StartBusiness„Geschlechtergerechtigkeit betrifft uns alle“

„Geschlechtergerechtigkeit betrifft uns alle“

Warum Gleichstellung der Geschlechter in Unternehmen und Gesellschaft uns alle betrifft und warum man für mehr Geschlechtergerechtigkeit auch mal nerven muss, darüber habt herCAREER mit Roos Huttemann, Head of Learning Design & Content Management beim Bildungsverlag Cornelsen, gesprochen.

Dieses Interview erschien am 12. Jänner 2022 auf www.her-career.com.

Roos, dir ist Gender Equality ein Anliegen. Warum?

Roos Huttemann: Wir haben in der Wirtschaft ein systemisches Problem: wir haben zu wenige Frauen in Führungspositionen. Ich finde das erschreckend, auch bei uns – deswegen freu ich mich, dass unser Unternehmen am Thema Geschlechtergerechtigkeit dran ist. Zwar ist ca. die Hälfte der Führungskräfte weiblich, doch auch bei uns nimmt der Frauenanteil ab, je höher man kommt. Auf C-Level ist eine von fünf Personen eine Frau. Es ist allen bewusst und klar, dass wir was machen müssen.

Wo siehst du die Stellschrauben für Veränderung hin zu mehr Gleichstellung?

Roos Huttemann: Das beruht zum Teil auf „Unconscious Biases“, also unbewussten Vorurteilen: Männer netzwerken eher mit Männern, stellen eher Männer ein. Das geht auch Frauen umgekehrt so, nur sind oft eben keine Frauen da, die man ganz oben befördern könnte. Das bewusst zu machen, hilft sehr. Ich merke aber auch, dass die Geschlechtergerechtigkeit eher als Frauenthema gesehen wird. Mir ist es wichtig klarzumachen, dass das Thema alle Geschlechter betrifft. Jede:r kann und sollte zu Geschlechtergerechtigkeit beitragen. Ohne die Männer geht es nicht, wir brauchen daher „Male Allyship“, also männliche Verbündete.

Wie können alle im Unternehmen zu mehr Geschlechtergerechtigkeit beitragen?

Roos Huttemann: Indem sie in ihrem Umfeld Bewusstsein für Diskriminierung schaffen. Ich mache das oft in Alltagssituationen und weise auf unbewusste Mechanismen hin – zum Beispiel wenn in einer großteils männlichen Runde die Frau weniger zu Wort kommt. Das ist oft für viele Männer ein Schock, weil sie noch nie darüber nachgedacht haben. Ich spreche solche Dinge also gegenüber meinen KollegInnen auf Führungsebene an, aber auch gegenüber der Geschäftsführung. Wir haben glücklicherweise so viel Offenheit in unserer Unternehmenskultur, dass dies meist auf Verständnis stößt. Früher habe ich mich oft nicht getraut: ich wollte nicht die nervige Feministin sein. Aber: man muss tatsächlich ein bisschen nerven, denn nur so entsteht Bewusstsein für das Thema und nur dann ändert sich was.

„Wir haben in der Wirtschaft ein systemisches Problem: wir haben zu wenige Frauen in Führungspositionen.“

Wie siehst du das Thema Frauenförderung?

Roos Huttemann: Ich habe ein Problem mit dem Begriff „Frauenförderung“: das unterstellt, wir Frauen schaffen es nicht alleine und müssen nach oben gepampert werden. Es geht nicht darum, dass männliche Führungskräfte halt auch mal so nett sind und auch Frauen einstellen – ich bin sowieso dafür, eher auf individuelle Stärken zu achten. Es geht allerdings um unternehmerisches und gesellschaftliches Denken: 50 Prozent der KundInnen weltweit sind weiblich, in unserem Fall sogar noch viel mehr. Deswegen müssen wir das ganz einfach in den Unternehmen abbilden. Hier haben wir als Bildungsverlag auch einen gesellschaftlichen Auftrag. Oft heißt es auf Seite der Unternehmen leider: klar brauchen wir mehr Frauen in Führungspositionen – aber wir kriegen’s nicht hin.

Die Frage ist: warum kriegen Unternehmen es nicht hin? Oft wird das Nicht-Finden von Frauen für Management-Positionen genannt. Müsste man sich da nicht mal fragen, warum die Frauen nicht wollen?

Roos Huttemann: Oft haben wir vor allem auf Führungsebene das Problem, dass die Arbeitszeiten nicht flexibel genug auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf abgestimmt sind.  Auch für mich als weibliche Führungskraft ist es so: es ist bequemer, jemanden in Vollzeit einzustellen als eine Teilzeitstelle zu vergeben. Hier muss man der eigenen Bequemlichkeit entgegenwirken. Das Problem ist: Wir wollen gern alles. Wir wollen keine Quote und so weitermachen wie immer, aber hoffen, dass auf mirakulöse Weise mehr Frauen in Führungsetagen kommen. Doch: Es muss ein bisschen weh tun – zum Beispiel, indem wir uns bewusst für größere Teams mit mehr Personen in Teilzeit entscheiden oder Jobsharing einführen. Das hilft letzten Endes allen. Auch Männern, um etwa Care-Arbeit zu übernehmen. Außerdem müssen wir uns tatsächlich fragen, warum Frauen manchmal tatsächlich nicht in bestimmte Führungspositionen streben. Was muss sich neben einer flexibleren Arbeitsweise noch ändern, damit der Job für Frauen attraktiv wird? Die Frage ist dann nicht, was muss sich an den Frauen ändern, sondern was muss sich an den Konditionen ändern.

In Schweden ist es üblich, dass das Leben vor der Arbeit kommt und es Meetings für alle ab 16 oder 17 Uhr nicht gibt. Wäre es hier nicht gut, auch die Vereinbarkeit von dem Frauenthema zu entkoppeln?

Roos Huttemann: Unbedingt. Die Spaltung zwischen Mann und Frau in Sachen Kinderbetreuung ist in der Pandemie schlimmer geworden. Laut Studien haben eher die Frauen die Kinderbetreuung und das Home Schooling auf sich genommen – etwa, weil der Mann besser verdient oder in seinem Job mehr Verantwortung hat. Das halte ich für problematisch und es ist an der Zeit, hier entgegenzuwirken. Bei Cornelsen durften die KollegInnen im Lockdown bis zu 20 Prozent der Arbeitszeit für die Kinderbetreuung oder Pflege nutzen. Wir haben auch sehr darauf geachtet, auch den Männern zu sagen, das gern zu nutzen. Denn: wenn die Kinder krank sind, nehmen oft die Frauen die Kinderkrankentage. Hier müssen wir generell als Führungskräfte – egal welchen Geschlechts – Vorbild sein und auch den Männern sagen: nimm den Partnerschaftsbonus, nimm Elternzeit oder den Kinderkrankentag.

Man hört auch umgekehrt oft von Männern, sie würden gern ihre Arbeitszeit reduzieren, trauen sich aber nicht, weil sie Einbußen in ihrer Karriere befürchten.

Roos Huttemann: Das höre ich immer wieder von Freunden. Bei uns im Unternehmen ist das zum Glück nicht so. In unserem Unternehmen gibt es eine große Offenheit, viele Männer nehmen Elternzeit oder den Partnerschaftsbonus. Sie fragen aber oft sehr zurückhaltend, ob das denn möglich wäre. Auch umgekehrt denken Frauen: wenn ich eine gute Mutter sein will, muss ich diejenige sein, die sich kümmert. Unternehmen sollen das ermöglichen, dass Eltern sich ihre Arbeit auch aufteilen – auch wenn es für das Unternehmen unbequem ist.

Für MitarbeiterInnen ist Teilzeitarbeit ja noch eher verbreitet, aber für Führungskräfte sind flexible Arbeitszeiten doch immer noch selten und auf C-Level kaum vorstellbar. Wie lässt sich das ändern?

Roos Huttemann: Indem wir das bewusst machen. Wir haben auf mittlerer Führungsebene einige MitarbeiterInnen in Teilzeit, das gilt immer noch als ungewöhnlich. Dann werden trotzdem freitags Meeting-Termine vereinbart, obwohl nicht alle arbeiten – einfach, weil man nicht daran denkt. Dieses Bewusstsein braucht es einfach noch. Wir müssen diese Automatismen loswerden, Termine um 18 Uhr oder freitags zu vereinbaren. Es hilft schon Kleinigkeiten zu ändern, wie Meetings nicht in  die Zeit zu legen, in denen Eltern ihre Kinder abholen müssen , damit sie nicht zur Kinderbetreuung hetzen müssen. Und ganz ehrlich, es tut uns allen gut, eine gesunde Work-Life Balance zu haben, unabhängig davon, ob man Kinder hat oder nicht.  Wir haben zum Beispiel auch eine neue Betriebsvereinbarung, die das mobile Arbeiten an fünf Tagen in der Woche ermöglicht. Auch die Kernarbeitszeiten haben wir aufgehoben: unsere MitarbeiterInnen können so flexibler arbeiten. Aber natürlich müssen wir uns alle mehr Mühe geben, Meetings auf die Zeiten zu legen, wo alle Beteiligten da sind.

Was hältst du von Frauenquoten?

Roos Huttemann: Ich würde mir wünschen, es bräuchte keine Quoten, aber: ich habe auch keinen Bock drauf, weitere 50 Jahre zu warten, bis es Geschlechtergerechtigkeit gibt. Anscheinend brauchen wir die Quote, um schneller eine Veränderung hinzukriegen.


Zur Person

Dr. Roos Hutteman studierte Psychologie an der Universität Utrecht und ging zunächst den klassischen wissenschaftlichen Weg mit einer Promotion an der Humboldt-Universität in Berlin und dem Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, einer Post-Doc Stelle an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und einer Assistenzprofessur für Entwicklungspsychologie an der Universität Utrecht. Ihre Begeisterung für Bildung führte sie 2015 zur gemeinnützigen Bildungsinitiative Teach First Deutschland, wo sie sich als Bereichsleiterin für Recruiting und Auswahl für mehr Bildungsgerechtigkeit im deutschen und internationalen Bildungssystem einsetzte. Seit 2019 arbeitet sie bei Cornelsen und leitet den Bereich Learning Design und Content Management. Gemeinsam mit ihren Teams evaluiert sie Lehr- und Lernbedarfe und beschäftigt sich mit der mediendidaktischen Gestaltung und datenlogischer Strukturierung von Bildungslösungen – damit alle Lernenden und Lehrenden ihr volles Potenzial entfalten können.

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