StartErfolg"Gemeinschaft ist der Treiber für den Konsum der Zukunft"

„Gemeinschaft ist der Treiber für den Konsum der Zukunft“

Immer mehr Menschen stellen den aktuellen Überkonsum infrage. Zukunftsforscherin Janine Seitz zeigt Im neuen Future:Guide: Der Konsum der Zukunft könnte gemeinschaftlich und sinnstiftend sein und somit Teil der Lösung. Wie Unternehmen diesen Trend umsetzen.

„Konsum der Zukunft schafft eine Wir-Kultur“ und „Co-Gesellschaft statt Hyperindividualisierung“ – so skizzieren Sie die Zukunft im neuen Future:Guide Konsum. Ist das derzeit nicht zu optimistisch?

Es ist kein blauäugiger Optimismus. Wir verstehen das vielmehr als eine logische Entwicklung, die sich aus dem ständigen Wechselspiel von Trends und Gegentrends ergibt. Wir sehen einerseits einen massiven Boom der Erlebnismärkte – Menschen investieren in gemeinsame Erfahrungen. Andererseits fühlen sich immer mehr Menschen, besonders die jüngere Generation, einsam. Genau hier erkennen wir die tiefe Sehnsucht nach Gemeinschaft. Die Digitalisierung, das ständige Vernetztsein, sorgt in diesem Kontext paradoxerweise oft für dieses Einsamkeitsgefühl, weil digitale Beziehungen eben echte menschliche Beziehungen nicht ersetzen können. Das ist genau das Spannungsfeld, aus dem sich die „Wir-Kultur“ entwickelt: Nicht trotz der Individualisierung oder Digitalisierung, sondern als Antwort darauf. Für Unternehmen liegt hier eine enorme Chance: Wer diese grundlegende menschliche Sehnsucht nach Gemeinschaft versteht und bedient, wird erfolgreich sein und einen positiven Beitrag leisten.

Wie kann ausgerechnet Konsum Teil der Lösung für eine bessere Zukunft werden?

Konsum ist erstmal nichts Schlechtes. Ganz im Gegenteil: Eigentlich konsumieren wir ja, weil wir denken, dass es uns dadurch besser geht. Aber das geht nicht mehr auf. Wir fühlen uns sogar schlechter – es ist wie ein Hamsterrad, in dem wir immer schneller rennen, aber nichts mehr für uns gewinnen. Hier heißt es Stopp zu sagen und sich zu besinnen: Was tut mir gut, was will und brauche ich wirklich? Diese Frage stellen sich aktuell immer mehr Menschen. Es ist ein Hinterfragen des Konsumzwangs, des Überkonsums. Klar ist: Kein Konsum ist keine Option. Aber Unternehmen können Angebote schaffen, die auf genau diese Bedürfnisse der Menschen einzahlen. Dahinter steht ein ganzheitliches Verständnis von Konsum: Konsum ist nicht nur dafür da, Profite zu erzeugen und die Wirtschaft am Laufen zu halten, sondern dem Individuum, der Gesellschaft und der Umwelt etwas zurückzugeben: Sei es durch echte Verbindung, soziale Gerechtigkeit oder Nachhaltigkeit.

Welche positiven Beispiele gibt es bereits?

Marken wie Ben & Jerry’s, Oatly oder Tony’s Chocolonely machen vor, wie Nachhaltigkeit frech, frisch und fröhlich kommuniziert werden kann. Sie verknüpfen Umweltbewusstsein und Leichtigkeit und zeigen, dass „gute Produkte“ Spaß machen können, während sie Schritt für Schritt die Welt ein bisschen besser machen. Online-Plattformen für Pre-owned Fashion boomen: So hat sich Vinted zum größten Modehändler in Frankreich gemausert – und sogar Amazon hinter sich gelassen.

Verkaufsorte werden zu Begegnungsorten – auch um sich vom E-Commerce abzuheben: So richten Supermärkte Plauderkassen ein oder bieten pinke Einkaufskörbe an, sogenannte Flirtkörbe, um Menschen miteinander ins Gespräch zu bringen. Initiativen wie The Offline Club richten sich gezielt an junge Menschen, um diese in der „realen Welt“ zusammenzubringen: So trifft man sich im Café, um sich zu unterhalten, gemeinsam Gesellschaftsspiele zu spielen oder auch nur, um in Gesellschaft ein Buch zu lesen – und das Ganze natürlich ohne Smartphone. Ein wunderbares Beispiel ist auch das Projekt Restaurant of Mistaken Orders aus Japan: Dort arbeiten demenzerkrankte Menschen als Kellner:innen, können somit am Alltag teilnehmen und sich mit anderen austauschen: Dass mal eine Bestellung vergessen oder verwechselt wird gehört einfach dazu.

Ist die Inflation eher ein Treiber für billigen Konsum oder für mehr Wertigkeit?

Sowohl als auch. So sehen wir, dass die Inflation zum einen Discounter wie Action und Billig-Plattformen wie Temu zu immensem Wachstum verhilft, insbesondere bei schnelllebigen Konsumgütern (FMCG) wird gespart. „Doch gleichzeitig treibt die Inflation – und das ist eine meiner zentralen Beobachtungen – den Konsum von gebrauchten Produkten massiv an. Verbraucher:innen sind auf der Suche nach erschwinglichen Produkten, die aber trotzdem eine gute Qualität haben. Deshalb boomen Secondhand-Plattformen und Vintage-Läden und auch die Flohmarktkultur erlebt eine Renaissance. Mehr als die Hälfte der Deutschen kaufen Secondhand-Produkte, inzwischen liegt der Umsatzanteil von Secondhand-Fashion bei knapp zehn Prozent am Bekleidungsmarkt.

Diese Entwicklung ist von großer Bedeutung, denn sie signalisiert: „Neu“ ist nicht länger das Nonplusultra. Dinge müssen nicht mehr fabrikneu sein; oft sind die älteren sogar die wertigeren. So schont der Kauf von Secondhand-Waren nicht nur den Geldbeutel, sondern vermittelt auch ein gutes Gefühl – sei es durch die nachhaltige Weiternutzung eines Produkts, die Freude über ein gelungenes Schnäppchen oder die Einzigartigkeit eines Vintage-Fundes.

„Die eigene Vision im Blick behalten“

Welche Rolle spielt Social Media?

Social Media fungiert aktuell vor allem als Beschleuniger des Konsums bzw. wird vor allem als Verkaufskanal genutzt, denken Sie nur an Influencer Marketing, Tiktok Shopping oder Live Commerce. Unternehmen nutzen diese Kanäle, um Produkte direkt und emotional zu platzieren, was oft zu Impulskäufen führt. Aber es gibt auch schon zahlreiche kritische Bewegungen: Defluencing kehrt die Prinzipien des Influencings um, indem Creator:innen Produkte und Trends ehrlich bewerten und hinterfragen – und im Zweifel auch vom Kauf abraten. Underconsumption Core ist ein weiterer Lifestyle-Trend, bei dem man seinen eigenen Antikonsum kommuniziert. Mehr und mehr Konsument:innen nutzen Social Media, um ihre Werte auszudrücken, übermäßigen Konsum zu hinterfragen und Authentizität einzufordern. Es geht um einen bewussteren Umgang und oft um die Ablehnung von Perfektionismus und Oberflächlichkeit.

An welchen Stellschrauben können Unternehmer:innen aus dem B2C-Bereich jetzt drehen, um sich zukunftssicher aufzustellen – gibt es „zukunftssicher“ überhaupt noch?

Die Sicherheit liegt in der Flexibilität und Resilienz. Also beispielsweise weg von Just-in-Time-Produktion, hin zur Option, einen Teil der Produktion auch lokal bzw. in Europa abwickeln zu können; also im Grunde immer einen Plan B, eine Alternative mitzudenken. In volatilen Zeiten, in denen von politischen Akteuren diese Unsicherheit noch geschürt wird, muss jedes Unternehmen diese Anpassungsfähigkeit künftig mitbringen. Zugleich dürfen sich Unternehmer:innen aber auch nicht von kurzfristigen Hypes beirren oder sich von den eigenen Werten abbringen lassen. Es braucht die langfristige Vision, das Ziel in der Ferne, zu dem zwar mehrere Wege führen, aber das man immer klar im Blick behalten muss – trotz aller Ablenkungen und Aufregungen.

Welche Treiber für den Konsum der Zukunft sehen Sie?

Haupttreiber sind die menschlichen Bedürfnisse. Sie bilden die Grundlage und die intrinsischen Motivatoren für alle Trends und Transformationen. Konsum ist letztlich der Versuch, diese Bedürfnisse zu stillen. Im Future:Guide haben wir dafür das Future:Needs-Modell entwickelt, das vier Bedürfnisfelder identifiziert, die den Wandel im Konsum maßgeblich vorantreiben: Sicherheit, Transzendenz, Autonomie und Verbundenheit. Sicherheit umfasst die elementaren Bedürfnisse, die der physischen und psychischen Unversehrtheit des Menschen dienen. In einer unsicheren Welt suchen Menschen nach Stabilität, Verlässlichkeit und Vertrauen. Im Konsum bedeutet das den Fokus auf Qualität, Beständigkeit, Transparenz und Angebote, die ein Gefühl von Geborgenheit oder auch finanzieller Absicherung vermitteln. Transzendenz geht über das Materielle hinaus. Es ist der Wunsch nach Sinnhaftigkeit, nach Beitrag zu etwas Größerem und nach Wachstum. Konsument:innen suchen nach Produkten und Marken, die Werte verkörpern, nachhaltig sind oder eine positive Wirkung auf sich und die Welt haben. Autonom und selbstbestimmt agieren zu können ist die Grundlage der Individualität. Im Konsum äußert sich das in dem Wunsch nach Personalisierung, Flexibilität und Produkten, die die Einzigartigkeit jedes Individuums unterstreichen. Trotz aller Individualisierung gibt es eine tiefe Sehnsucht nach Verbundenheit und Zugehörigkeit, die durch Angebote gestillt werden kann, die soziale Interaktion fördern und gemeinsame Erlebnisse schaffen.

Welche Konsumtrends sollten Entscheider:innen jetzt kennen und darauf reagieren?

Der Trend hin zum strategischen Konsum: Konsument:innen kaufen heute nicht mehr nur ein Produkt, sondern auch die Werte, die dahinterstehen. Ihre Kaufentscheidungen werden zunehmend von ihren Überzeugungen und sogar politischen Ansichten beeinflusst. Für Unternehmen heißt das: Zeigen Sie klare Kante! Ihre Haltung muss sich in Ihren Produkten, Services und Ihrer gesamten Firmenphilosophie widerspiegeln.

Der Trend zu einem freudvoll-nachhaltigen Konsum: Hier befreit sich Nachhaltigkeit vom Stigma der Schuld und ökologisches Handeln darf Spaß machen. Es gilt die positiven Aspekte von nachhaltigen Produkten und Services herauszustellen. Unternehmen sind gefordert, kreative Lösungen anzubieten, die den Kund:innen Freude bereiten und ein gutes Gefühl geben.

Der Trend zur Konsum-Community: Der Fokus verschiebt sich von individuellem Konsum hin zu gemeinschaftlichen Erlebnissen und geteilten Werten. Für Entscheider:innen heißt das: Community-Building ist das A und O. Es gilt, Plattformen zu schaffen, die den Austausch und die Zusammenarbeit ermöglichen oder Produkte und Dienstleistungen zu kreieren, die Menschen zusammenbringen.

Der Trend zur Consumer Empowerment: Konsumierende wollen sich einbringen, aktiv werden und mitgestalten. So sind sie nicht mehr nur passive Empfänger:innen von Produkten und Botschaften, sondern werden zu aktiven, informierten und einflussreichen Akteur:innen. Wer sie in Prozesse einbindet, ihre Stimme wertschätzt und sie an Lösungen teilhaben lässt, schafft sich treue Fans und ehrliche Partner:innen.


Über The Future:Project & die Autorin
The Future:Project ist ein Netzwerk für transformative Trend- und Zukunftsforschung. Die Zukunftsexpert:innen hinter dem Projekt unterstützen Menschen und Organisationen dabei, aktiv eine lebenswerte Zukunft mitzugestalten – durch neue Perspektiven, fundierte Analysen und inspirierende Impulse zu gesellschaftlichem und wirtschaftlichem Wandel.

Die Autorin des frisch erschienenen Future:Guide Konsum, Janine Seitz, ist Kulturanthropologin und seit über 15 Jahren in der Trend- und Zukunftsforschung tätig. Bis 2022 war sie in leitender Funktion beim Zukunftsinstitut tätig, seit 2023 arbeitet sie selbstständig als Zukunftsforscherin, Autorin und Impulsgeberin für zukunftsorientierte Unternehmen.

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