„Ich glaube, unser Bedürfnis zu gefallen rührt daher, dass wir abhängig sind.“
Du hast kürzlich das NDR-Drama “Du wolltest es auch” mit Maria Furtwängler in der Hauptrolle abgedreht, in dem es um eine Vergewaltigung und ihre Auswirkung auf das weitere Leben des Opfers geht. Wie geht es Dir nach so einem Dreh?
Ich habe wirklich gelitten. Das hat mich überrascht, denn ich habe das Thema gut reflektiert und spreche auch öffentlich über sexuelle Übergriffe, die mir passiert sind. Natürlich habe ich nicht ausschließlich die Vergewaltigung gedreht – aber ich hatte während des Drehs schwere Tage.
Du sagst, die Darstellung von Vergewaltigungen in Film und Fernsehen ist oft stereotyp: lautes Kreischen, viel Gewalt. Was war Dir als Regisseurin wichtig bei der Darstellung?
Vergewaltiger werden meist als Monster dargestellt, die aus dem Gebüsch hüpfen. Dabei kennen die Opfer in ganz vielen Fällen die Täter aus dem schulischen oder familiären Umfeld. Und sie sind oft gar nicht in der Lage, zu schreien. Wir müssten als Gesellschaft lernen, dass ein Nein reicht. Und es als Übergriff oder Vergewaltigung bezeichnen, wenn das Nein übergangen wird. So wie es im Gesetz steht, ist es bei weitem noch nicht in den Köpfen der Leute angekommen: “Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person (…) vornimmt, (…) wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.”
Kannst Du uns Deine Inszenierung im Film beschreiben?
Das darf ich leider noch nicht sagen.
Der Titel Deines Buches “Das ewige Ungenügend” meint, dass Frauenkörper nie genügen werden – egal, wie sehr sie sich vermeintlicher Perfektion annähern. Inwieweit ist es uns Frauen möglich, uns vom Wunsch zu gefallen freizumachen?
Ich glaube, unser Bedürfnis zu gefallen rührt daher, dass wir abhängig sind. Wir verdienen weniger Geld, haben dadurch schlechtere Renten, wir leisten mehr unbezahlte Arbeit, wir sind öfter in Teilzeit und öfter alleinerziehend. Das heißt auch, wir besitzen weniger. Unser materielles Wohlergehen ist also abhängig von anderen Menschen. Und wer abhängig ist, will gefallen. Deswegen müssen wir daran arbeiten, nicht mehr abhängig zu sein, und nicht daran, nicht mehr gefallen zu wollen.
Es geht also nicht um Äußerlichkeiten?
Innerfeministische Grabenkämpfe à la: Botox oder kein Botox? Nagellack oder kein Nagellack? sind meiner Meinung nach Augenwischerei in Anbetracht unserer wirklichen Probleme. Es ist nicht verwerflich, ein Interesse an Schönheit und Ästhetik zu haben. Aber auch hier brauchen wir Diversität, Wahlfreiheit und die Möglichkeit, unterschiedlichen Geschmäckern Raum zu geben.
Ein Ideal unserer Zeit ist es, möglichst dünn zu sein. Du beschreibst, wie Du lange unter Bulimie gelitten hast. Wie geht es Dir heute damit?
Ich glaube, Bulimie hat viel mehr mit einer psychischen Konstitution zu tun als mit dem Wunsch, dünn zu sein. Viel dreht sich um Kontrolle und Kontrollverlust – und den Körper zu bestrafen, weil er den Ansprüchen nicht genügt.
„Ich fürchte, es ist sehr schwer, Kinder vor der Welt zu schützen, aber man kann ihnen vielleicht ein paar Strategien mitgeben.“
Der Weg aus der Bulimie führt nicht zwangsweise über Selbstliebe, hast Du geschrieben. Wie hast Du Deinen Weg herausgefunden?
Es ist immer ein Zusammenspiel vieler Maßnahmen. Mir war es wichtig, therapeutisch begleitet zu werden und ein Umfeld zu haben, das informiert ist und einen auffängt. Es kann ein Selbsthilfe-Buch sein. Verhaltensmuster können wir ändern, es dauert nur eine Weile. Heute kenne ich die dahinter liegenden Prozesse besser und habe für mich andere Wege gefunden, mit Herausforderungen umzugehen. Trotzdem werde ich die Bulimie nie ganz los. Das ist wie bei einem trockenen Alkoholiker.
“Kinder wachsen mit dem Glauben auf, dass das Glück unter Fettpolstern liegt, die sie noch gar nicht haben” – Du hast selbst vier Kinder. Inwieweit kann man sie überhaupt schützen?
Ich fürchte, es ist sehr schwer, Kinder vor der Welt zu schützen, aber man kann ihnen vielleicht ein paar Strategien mitgeben, wie etwa das Setzen körperlicher Grenzen – ob es sich um ein unbequemes Kleidungsstück handelt oder das Küsschen von der Tante, oder das Angeschrien-Werden von den Eltern. Bodyshaming sollte unbedingt vermieden werden. Wenn es unsere Eltern nicht schaffen, uns vor Bodyshaming zu schützen, wie sollen wir es dann selber tun?
Kate Winslet sagte einmal, nach Preisverleihungen geht sie nach Hause, zieht sich eine bequeme Hose an und furzt erstmal. Wieso ist es wichtig, dass auch Hollywood-Schauspielerinnen sich gegen ein eindimensionales Frauenbild wehren?
Das ist sehr wichtig, denn diese Stars transportieren ja normalerweise die Vorstellung, dass es möglich wäre, perfekt zu sein.
Welches ist eine Frauenrolle, die Dich beeindruckt hat?
Wenn wir schon bei Kate Winslet sind: Ich war ein großer Fan der Miniserie “Mare of Easttown”. Winslet spielt eine Polizistin, die einen Mord aufklären will und mit dem allmählichen Zusammenbruch ihres Privatlebens zu kämpfen hat.
Du schreibst: “Mein Körper stört” – wie würde Deine Freiheit aussehen, würde Dein Körper nicht so viel Platz in Deinen Gedanken und Deinem Tun einnehmen?
Vermutlich hätte ich einfach mehr Zeit für andere Dinge. Manchmal laufe ich am Spiegel vorbei und denke mir: Eigentlich solltest du dir mal deine Haare kämmen. Dann habe ich aber Wichtigeres zu tun. Und das ist ein großer Freiheitsgewinn für den Moment.
„Es ist eigentlich fast egal, wie gut Du aussiehst, es wird nie reichen.“
Wer ein Bild von Dir sieht, könnte sagen: Was will sie eigentlich? Sie ist doch wunderschön.
Schönheit ist etwas sehr Subjektives. Es ist eigentlich fast egal, wie gut Du aussiehst, es wird nie reichen. Weil es immer eine Werbung geben wird, in der jemand noch weniger Cellulite hat. Gerade junge Menschen lassen die meisten Eingriffe vornehmen – wobei man meinen könnte, das Gegenteil wäre logisch. Oft ist es so, wenn wir unseren Platz noch nicht gefunden haben in der Welt, projizieren wir alles auf unseren Körper. Das Wichtigste, das ich über die Jahre gelernt habe, ist, dass mein Körper nicht von mir getrennt ist. Er ist mein Erfahrungsraum, das Instrument, mit dem ich diese Welt wahrnehme und erlebe. Er lässt mich fühlen, riechen, schmecken, lieben und leben. Und deshalb will ich ihn gut behandeln.
Du drehst und produzierst Filme, schreibst Bücher, kuratierst Ausstellungen und hast vier Kinder. Wie vereinbarst Du Dein Leben als Universalkünstlerin mit Deinem Familienleben?
Es ist eine immerwährende Zerreißprobe, aber solange man nicht zerrissen wird, geht es doch. Es geht eben nicht reibungslos. Es geht mit vielen Macken und Dingen, die liegen bleiben. Vielleicht könnte man ein aufgeräumteres Wohnzimmer haben. Mein Mann und ich sind beide berufstätig, wir sitzen nicht bei jedem Elternabend und ich gehe auch nicht zum Friseur.
Männliche Künstler werden sowas seltener gefragt. Findest Du die vorherige Frage gerechtfertigt?
Ich finde es wichtig, darüber zu sprechen, weil unbezahlte Arbeit gesamtgesellschaftlich ein großer Knackpunkt ist. Da geht es nicht nur um Kindererziehung, sondern auch um die Pflege von Angehörigen. Ich finde nur, dass Männer auch gefragt werden sollen, wie sie ihre Arbeit mit ihrem Privatleben vereinbaren.
Wie organisiert Ihr Euch zuhause konkret?
Unsere Kinder sind alle in der Schule. In den Ferien greifen wir auf die Großeltern zurück. Und ich bin sehr digitalaffin, wir arbeiten mit geteilten Kalendern.
Der Regisseur Klaus Lemke, der Dich entdeckte, riet Dir zur Abtreibung, als Du ihm von Deiner ersten Schwangerschaft berichtetest. “Ich sollte ein Star werden. Keine Mutter. Wir wollten schließlich Filme drehen. Ich denke, er meinte es gut mit mir und meiner Karriere.” Wie tief sitzen Vorurteile im Filmgeschäft, dass Mütter wenig zu gebrauchen sind?
Wir haben im Kreativbereich und in den Spitzenpositionen deutlich weniger Mütter im Vergleich zum gesellschaftlichen Durchschnitt. Das gilt aber wiederum nicht für Väter. Es ist also nicht so, dass diese Berufe nicht machbar wären, wenn man Kinder hat. Der Beruf ist nur leichter für Männer machbar, weil jemand anderes die Sorgearbeit übernimmt.
Mit welcher Haltung bist Du durch Deine Schwangerschaften gegangen?
Bei meiner ersten Schwangerschaft habe ich mir noch große Sorgen gemacht, aber die drei weiteren habe ich ganz offen kommuniziert und keine roten Teppiche gemieden. Mir ist zwar wichtig, dass meine Kinder nicht in der Öffentlichkeit stehen, aber jeder weiß, dass ich welche habe. Und das ist gut so.
„Das Schreiben hat mir geholfen, auch darüber hinaus mehr über diese Themen zu sprechen und offener zu sein.“
Hast Du das Gefühl, es hat sich etwas getan in Sachen Familienfreundlichkeit?
Es gibt heute gewiss ein neues Bewusstsein darüber, was Vaterschaft bedeuten kann. Aber wenn man sich die blanken Zahlen anschaut, beispielsweise der Männer, die in Elternzeit gehen und die unbezahlte Arbeit übernehmen, dann sind das immer noch erschreckend wenige. Als Familien und als Unternehmen müssen wir hier noch einen weiten Weg zusammen gehen.
Du schreibst in Deinem Buch mit einer radikalen Ehrlichkeit. Du schreibst persönlich über sexuelle Gewalt, über späte Orgasmen, über Unsicherheiten und Dickpicks. Was hat das Schreiben mit Dir gemacht?
Das Schreiben hat mir geholfen, auch darüber hinaus mehr über diese Themen zu sprechen und offener zu sein. Wenn uns die Worte fehlen und wenn wir uns schämen – etwa, wenn es um unsere Sexualität geht –, dann sprechen wir nicht über das, was uns bewegt. Und können nicht erfahren, dass wir nicht allein sind. Das größte Geschenk ist wohl, dass mir das Buch meine Scham genommen hat.
Du schenkst Deine Aufmerksamkeit Themen, die nicht als leichte Unterhaltung gelten. Kannst Du Dir vorstellen, einen Liebesfilm zu inszenieren?
Ich glaube, jede Geschichte ist eine Liebesgeschichte. Das ist der Grund, warum wir sie erzählen und warum wir sie hören wollen. Liebe ist das, was uns zum Weinen und zum Hassen bringt. Ich schreibe gerade an einem Drehbuch, das hoffentlich bald ein Liebesfilm wird – wenn auch keine klassische romantische Komödie.
Das Interview führte Julia Hägele.
Über die Person
Saralisa Volm, geboren 1985, ist Filmemacherin, Autorin und Kuratorin. Als Kunsthistorikerin lotet sie in ihrer Arbeit immer wieder die Grenzen zwischen Film, Text und bildender Kunst aus. Mitte der Nullerjahre wurde sie von Regisseur Klaus Lemke entdeckt. 2017 sorgte die von ihr produzierte Filmsatire »Fikkefuchs« mit Franz Rogowski für Aufsehen. 2022 war sie im preisgekrönten Kinofilm »Als Susan Sontag im Publikum saß« (Regie: RP Kahl) als Germaine Greer zu sehen. Bei diesem Film war sie auch als Drehbuchautorin beteiligt. Ihr Spielfilmdebüt als Regisseurin, »Schweigend steht der Wald«, feierte bei der Berlinale 2022 seine Premiere.
Der Beitrag ist Teil einer Content Kooperation von Sheconomy & herCAREER und wurde zuvor bereits auf www.her-career.com veröffentlicht.