Katharina Kerres ist die Geschäftsführerin der Restaurantkette dean&david in Wien, Cindy Luisser-Haller verantwortet das strategische und operative Marketing im Obst & Gemüse Großhandel Obsthaus. Wir haben uns mit den beiden Frauen getroffen und mit ihnen über die Zeit während und nach dem Lockdown gesprochen.
Hattet ihr nach dieser anstrengenden Zeit irgendwann Zeit kurz zu verschnaufen und Luft zu holen?
Katharina: Ich hatte ein paar verlängerte Wochenenden Urlaub, aber ansonsten ist es bei mir seit März schon sehr knackig durchgegangen. Es gab konstant viel zu tun, zusätzlich zum operativen Geschäft kamen Aufgaben dazu, die mit Corona in Verbindung standen. Also Gespräche zum Thema Kurzarbeit beispielsweise und Termine bei Banken. Grundsätzlich versuche ich aber, mir meine freien Zeiten immer so einzuteilen, dass Beruf und Privatleben getrennt bleiben. Wenn man selbstständig ist, kann das schon eine große Herausforderung sein. Nach drei Jahren bin ich aber schon ganz gut darin.
Cindy: Obwohl sich bei uns alle neuen Abläufe sehr schnell eingespielt haben, hatte ich wenig Zeit zu verschnaufen. Weil das normale Geschäft ja parallel weiterlief, hatten wir plötzlich zwei Segmente zu betreuen, wobei das eine wie ein Start-up begonnen hat. Wir haben innerhalb eines Wochenendes einen ganz neuen Bereich initiiert. Es ist also ein laufendes Agieren und Optimieren.
Mit der Unplanbarkeit umzugehen, war mit Sicherheit die große Herausforderung. Wenn ihr jetzt auf eure Karrierewege zurückblickt, war da immer alles geplant?
Cindy: Überhaupt nicht. Ich hatte nach der HAK-Matura eigentlich gar keinen konkreten Plan, wusste nur dass ich gerne in den Bereich der Naturwissenschaften gehen möchte. Also habe ich Technische Chemie und Umwelttechnik studiert. Nach knapp drei Jahren im Labor wurde mir aber zusehends klarer, dass ich mich auf Dauer nicht dort sehe. Ich glaube auch, dass es heute einfach nicht mehr so ist, dass man einen Job ein Leben lang macht. Es ist eine Reise und ein permanenter Entwicklungsprozess.
Katharina: Ich halte es für sehr wichtig, dass man sich möglichst viele Dinge anschaut. Ich habe viele Praktika gemacht, darunter auch manche, die nicht so viel mit meinem Studium zu tun hatten. Wann immer ich konnte, habe ich mit möglichst vielen Leuten gesprochen, sie nach ihrer Meinung und ihrem Rat gefragt.
War da auch ein Job oder Praktikum dabei, bei dem du dir jetzt denkst, dass du dir das lieber erspart hättest?
Katharina: Nein, eigentlich nicht. Ich habe bei jeder meiner Stationen etwas gelernt. Auch als ich einen Monat lang bei McDonald’s gearbeitet habe. Während meine Freunde ihre Zeit in Strandbädern verbracht haben, habe ich die Mülltonnen vor dem Restaurant geputzt. Das war schon hart. Trotzdem habe ich aus diesem Monat sehr viel mitgenommen – auch viele Dinge, die ich jetzt ganz gut gebrauchen kann.
Wie habt ihr auf die Verkündung des Lockdown im März reagiert. War da erstmal Schockstarre?
Cindy: Eigentlich ist genau das Gegenteil passiert. Der Lockdown hat sich ja auch langsam angekündigt. Wir haben damit gerechnet, dass so etwas passieren wird, weil wir es auch am Rückgang der Bestellungen gespürt haben. Da haben unsere Alarmglocken bereits geläutet. Kurz danach haben wir uns auch schon unsere Köpfe darüber zerbrochen, welche Maßnahmen wir setzen könnten. In dieser Phase hat sich für mich herausgestellt, dass ich in Krisenzeiten am besten funktioniere. An nur einem Wochenende haben wir eine Strategie ausgearbeitet und alles Notwendige aufgesetzt, am Montag ging es bereits los. Glücklicherweise haben unsere Obst- und Gemüsekisten wie eine Bombe eingeschlagen. Die drohende Krise war für uns ein Motor. Wir waren auch die ersten in unserer Branche, die die Idee mit den Kisten und der Zustellung hatten. Es war also eigentlich eine Start-up-Situation, in der »Trial and Error« eine große Rolle gespielt haben.
Du meintest gerade, dass du während dieser Zeit bemerkt hast, dass du in Krisensituationen am besten funktionierst. Hast du noch andere Dinge über dich selbst herausgefunden?
Cindy: Ich habe in der Zeit extrem viel über mich gelernt. Auch weil ich zu dieser Zeit eigentlich vorhatte, mich beruflich neu zu orientieren, mir dann aber sehr schnell klar wurde, dass strategisches Marketing doch meine große Stärke ist. Es war sozusagen ein Wink mit einem riesengroßen Zaunpfahl. Die Krise hat mich zurück zu meiner Kernkompetenz geführt.
War bei dir so etwas wie ein Ohnmachtsgefühl da, Katharina?
Katharina: Überhaupt nicht. Das ging auch gar nicht, weil sich die Umstände ständig geändert haben. Wir mussten permanent auf neue Dinge reagieren. Nachdem ja relativ schnell klar war, dass Lieferservice möglich ist, haben wir auch darauf sofort reagiert.
Hast du das Gefühl, dass du an der Situation persönlich gewachsen bist?
Katharina: Ich habe in dieser Ausnahmesituation sehr viel gelernt. Wir haben ja mehrere Betriebe in der Familie, wobei ich die Verantwortung über insgesamt vier Betriebe habe und mein Vater acht Betriebe leitet. Ich bin während dieser Krise zum Teil bewusst andere Weg gegangen als mein Vater. Mich für eigene Weg zu entscheiden, hat mich stärker gemacht. Jetzt bin ich stolz darauf, wie ich die Situation gemeistert habe.
Wie haben diese anderen Wege konkret ausgesehen?
Ich habe zum Beispiel alle Mitarbeiter*innen behalten, sie in Kurzarbeit geschickt, anstatt jemanden zu kündigen. Es war keine einfache Situation, weil man die Gehälter vorfinanzieren musste, aber ich habe daran geglaubt, dass es sich ausgeht.
Habt ihr eine Solidarität unter den UnternehmerInnen gespürt?
Cindy: Absolut. Mit dem Obsthaus waren sehr schnell auf allen möglichen Listen für die Onlinebestellung und Zustellung von regionalen Produkten. Aber es gab auch in der Branche selbst viel Kooperation. Wir hatten zum Beispiel das Problem, dass wir das Obst und Gemüse für die Kisten zwar hatten, uns aber die Logistik gefehlt hat, um diese auch ausliefern zu können. Per Zufall hat es sich dann ergeben, dass wir mit Haller Mobil kooperiert haben. Das hat super funktioniert.
Es wurde ja immer wieder proklamiert, dass sich Regionalität und Nachhaltigkeit durch die Krise stärker manifestiert haben. Glaubt ihr, dass es sich dabei um eine langfristige oder zumindest längerfristige Entwicklung handelt?
Cindy: Die Krise hat bewusst gemacht, dass es wichtig ist, regional und nachhaltig zu denken und es ist auch einiges passiert. Gleichzeitig haben wir aber auch gehört, dass Amazon Rekordzahlen verzeichnet hat. Ich glaube, dass es mehr braucht als drei Monate, um das Bewusstsein in einer Gesellschaft zu verändern – und damit auch das Konsumverhalten.
Was bräuchte es dafür?
Katharina: Ich glaube, dass dafür sehr viel auf politischer Ebene passieren muss. Ich war in der Vergangenheit schon öfter in der Schweiz, wo Betriebe kennzeichnen müssen, woher das Fleisch kommt. Wenn ich als Gast diese Info habe, kann ich auch eher nachvollziehen, dass es mehr kostet. Vorausgesetzt das Fleisch kommt von regionalen Bio-Betrieben.
Sprechen wir noch ganz kurz über Frauen in Führungspositionen. Warum kommen wir als Gesellschaft in diesem Bereich so langsam voran?
Cindy: Das ist ein sehr komplexes Thema, weil sehr viele Rädchen ineinander greifen. Ich bin für Quoten, weil von alleine einfach nicht genug passiert. Frauen müssen auch selbstbewusster werden. Außerdem sollte man Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass Frauen, nachdem sie Kinder bekommen haben, wieder schneller in den Job zurückkehren können.
Katharina: Ich bin immer wieder erstaunt, wenn es um das Thema Kinderbetreuung geht. Ich habe beispielsweise eine Mitarbeiterin, die bei mir im Service arbeite, die mir im Sommer gesagt hat, dass ihr Kindergarten den ganzen August über geschlossen ist und sie nicht weiß, wie sie das lösen soll. Außerdem würde es meiner Meinung nach Sinn machen, in der Schule Entrepreneurship als Pflichtfach einzuführen. Dann würde bestimmt bei vielen jungen Menschen die Hemmschwelle fallen.
»Umso wichtiger ist es, dass wir Frauen uns Dinge zutrauen. Und für uns selbst die Grenzen erweitern, also nicht darauf warten, dass es andere für uns tun.«
Hattet ihr schon einmal das Gefühl, dass eine Sache, die ihr euch vorgenommen habt, eventuell eine Nummer zu groß sein könnte?
Cindy: Ich habe mich in der Karenz selbstständig gemacht und war in meinem ganzen Leben insgesamt weniger als fünf Jahre angestellt. Gestaltungsfreiraum und Wachstumsmöglichkeiten sind für mich sehr wichtig. Zwischendurch gab es immer wieder Phasen, die etwas herausfordernder waren, aber irgendwie geht es immer. Es ist wichtig, dranzubleiben, den Mut nicht zu verlieren und sich durch schwierige Phasen durchzukämpfen. Ich bin da immer eher unkonventionelle Wege gegangen, vielleicht ist das aber auch eine Typfrage.
Darüber hinaus vielleicht auch eine Erziehungsfrage …
Cindy: Also ich war schon als Kind immer eine Rebellin (lacht)
Du hast vermutlich auch den Raum bekommen, eine Rebellin zu sein.
Cindy: Umso wichtiger ist es, dass wir Frauen uns Dinge zutrauen. Und für uns selbst die Grenzen erweitern, also nicht darauf warten, dass es andere für uns tun.
Was würdet ihr jungen Unternehmerinnen mit auf den Weg geben?
Katharina: Frauen sollten sich bewusster werden, dass wirklich jede und jeder nur mit Wasser kocht. Und sich trauen, Dinge einfach zu machen und zu probieren.