„Moment of truth“ – das war nicht nur das Motto des diesjährigen Europäischen Forum Alpbach, es ist auch das, was Europa vielerorts in diesem Wahljahr erlebt. Momente der Wahrheit. Erst in Frankreich, jetzt in Deutschland. Beide Ergebnisse zeigen deutlichen Protest und die Absage an eine Politik, die es schon länger nicht mehr schafft, die Bevölkerung abzuholen. Anders will ich es nicht interpretieren. Ich mag nicht glauben, dass es tatsächlich so viele Menschen mit rechtsextremer Gesinnung gibt. Ende September sind Wahlen in Österreich und es schwant einem bereits Übles, wenn man einen Blick auf die wöchentlich veröffentlichten Sonntagsumfragen wirft.
In den idyllischen Tiroler Bergen lässt sich so ein „Moment der Wahrheit“ freilich angenehmer exerzieren als in den Niederungen des Alltags. Man befindet sich im Kreise offener junger Menschen sowie weltgewandter, engagierter Expert:innen. Dies und die schöne Natur öffnen die Herzen und lockern die Gedanken. Das sollte ehrlicherweise festgehalten werden.
Umso dankbarer bin ich, dass mir mein Beruf immer wieder solche Ausflüge ermöglicht. Die Abgeschiedenheit des Ortes sorgt dafür, dass man einen Gang herunterschaltet. Sich in eine Welt begibt, in der Verbindung geschaffen wird, zwischen dem, was unsere tägliche Routine ausmacht und den Ideen, die wir alle in uns tragen. Aus Zeitmangel werden diese wertvollen Schätze meist in irgendein Eck unseres Gehirns verbannt; schön, wenn sich diese hin und wieder bei etwas Frischluft entfalten können. So entsteht der Spirit solcher Orte. Sogar die österreichischen Spitzenpolitiker:innen fühlten sich bei der Abschlussdebatte „…zur Rolle Österreichs in Europas“ zu einer scharfen, gehaltvollen und teilweise witzigen Diskussion animiert. Im Fernsehen würde man sich das öfter wünschen, aber im TV-Studio erleben Politiker:innen eben nicht direkt ihr Publikum, ihren „Moment of truth“.
Zurück zu meinem „Wahrheits-Moment“. Im Rahmen eines mehrtägigen Hackatons* wurden acht visionäre Start-up-Gründer:innen mit zehn Expert:innen (u.a. mein Part) zusammengebracht. Unser Thema „Financial and Economic Literacy“ mit dem Fokus auf Frauen sollte von möglichst vielen Facetten beleuchtet und vorangetrieben und die besten Pitches prämiert werden. Und weil die schönsten Erkenntnisse nichts bringen, wenn man sie nicht mit anderen teilt, berichte ich hier von meinen zehn Top-Learnings:
#1 Es gibt nicht viel Unterschied zwischen dem Geldwissen von Frauen und Männern, allerdings den totalen Disadvantage von Frauen, wenn es um die Verteilung von Geld geht. Sagte immerhin der Aufsichtsratsvorsitzende der ERSTE Stiftung und Präsident des EFA, Andreas Treichl. Also ähnlich wie im Berufsleben: Wissen und Möglichkeiten gehen bei Frauen nicht Hand in Hand, bei Männern jedoch (meistens) schon.
#2 Start simple, be clear about the ask. Gestalte Deine Präsentation einfach und klar. Verliere Dich nicht in Details. Bereite Dich gut auf Fragerunden vor.
#3 Alte Silicon Valley-Weisheit: Fix the Problem and then try to solve it – mit dem Zusatz: How to improve the lives of one million people. Dient als gedankliche Grundlage, sodass man sich auf der Suche nach dem Problem auf einen Aspekt fokussiert, der möglichst viele Menschen betrifft und anspricht.
#4 Time matters – now is always right. Zeit spielt eine Rolle. Schiebe wichtige Entscheidungen/Handlungen nicht auf die lange Bank. Agiere jetzt.
#5 Fokussiere dich auf das, was du am besten kannst.
#6 Partnerships go beyond money. Solide Partnerschaften gehen über das reine Geldthema hinaus.
#7 Arbeite nicht mit Menschen, die dir/deiner Energie nicht guttun.
#8 Erinnere dich daran, wie du als 5-Jährige die Welt wahrgenommen hast und beziehe diesen offenen, neugierigen Blick in die Gegenwart mit ein.
#9 Wenn dich der Mut verlässt, versuche das verängstigte Kind in dir von der reellen Situation zu trennen. Möglicherweise ist der Druck dann gar nicht so schlimm.
#10 Wenn du zu Pitches oder Vorstellungsgesprächen eingeladen wirst, vergiss nicht: du bist hier, weil dein Gegenüber Interesse an deinem Projekt hat – und nicht um dich fertigzumachen.
So ein Ausflug in die Berge weitet manchmal ganz schön den Blick. Der „Moment of Truth“, der unser „Hackaton“-Team am stärksten verband, lautete aber: Sei dir deiner Geschichte bewusst und lass dir die Freude nicht nehmen! Auch wenn die Zeiten fordernd sind – ein Top-Motto für den Herbst.
* Der MEGA Hackaton wurde von der MEGA-Bildungsstiftung und der Liechtenstein Group organisiert und fand in diesem Jahr im Rahmen des Alpbach „LAB“ zum dritten Mal statt. Vom 27. bis 28. August erarbeiteten 8 Start-ups gemeinsam mit 10 Expert:innen Konzepte, tauschten Wissen und Erfahrung aus. Am Ende des Workshops fand im Rahmen der Großveranstaltung des EFA24 ein Pitch statt, bei dem zwei Gewinner:innen mit je 5.000 Euro prämiert wurden: Victor Neumann und Clara Lütkefeld von Invest it! sowie Claudia Prudic von Money Matters.