StartOpinion"Im Brennpunkt": Die Gratis-Leisterinnen

„Im Brennpunkt“: Die Gratis-Leisterinnen

Über den Equal Pay Day, weibliche „Unzuverlässigkeit“ und neue Hoffnung.

Wird sie, hat sie oder wird sie noch ein weiteres Mal – ein K-i-n-d bekommen? Wenn eine junge Frau sich um einen Job bewirbt, ist das das zentrale Element beim Screening. So direkt spricht das natürlich keiner aus. Erst einmal geht es nicht um ihre Ausbildung, ihre Bereitschaft zu Engagement, ihre sonstigen persönlichen Kompetenzen oder ihren Appetit an beruflicher Weiterentwicklung, sondern um ihren Status als Gebärfähige. Denn auch im fortgeschrittenen 21. Jahrhundert definiert der Arbeitsmarkt Frauen in erster Linie über ihre potenzielle, praktizierte oder „ergänzbare“ Mutterschaft. Erst an zweiter Stelle kommen all die Faktoren ins Spiel, die tatsächlich mit ihrer Arbeits-Kraft zu tun haben. Warum ich das schreibe? Weil heute der 30. Oktober ist, in Österreich der sogenannte Equal Pay Day – im EU-Durchschnitt fällt dieser Tag auf den 2. November. Konkret bedeutet das: Ab morgen arbeiten die österreichischen Frauen die verbleibenden 63 Tage bis Ende des Jahres gratis. Was aber hat das mit der Mutterschaft zu tun?

Ich würde meinen: Alles.

Weil berufstätige Frauen, die auch Mütter sein wollen, meist mit fehlender Unterstützung und mangelnder Betreuung durch Kindergärten und Schulen zu kämpfen haben. Aus diesem Grund gelten sie automatisch als „unzuverlässiger“ als männliche Arbeitnehmer. Dieser unterschwellige Vorwurf versetzt sie häufig in die Lage, sich dankbar zu fühlen, überhaupt einen Job zu bekommen. Aus dieser inneren, verunsicherten Haltung heraus bleiben gut ausgebildete Frauen oft unter ihren Möglichkeiten, leisten bereitwillig zusätzliche Gratis-Tätigkeiten. Oder sie arbeiten in einer grundsätzlich schwach bezahlten Branche. Dies alles trägt dazu bei, dass sich der Gap zwischen männlichem und weiblichem Einkommen in den vergangenen Jahrzehnten nur minimal verkleinert hat.

Dennoch konnte ich in jüngster Zeit einen kleinen Fortschritt beobachten: Gerade in den vergangenen Jahren ist das Bewusstsein für diese Ungerechtigkeit enorm gestiegen. Und längst erprobte Beispiele wie in Island oder Schweden zeigen, dass ihr im Grunde nicht so schwer beizukommen ist.

Lasst uns nicht länger nur von Home-Office oder Remote Work in Bezug auf Arbeitsplatzpräsenz sprechen, sondern von echtem Work-Life-Blend.

Indem zum Beispiel die ausgewogene Verteilung der Karenz in der Kernfamilie gefördert wird – denn überall dort, wo es einen fixen Anteil für Väter gibt, steigt auch die Väterkarenz an. Indem der Staat mehr Geld für eine qualitätsvolle Kinderbetreuung bereitstellt. Indem die Bezeichnung „Rabenmutter“, die meist im Zusammenhang mit der Berufstätigkeit von Frauen zu vernehmen ist, endlich aus unserem Vokabular verbannt wird. In Frankreich etwa, wo es seit den 1970-er Jahren eine großflächige Tagesbetreuung ab dem Kleinstkinderalter gibt, existiert dieses Wort gar nicht. Und indem wir, dem Verschmelzen von Arbeit und Leben, das seit Corona sowieso zu einem Dauerthema geworden ist, mehr Raum geben.

Also: Lasst uns nicht länger nur von Home-Office oder Remote Work in Bezug auf Arbeitsplatzpräsenz sprechen, sondern von echtem Work-Life-Blend.  Damit würde automatisch ein zweiter Missstand in Bewegung geraten: die unzähligen Stunden unbezahlter Hausarbeit, die Frauen als Partnerinnen und Ehefrauen im Laufe ihres Lebens erledigen – bestehend aus Tätigkeiten, für die sich Männer im Regelfall peripher bis gar nicht zuständig fühlen. Die Generationen Y und Z leisten bereits wertvolle Veränderungsarbeit. Es gibt sie also, die Hoffnung, dass nun endlich mal Tempo in die Diskussion rund um Gerechtigkeit und Gleichstellung kommt – sowohl wenn es um zu bezahlende als auch unbezahlte Arbeit geht.

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