmatische Gründe: Die Wahlkampfkosten bei Bundespräsidentenwahlen werden nicht rückerstattet – bei einer der höchsten Parteiförderungen der Welt wohlgemerkt. Und bevor man anderswo zu sparen beginnt, pfeift man doch lieber auf die Sache mit den Frauen.
Wenn also demnächst in unserer Regierung oder bei der Opposition wieder einmal die Rede von Frauenpolitik ist, wird man sich an diese Bundespräsidentenwahl erinnern müssen. Und spätestens heute in einer Woche – am 9. Oktober 2022 – bekommen es die Österreicher*innen vorgeführt: Dieses Land ist nicht so modern, wie es gern vorgibt zu sein.
*Kandidatinnen bei österreichischen Bundespräsidentenwahlen
2016: Irmgard Griss
2010: Barbara Rosenkranz
2004: Benita Ferrero-Waldner
1998: Heide Schmidt und Gertraud Knoll
1992: Heide Schmidt
1986: Freda Meissner-Blau
1980 bis 1957: keine weiblichen Kandidaten
1951: Ludovica Hainisch