StartBalance„Erst, wenn mittelmäßige Frauen in exzellente Positionen kommen, ist Gleichbehandlung da!“

„Erst, wenn mittelmäßige Frauen in exzellente Positionen kommen, ist Gleichbehandlung da!“

Kaja Otto ist Völva und Master Coach, Spiritual Feminist, Autorin, Ahnenheilerin – und überzeugt: Spiritualität ist essenziell für einen nachhaltigen Feminismus. Im Interview gibt Kaja Tipps für mehr Spiritualität im Alltag und im Arbeitsleben – und verrät, warum man die Gehaltsverhandlung nicht nach dem Kalender, sondern nach dem Zyklus planen sollte.

Dieses Interview erschien am 23. Februar 2022 auf www.her-career.com.

Spiritualität ist essenziell für einen nachhaltigen Feminismus, ist sich Kaja Otto sicher. Und zwar eine Spiritualität, die uns alle betrifft. Nach der wir uns nicht isoliert betrachten, sondern als Teil eines Ganzen. Nach der wir hinterfragen, wie wir uns selbst in der Welt verorten. Erst dann schaffen wir es hin zu einem neuen weiblichen Selbstbild, Body Freedom und Sisterhood. Denn auch wenn von vielen Seiten an patriarchalischen Strukturen gerüttelt wird, trauen sich Frauen nach wie vor nicht, ihre wahre Größe und Stärke zu zeigen. In ihrem neuen Buch „Spiritual Feminist“ zeigt die Autorin, wie dieser Change persönlich und auf kollektiver Ebene gelingen kann.

Kaja, du hast gerade ein Buch veröffentlich mit dem Titel Spiritual Feminist – was heißt das genau, und wo ist der Unterschied zum „normalen“ Feminismus?

Kaja Otto: Spiritual Feminism schließt eine weitere Ebene des Feminismus mit ein, die auch unseren Geist – also dem Spirit – betrifft. Da geht es nicht nur um Daten und Fakten, sondern darum, wie wir uns fühlen, wie wir gelernt haben, die Welt zu sehen. Wir dürfen uns nicht nur auf der irdischen, rechtlichen Ebene bewegen, sondern müssen auch nach innen schauen. Dann entdecken wir uns selbst als Frauen neu und werden merken, dass viele Narrative, die uns Jahrtausendelang eingetrichtert wurden, gar nicht stimmen.

Wie bist du selbst zum Thema Feminismus und zum spirituellen Feminismus gekommen?

Kaja Otto: Da gab es tatsächlich einen Schlüsselmoment. Ich hatte einen tollen Job, mein Chef wollte kürzertreten und viele Aufgaben abgeben. Das wäre mein Moment gewesen, ich war genau die Richtige dafür! Leider sah es der oberste Chef aber anders, und das ohne logische Erklärung. Dass ich die Position nicht bekommen habe, lag nur daran, dass ich eine Frau bin.

Und dann?

Kaja Otto: Dann habe ich gekündigt (lacht) und mich selbständig gemacht. Mit der Überzeugung: Es kann nicht sein, dass mir Männer vorgesetzt werden, die fachlich schlechter sind als ich. Und die hatte ich anfangs auch noch unterstützt und aufgefangen! Wieso supporte ich einen mittelmäßigen Mann, wenn ich selbst eine exzellente Frau bin – und bleibe trotzdem in der zweiten Reihe hängen? Von da an habe ich angefangen, Systeme zu hinterfragen, und auch bei mir selbst mehr hinein zu spüren, wie sich Dinge anfühlen, wie mein Körper reagiert, und welche Programme in mir ablaufen, die vielleicht gar nicht meine sind, sondern mit nur über Jahrtausende eingetrichtert wurden. Das war der Startschuss.

„Je weniger erschöpft wir sind, desto mehr Kraft können wir in den Job einbringen.“

Wie nützlich ist der spirituelle Blickwinkel in beruflicher Hinsicht – und wie kann er auch Frauen helfen, die mit Spiritualität vielleicht gar nicht so viel am Hut haben?

Kaja Otto: Spiritualität heißt nicht Religiosität. Spiritualität ist nichts Abgefahrenes, sondern heißt einfach, sich zu fragen, wie wir uns in der Welt verorten, wie wir mit ihr in Beziehung gehen. Und das betrifft jede Frau! Ein simples Beispiel: der Jahreskreis. Die Bäume lassen die Blätter fallen, die Tage werden kürzer, es wird kalt, der Bär zieht sich in seine Höhle zurück. Und wir? Geben Vollgas im Jahresendspurt! Wir benehmen uns vollkommen gegensätzlich zu allem anderen um uns herum! Wir sehen uns isoliert und nicht als Teil des Ganzen. Natürlich kann man deswegen nicht ab November alle Termine absagen oder Deadlines sausen lassen. Was man aber kann, ist den Druck rausnehmen, mehr in die Ruhe zu gehen, bewusst anfangen, den Rhythmus zu verändern, beim Sport nicht mehr Vollgas geben und nicht jeden Abend auf dem Weihnachtsmarkt präsent sein müssen. Große Dinge und gute Vorsätze ruhig erst im Februar angehen. Dann verändert sich die Energie, die uns zur Verfügung steht, wir haben viel mehr Kraft und sind nicht mehr so erschöpft. Und je weniger erschöpft wir sind – übrigens etwas, womit fast alle Frauen zu kämpfen haben – desto mehr Kraft können wir in den Job einbringen.

Und wie können wir Spiritualität in unser Arbeitsleben lassen?

Kaja Otto: Wir sollten zum Beispiel unseren Menstruationszyklus besser beobachten und einbeziehen. Auch, wenn wir da nicht gerne drüber reden: Es ist Fakt, dass wir viel besser verhandeln, wenn wir unseren Eisprung haben! Wir stoßen Pheromone aus, sind in einem Beziehungsmodus, können Männer anders auf unsere Seite ziehen, wir scheinen, wir leuchten. Auf der anderen Seite sollten wir weniger Meetings planen, wenn die Menstruation da ist. Mehr Kreatives zulassen, denn in dieser Zeit sind wir oft wahnsinnig kreativ, besonders offen – perfekt, um Visionen zu entwerfen und Projekte durchzudenken! Große Meetings, wichtige Präsentationen, die Gehaltsverhandlung – all das sollten wir nicht nur nach dem Kalender planen, sondern nach unserer geheimen Superkraft, mit der wir Dinge in einer nicht greifbaren Form bewegen können.

„Dem Patriarchen in uns können wir es sowieso als Frau nie rechtmachen.“

Oft sind wir viel zu gestresst und getrieben, um so tief in uns hineinzuhören… 

Kaja Otto: Das ist der innere Patriarch in uns, auch in uns Frauen! Wir sehen uns aus einem männlichen Blickwinkel, das wurde uns über Jahrtausende so beigebracht. Sobald wir anfangen, unser Verhalten zu ändern, meldet er sich zu Wort. Und redet uns ein: ‚Du kannst doch nicht im Homeoffice bleiben, nur weil du deine Tage hast!‘ Wir nehmen die Muster, die wir kennen, und übertragen sie auf alles andere. Aber diese Stimme in uns ist nicht die Wahrheit. Das ist nicht, wer wir sind, sondern wer wir sein sollen. Dem Patriarchen in uns können wir es sowieso als Frau nie rechtmachen. Sobald wir nicht mehr auf ihn hören und uns die Ruhepausen zugestehen, die uns der Zyklus, der Jahreskreis und übrigens auch der Mond erlaubt, wird seine Stimme leiser.

Ist der innere Patriarch auch derjenige, der uns einredet, dass wir uns etwas nicht zutrauen können und der Lippenstift fürs Büro zu Rot oder das Kleid zu kurz ist? Wie können wir uns darüber hinwegsetzen? 

Kaja Otto: Lieber unscheinbar sein, als zu sehr gesehen werden. Das ist oft ein uralter Schutzmechanismus. Wenn wir gerne das pinke Kleid tragen würden, aber unsere Kolleg*innen uns nur im dunkelblauen Hosenanzug kennen, macht es Sinn, die Veränderung in kleinen Schritten anzugehen: Einen knalligen Rock mit einem dezenteren Pulli, oder den roten Lippenstift mit der dunklen Hose. So lernen wir – und auch die anderen – nach und nach, dass unsere Optik nichts damit zu tun hat, was wir können. Das ist nur ein Narrativ, das uns eingeredet wurde! Kurz gesagt: Guck dir die Kleiderordnung an, aber setze sie so um, wie du das möchtest. Du sollst Blazer tragen? Schön, aber wer sagt, dass der nicht golden sein darf? Das geht übrigens auch super im Team: Statt Casual Friday gibts einen leuchtenden Donnerstag, wo alle die Farben anziehen, die sie sich sonst nicht trauen. Wir dürfen unsere Facetten ausleben, das ist doch eine Stärke.

Da muss ich an Ricarda Lang denken, die neue Vorsitzende der Grünen, die Kleider liebt, gerne bunt – und dann in den Sozialen Medien für ihr Aussehen kritisiert wird, von Frauen!

Kaja Otto: Wenn Frauen andere Frauen kritisieren, dann vertreten sie das Patriarchat. Frauen, die Ricarda Lang verurteilen, tun das, weil sie sich das, was sie macht, selbst nicht trauen. Weil sie etwas repräsentiert, das sie sich wünschen, aber sich nicht trauen. Sie ist der schwarze Schwan, von dem ich auch im Buch spreche. Der Beweis, dass etwas patriarchal Undenkbares existiert. Also zeigen sie mit dem Finger auf sie. Sie macht aber alles richtig, denn sie schafft es doch, alle Frauen zu bewegen.

„Wenn es um neue Jobs geht, empfehle ich persönlich immer nur Frauen bzw. nicht-männliche Personen weiter.“

Wie wichtig sind Communities und Frauennetzwerke für dich?

Kaja Otto: Wir bewegen uns anders in Räumen, in denen nur Frauen sind. Denn in dem Moment ist der Fokus auf die männliche Mittelmäßigkeit verschwunden (lacht). Da können wir sein, wer wir sind. Es ist wichtig, dass wir uns in diese Sisterhood begeben, die jenseits von Freundschaft existiert. In Businessnetzwerken erkennen wir, dass es was gibt, das größer ist als wir. Wir sorgen in solchen Netzwerken dafür, dass mehr Ausnahmen die Regel werden, dass es mehr schwarze Schwäne gibt, die herausstechen. Wir erleben, dass Dinge, von denen man uns eingeredet hat, sie lägen an uns, bei anderen auch so sind. Hier können sich Frauen gegenseitig unterstützen und sich in Positionen bringen, wo sie eklatant wichtig sind. Wenn es z.B. um neue Jobs geht, empfehle ich persönlich immer nur Frauen bzw. nicht-männliche Personen weiter.

Ist das Männern gegenüber nicht diskriminierend?

Kaja Otto: Diskriminierung entsteht nur bei einer Benachteiligung. Ich möchte die Balance wiederherstellen. Und die ist erst da, wenn mittelmäßige Frauen in exzellente Positionen kommen, das ist ja bisher nur umgekehrt so. Erst dann ist die Gleichbehandlung da. Und erst dann wird es unfair, keine Männer weiterzuempfehlen.

Was ist der wichtigste Tipp, den du uns allen als Spiritual Feminist für unser Berufsleben mit auf den Weg geben kannst?

Kaja Otto: Bleib dir selbst treu, hinterfrage alles, von dem gesagt wird, dass es so sein soll. Glaube niemandem, der dir sagt, dass du so bist oder so sein sollst, und sei dir bewusst, dass du diejenige sein kannst, die für alle Generationen nach dir den Weg verändert. Du musst nicht krampfhaft ein Rennen zu Ende laufen, weil du es angefangen hast. Lass zu, dass du Dinge lernst, dich veränderst. Wenn du vor kurzem noch Vorständin werden wolltest, und jetzt doch Aufsichtsrätin sein willst – go for it. Wir dürfen viel mehr in Spiralen tanzen.


Über Kaja Andrea Otto

Kaja Andrea Otto bezeichnet sich selbst als Spiritual Feminist und gehört zu einer neuen Generation von spirituellen Lehrerinnen: Sie setzt auf fundiertes weibliches Empowerment, das alte indigene Weisheit mit modernem Wissen kombiniert. Ihre Community erreicht sie mit dem eigenen „SoulWaveRadio“-Podcast, in Vorträgen, Seminaren und Gatherings. 2018 war Kaja Andrea Otto Top-10-Nominierte in der Kategorie „Frau der Stunde“ des EMOTION-Awards.

Im Herzen Europäerin, verbringt sie ihre Zeit in Hamburg und Lissabon, dem Teutoburger Wald und den Kanarischen Inseln. Wo auch immer Kaja Andrea Otto ist, liebt sie es bei einer Tasse Tee den alten Geschichten zu lauschen.

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