StartInnovationDie Stadt der Zukunft planen

Die Stadt der Zukunft planen

von Herta Scheidinger

How women innovate. Wie Architektinnen das Gesicht der Stadt mit ihrer Handschrift prägen und neue sowie alte Herausforderungen in der Architektur meistern.

Als die in Wien geborene Architektin Margarete Schütte-Lihotzky als eine der ersten Frauen in Wien Architektur studierte, drang sie in eine absolute Männerdomäne ein. Selbst ihr Vater und ihr Professor waren dagegen. „Sie haben gedacht, ich würde verhungern. 1916 konnte sich niemand vorstellen, dass man eine Frau damit beauftragt, ein Haus zu bauen – nicht einmal ich selbst“, erzählte sie später gerne. Doch wie sieht die Situation heute aus? Dass nicht jeder Architektin der Kampfgeist einer Margarete Schütte-Lihotzky beschieden ist, bestätigt Regina M. Lettner von der baukult ZT GmbH: „Es ist leider immer noch ein Dahintümpeln und man kann die Kolleginnen an einer Hand abzählen. Ich bin Alleingeschäftsführerin einer Zivilingenieur-Gesellschaft, da gibt es nicht viele, die die gleiche Rolle spielen wie ich. Die meisten Ziviltechnikerinnen mit aufrechter Befugnis arbeiten von zu Hause aus, 20 Stunden als Einzelunternehmerinnen.“ Es braucht also immer noch Kämpferinnen, um die Situation zu ändern. Eine neue Chance für ihre Kolleginnen sieht die Architektin Tiina Parkkinen vom finnisch-österreichischen Architekturbüro Berger+Parkkinen: „Es gibt jetzt einen Umbruch, weil sich die jüngere Generation von Architekturstudierenden und Architektinnen verstärkt zusammenschließt, sich organisiert und diese Probleme gemeinsam adressiert. Man arbeitet heute auch immer mehr in Teams, den einen kreativen Kopf gibt es immer weniger, das schafft für Frauen andere Möglichkeiten.“

Integrieren von Landschaft in Bauten

Dabei gibt es viel zu tun. Die Anforderungen und Wünsche der Kund*innen verändern sich. Nachhaltigkeit, Klimaschutz und die Umsetzung von Innovationen stehen im Mittelpunkt der Projekte. Vieles muss neu gedacht werden. „Es hat sich das Verhältnis zur Natur und zur Umwelt verändert und muss unbedingt einbezogen werden. Wir müssen eine neue Form finden, wie wir Architektur und unser Verhältnis zur Natur definieren“, erklärt Tiina Parkkinen, die – gemeinsam mit ihrem Mann, dem Architekten Alfred Berger – für das Paracelsus Bad & Kurhaus in Salzburg mit dem Staatspreis Architektur und Nachhaltigkeit 2021 ausgezeichnet wurde. In ihrer Arbeit ist der Bezug vom Gebauten zu seiner Umgebung ein zentrales Thema. „Wir integrieren gerne landschaftliche Elemente in unsere Gebäude und schaffen so eine angenehme Atmosphäre für die Bewohner*innen oder die Nutzer*innen“, so Parkkinen weiter.

Wir müssen eine neu Form finden, wie wir Architektur und unser Verhältnis zur Natur definieren.“

Tiina Parkkinen
Architekturbüro Berger+Parkkinen

Die Stadt neu denken

Und es wird Zeit, bei der Planung der Städte in vielen Belangen neue Konzepte zu erarbeiten und geplante Stadtviertel danach auszurichten. „Unsere Städte sind entstanden, weil vorwiegend Männer geplant haben, und die haben gemacht, was ihnen wichtig war. Nicht weil sie anders planen, sondern weil sie das umgesetzt haben, was ihnen ein Anliegen ist. Ich denke, wenn wir in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten mehr Frauen in der Planung gehabt hätten, dann würde es keine Straßenbahn mit einer Hürde von einem Meter geben, oder keine hohen Gehsteige. Weil Frauen diese Dinge anders sehen“, ist Regina M. Lettner überzeugt. Ein weiteres Thema für die Stadt der Zukunft ist die Bildung von Grätzeln, die von alleine funktionieren und die wichtigste Infrastruktur beinhalten. Vor allem bei der Planung von neuen Stadtvierteln werden diese Konzepte umgesetzt. So können viele Synergien genutzt und ein neues Gemeinschaftsgefühl gefördert werden. Bei bestehenden Gebäuden und Vierteln ist die Umsetzung allerdings schwierig, wie Lettner erklärt: „Es braucht einen anderen Zugang. Man müsste Höfe zusammenfassen und die Grundstücksmauern wegreißen, um in einem moderierten Prozess diese Grätzel- und Gemeinschaftsbildung zu schaffen. Die bestehenden Strukturen mit den kleinen Innenhöfen lassen das gar nicht zu. Das muss von der Stadt Wien gewollt sein und braucht innovative Leute zur Betreuung.“ Die Ziviltechnikerin betont, dass dies auch das Thema Energieautarkie betrifft, denn bei einem Gebäude alleine ist das oft nicht möglich. „Wenn ich aber eine Photovoltaikanlage beim Nachbarn unterbringen kann und bei meinem Gebäude eine Tiefenbohrung, dann haben ich mit dieser Gemeinschaft einen anderen Hebel. Das ist der Weg in die Zukunft.“

Mehr Gemeinschaft schaffen

Zukünftig werden soziale Nachhaltigkeit und die Förderung der sozialen Interaktion der Menschen bei der Planung mitgedacht, denn Menschen aus allen sozialen Schichten sollen angesprochen werden. Es geht generell um das soziale Gefüge einer Stadt, eine Ghettoisierung muss verhindert werden. So ist es für das soziale Zusammensein essenziell, Gemeinschaftsflächen und Meeting Places im Innen- und im Außenraum zu schaffen. Das haben schon viele Bauträger, vor allem in gemeinnützigen Bereich, verstanden. „Es ist für eine sozial gesunde Gesellschaft unumgänglich, diese Gemeinschaftsbereiche anzubieten. Es braucht auch generell Begrünung für die psychische Gesundheit – es wird oft unterschätzt, wie viel man hier mit guter Planung beitragen kann. Ich glaube, dass die nachfolgenden Generationen das vermehrt fordern werden, weil sie anders leben als wir“, ist Lettner überzeugt. „Wir haben einige Wohnbauten in diese Richtung umgesetzt, bei denen ganz gezielt auf diese Aspekte hin geplant wurde. Diese sind auch sehr erfolgreich, wie beispielsweise ein Holzwohnbauprojekt in Aspern. Oder jetzt ist aktuell ein Projekt in der Käthe-Dorsch-Gasse im 14. Bezirk in Realisierung. Das ist ein geförderter Wohnbau, und wir versuchen, möglichst große gemeinschaftliche Flächen im Innen- und Außenraum zu schaffen. Es gibt zwei große Terrassen auf den Dächern, wo die Bewohner zusammenkommen und verschiedene Aktivitäten gemeinsam durchführen können“, weiß auch Parkkinen um die Wichtigkeit der Förderung von Gemeinschaft.

Es braucht generell Begrünung für die physische Gesundheit – mit guter Planung kann man hier viel beitragen.“

Regine Lettner
Architekturbüro baukult ZT GmbH

Nachhaltigkeit

Der Markt wird sich auch durch die Vorgaben der EU weiter in Richtung Nachhaltigkeit bewegen. Das bedeutet aber auch, dass viele neue Vorschriften und Richtlinien umgesetzt werden. „Wir müssen hier experimentieren, denn wir müssen die neuesten Umwelt- und Baustandards in eine ästhetische Form bringen, das ist eine große Herausforderung. Für Architektinnen ist das eine spannende Aufgabe“, nimmt Parkkinen die Herausforderung gerne an. Auch das neue Schlagwort „Urban Mining“– also das Wiedergewinnen von Materialien, die in alten Gebäuden verbaut sind – gewinnt immer mehr an Bedeutung. Bei alten Zinshäusern sind nur Holz und Ziegel verbaut, die sehr einfach wiederverwendet werden können. Im Neubau ist es eine weitere Herausforderung, wie man die Wiederverwertung in Zukunft mit modernen Materialien schafft. Doch auch hier kann mit nachhaltigen Baumaterialien viel bewirkt werden. Einige Masterstudien an der Donau-Uni Krems zeigen: Die Kund*innen wünschen sich Holz und Ziegel als Rohbaustoff und Holzfaser oder Schafwolle als Dämmstoff. Manchmal führt der Weg in die Zukunft zurück zu den Wurzeln.


Wildes Wien

Er heißt nicht nur so – es ist auch einer: Auf einer Gesamtfläche von circa elf Hektar entsteht eines der interessantesten Bauprojekte im grünen Teil von Wien Meidling. Rund 2.300 Menschen werden hier, zwischen Benyastraße, Wildgartenallee und Emil-Behring-Weg, ab 2024 „mit der Natur nachbarschaftlich und doch urban“ wohnen. Es wird viel Wert gelegt auf halböffentliche Flächen, denn die Gemeinschaft steht hier im Fokus. Die Wohnobjekte selbst bestehen aus einer gut ausgewogenen Mischung aus Eigentum und Sozialbau (60:40). Mehr als die Hälfte der Flächen bleiben allerdings unversiegeltes Grün und Freiflächen. Dieser Grünraum soll in Folge von den Bewohner*innen gemeinschaftlich gestaltet werden. „Es ist ein Platz zum Wurzelnschlagen – nachbarschaftliches Leben in und mit der Natur. Der Wildgarten verbindet städtische und ländliche Qualitäten, ist Lebensraum für alle Generationen und bietet zahlreiche Grün- und Freiflächen als Begegnungs- und Rückzugsort auf einem autofreien Gelände“, zeigt sich Martina Hirsch von s Real begeistert vom Projekt.

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