StartBalanceEva Muellers Sunday Artletter: wahr oder erfunden?

Eva Muellers Sunday Artletter: wahr oder erfunden?

Wir überlegen mittlerweile oft, wie wahr wohl eine Geschichte, eine Nachricht, eine Mitteilung wirklich ist. Woran lässt sich Wahrheit messen? Was ist ein Fakt? Gibt es objektiv feststellbare Ereignisse, die wir gemeinsam bestätigen können? Oder ist alles subjektiv?

Interessanterweise hatten frühere Generationen damit gar keine grossen Probleme. Geschichtsschreibung hiess, den oder die Herrscher:in in möglichst gutem Licht zu präsentieren, Jahreszahlen zu verfälschen, Begebenheiten einfach so zu erzählen, wie es ins Bild passte. Darüber klärten mich zum ersten Mal die Historiker der Ausstellung „Europas Mitte um 1000“ auf, die ich mit meiner Arbeit begleitete.

Der Künstler Walid Raad, bekannt auch durch seine Werke auf der documenta 11 und 13, spielt genau damit. In seiner Ausstellung in der Kunsthalle Mainz erzählt er Unglaubliches so glaubwürdig, dass wir zwischen wahr oder erfunden hin und her überlegen. Die aktuelle Diskussion um Denkmäler fragwürdiger Personen ist der Hintergrund für die Erzählung, dass im Bürgerkrieg Beiruts 1975 diese Monumente zerlegt worden wären, ohne Plan in Kisten verpackt und schliesslich eine libanesische Kuratorin die Puzzleteile neu zusammen fügte. Die sind nun in seiner Ausstellung zu sehen.

Gerade in Kriegszeiten erzählt natürlich jede Seite die Geschichte anders. Und real daran ist, sie wird ja auch je nach der persönlichen Situation erlebt. Daher beziehen sich seriöse Medien auf unabhängige Beobachter:innen – und Historiker:innen nehmen Augenzeugenberichte äusserst aufmerksam – und vergleichend – zur Kenntnis.

Walid Raads Interpretationen sind auf jeden Fall klug. Sie verweisen stets auf Wahres, das wir zuweilen nicht hören oder sehen wollen. Sie eröffnen, was gute Kunst auszeichnet – die wirkliche Wahrheit hinter den Dingen zu entdecken.

Einen wahrhaft guten Sonntag
wünscht Ihnen von Herzen Ihre Eva Mueller

P.S. Wenn Sie in der Umgebung von Mainz sind, nutzen Sie noch den heutigen Rundgang!


Abb. im Header: Installationsansicht: Walid Raad, I long to meet the masses once again_XVII, 2019; I long to meet the masses once again_XXIII, 2019; I long to meet the masses, 2017, Courtesy the artist and Sfeir-Semler Gallery, Beirut/Hamburg, Foto: Norbert Miguletz

Installationsansicht: Walid Raad, I long to meet the masses once again_XVII, 2019, Holz, 378 cm x 289 cm x 100cm, Courtesy the artist and Sfeir-Semler Gallery, Beirut/Hamburg; // Walid Raad, I long to meet the masses once again_XXIII, 2019, Holz, 401 cm x 126 cm x 100cm, Courtesy the artist and Sfeir-Semler Gallery, Beirut/Hamburg; // Walid Raad, I long to meet the masses, 2017, pigmentierter Inkjetdruck, 202 cm x 160 cm, Courtesy the artist and Sfeir-Semler Gallery, Beirut/Hamburg, Foto: Norbert Miguletz

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