Ein Blick ins TV-Programm reicht und wir sehen, dass Männer – vor allem in politischen Diskussionsrunden – immer noch den Ton angeben. Worauf achten Sie, wenn Sie „Im Zentrum“ besetzen?
Claudia Reiterer: Sobald das Sendungsthema feststeht, gilt unser Blick den Diskussions-Achsen. Welche Positionen gibt es? Innerhalb der Redaktion überlegen wir, welche Person für welchen inhaltlichen Part unser Lieblingsgast wäre. Wir laden in der Regel die Menschen ein, die Verantwortung tragen. Diese kommen oft ungern, sie halten viel lieber Pressekonferenzen. Egal, wer letztlich in der Runde sitzt – alle sollen sich als A-Gäste empfinden. Seit dem Start von „Im Zentrum“ 2017 ist klar, dass Frauen bei uns dieselbe Rolle spielen wie Männer. Das Team arbeitet hart dafür, die Frauenquote zu heben; unsere Talksendung hat mit Abstand den höchsten Frauenanteil in Österreich. Ansonsten vergleiche ich die Zusammenstellung der Gäste gern mit der Komposition eines Musikstücks, das meist in vier, fünf Tagen fertig sein muss. Ein paar mal im Jahr passiert es sogar, dass ein fest gelegtes Thema wegen aktueller Ereignisse nicht stattfinden kann und wir sehr zügig Gäste ausladen und neue Gesprächspartnerinnen und -partner holen müssen.
Was macht eine gute Polit-Talk-Runde für Sie aus?
Wenn nach der Sendung auch nur eine Zuschauerin oder ein Zuschauer sagt „Ein Argument, das gefallen ist, ist für mich und meine nächste Diskussion schlagend“, dann war der Talk erfolgreich.
Ihr Tipp für Frauen, um im Rampenlicht zu sein?
Einfach ja sagen, wenn sie gefragt werden. Und zwar immer. Ich erlebe Frauen, die mir absagen möchten, weil sie befürchten, nicht genug Expertise zu haben. Deshalb habe ich mir angewöhnt sie zu bitten, mir jemand anderes zu empfehlen. Fällt der Name eines Mannes, bitte ich um die Empfehlung einer Frau. Dieses Nachdenken hat bei vielen Frauen etwas verändert und sie haben doch zugesagt. Geht es um Krieg, Sicherheit oder die Nato, dann gibt es Frauen mit Fachwissen. Wir müssen nur nach ihnen suchen. Denn nicht die Frauen sind dafür verantwortlich, in den Medien zu sein, sondern wir als Redaktionsteam. Im Fernsehen sichtbar zu sein hat – für Politikerinnen oder Wissenschaftlerinnen – Karrieren begründet. Auch deshalb ermutige ich Frauen, sich auf Bühnen zu trauen.
Sie leiten eine der großen politischen Diskussionsrunden im Land – als Frau. Was hat sich seit 2017 in ihrem Selbstbild getan?
Ich bin jeden Sonntag Schiedsrichterin und habe die gelebte Krisenkommunikation im Studio. Das ist wie bei einem Wiener Fußballderby zwischen Rapid und der Austria, das eine Frau pfeift. Es liegt in der DNA einer Sendung wie „Im Zentrum“, dass das Publikum mit der Hälfte der aus gewählten Gäste unzufrieden ist. Für meine Zuseherinnen und Zuseher greife ich als Schiedsrichterin zu spät, zu entschieden oder gar nicht ein. Dabei ist es so spannend für mich als Moderatorin, live Meinungen auszutarieren.
Ist Hass im Netz für Sie als Frau vor der Kamera Realität?
Ja, doch meine größte Kritikerin bin ich selbst. Es gibt eine Handvoll Sendungen, mit denen ich vollauf zufrieden bin und in denen die Diskussionskultur top war. Von Social Media halte ich mich 24 Stunden vor und nach einer Sendung fern, bei Duellen oder Elefantenrunden sogar 48 Stunden. Jedes Mal nach „Im Zentrum“ bekomme ich Hunderte Mails. Das Internet ist ein Raum, in dem Männer immer wieder versuchen, Frauen zum Schweigen zu bringen. Hier darf es zu keinem Rückschritt für unsere Hör- und Sichtbarkeit kommen, bei dem wir vielleicht zu spät merken, was ein solcher Backlash für Frauen bedeuten würde.