Von der Finanzbranche auf den Chefsessel einer Softwareschmiede für Technische Dokumentation, Konstruktion und Service – wie funktioniert das?
Als ich mich 2016 bei Docufy beworben habe, stimmte die Chemie zwischen dem damaligen CEO und mir sofort. Er wollte mich einstellen, und ich habe ihm auf die Frage, wo ich eines Tages hin möchte klar gesagt: Ich will auf Deinen Stuhl. Dafür hat er mich als Mentor bzw. Sponsor auch tatsächlich unterstützt. Ich habe mich wiederum auf den verschiedenen Positionen Finanzen, Vertrieb und Personal sowie Marketing bewährt, 2019 wurde ich dann als CFO Geschäftsführerin und 2022 CEO.
Gab es Vorbehalte gegenüber einer weiblichen CFO /CEO in diesem technisch geprägten Umfeld?
Ja und nein, Teile der Belegschaft waren zunächst etwas kritisch, und das galt auch für den ein oder anderen Kunden in der IT-Branche. Eine Frau Anfang 30, die sehr gut mit Zahlen umgehen kann, ohne IT-Ausbildung und Mutter ist, das gibt es in diesem Umfeld nicht so häufig. Aber der Rückhalt und das Vertrauen von oben, hoher Arbeitsinvest, ein hervorragendes Team und messbare Ergebnisse haben auch die Kritiker überzeugt. Ich sehe meine Aufgabe weniger im Verstehen von Codezeilen, sondern darin die Docufy im Großen und Ganzen nach vorne zu bringen.
Was reizt Sie an der Position?
Ich wollte schon immer etwas bewegen, das war auch in meinen bisherigen Jobs so. Ehrgeiz ist in mir tief verankert, ich gehe immer die „Extrameile“ und schaue auch immer über den „Tellerrand“ hinaus. Dazu möchte ich Menschen weiterbringen, das ist auch mein Ziel als Führungskraft. Verantwortung macht mir Spaß, ich muss sie aber nicht bis ins letzte Detail in der Hand haben.
Was bedeutet das für Ihren Führungsstil?
Mein Führungsstil baut stark auf Freiheit und Vertrauen gegenüber meinem Team auf. Das gilt beispielsweise auch beim Thema virtuelle Führung über Remote Tools. Das kommt mir sogar entgegen, denn so kann ich mir selbst viel mehr Freiräume nehmen, die ich für Reflexion, strategische Weiterentwicklung und Produktvisionen nutze.
Wo liegen für Sie die größten Herausforderungen?
Mit zusätzlichen Mitarbeitenden könnten wir weiter wachsen. Zudem ist das wirtschaftliche und technologische Umfeld aktuell extrem dynamisch, gerade beim Thema Künstliche Intelligenz ist die Geschwindigkeit und die Erwartungshaltung von außen enorm hoch.
Wie begegnen Sie dieser Herausforderung?
Wir haben ein großes Partnernetzwerk, in dem wir uns offen austauschen, ich spreche viel mit unseren Kunden und anderen Managementkolleg:innen, dazu natürlich mit unseren Entwickler:innen.
Was würden Sie anderen Frauen raten, die ebenfalls aufsteigen möchten?
Frauen verkaufen sich oft viel zu schlecht, die eigenen Erfolge zu vertreten ist jedoch wichtig – also ruhig mal ein bisschen „auf den Putz hauen“, aber dem eigenen Stil treu bleiben. An mir selbst habe ich außerdem bemerkt, dass ich kritische Themen noch viel klarer ansprechen möchte und auch muss. Das fällt mir trotz Psychologie-Hintergrund und DISC-Trainerausbildung noch immer nicht so leicht.
Gute Mentor:innen und Sponsor:innen sind ebenso wichtig. Vor allem aber sollten Frauen ihrem Bauchgefühl vertrauen und nicht immer genau das tun, was andere raten – denn letztlich muss man selbst für die Entscheidungen auch die Verantwortung tragen.
Docufy ist Hersteller professioneller Softwarelösungen zum Management von Produktinformationen und Produktwissen. Die Lösungen sind u.a. in der Automobilindustrie, im Maschinen- und Anlagenbau sowie in der Medizintechnik bei Konzernen und im Mittelstand im Einsatz. Im Sommer 2021 übernahm Elvaston Capital Management das Unternehmen in Bamberg. Nadine Prill (36) ist seit Oktober 2019 (CFO) von Docufy, seit 2022 CEO. Sie ist ausgebildete Bankkauffrau. Ihr Know-how komplettierte sie in nebenberuflichen Studiengängen an der Europäischen Fernhochschule in Hamburg, sie ist Master of Business Administration (Betriebswirtschaft und Wirtschaftspsychologie).
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