Die deutschsprachige Gründerlandschaft ist nicht besonders reich an reinen Frauenteams. In einem Artikel erklärt die erfolgreiche Gründerin Lea-Sophie Cramer unter welchen Bedingungen Veränderung stattfinden kann.
»Vor fünf Jahren dachte ich, 2020 würden wir schon weiter sein. Ich hatte mit einer Trendwende gerechnet. Stattdessen stagnieren die Zahlen«, schreibt Gründerin und Unternehmerin Lea-Sophie Cramer in einem auf der Plattform Linkedin publizierten Artikel und wirft damit zwei Sätze in einen Raum, der im Jahr 2020 schon sehr viel belebter sein könnte. Denn gerade wenn man das Thema Frauen und Wirtschaft in den Blick nimmt, so muss man feststellen, dass sich noch nicht ganz so viel tut wie Gesellschaft und Politik gerne munter herausposaunen. Die Amorelie-Gründerin bezieht sich hier allerdings nicht auf fehlende Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten, sondern konkret auf Unternehmensgründungen.
Nur vier Prozent aller seit 2008 in Deutschland gegründeten Start-ups wurden von reinen Frauenteams – und weitere 10 Prozent von Mixed-Teams – gegründet. Das bedeutet wiederum, dass 86 Prozent aller Start-ups von reinen Männerteams gegründet wurden. »Das ist nicht nur aus Gender-Equality-Perspektive eine absurde Zahl. Das birgt auch wirtschaftlich ein Problem, weil durch das ungenutzte Potenzial der Gründerinnen allein der deutschen Wirtschaft bis zu 150 Milliarden Euro verloren gehen. Wenn es so weiter geht, gibt es, so die Studie, erst 2139 Geschlechterparität – da bin ich vermutlich schon über 50 Jahre tot. Das möchte ich nicht akzeptieren«, erklärt Cramer in ihrem Artikel.
Sie belässt es jedoch nicht bei dieser schockierenden Feststellung, sondern schlägt auch gleich fünf konkrete Gegenmaßnahmen vor. Diese lauten:
_01. »Unternehmertum ins Uni-Curriculum und mehr Frauen in MINT-Fächer«
Cramer attestiert der gesamten deutschen Bildungslandschaft fehlenden Gründerspirit. Das ist allgemein ein Problem, wirkt sich aber bei Frauen noch negativer aus, weil sie in den MINT-Studiengängen, also in jenen Fächern, die häufiger Gründer*innen hervorbringen, klar unterrepräsentiert sind. Es wäre also wichtig, die Option, selbst zu gründen, in Schulen, FHs und Unternehmen stärker hervorzuheben. Auch um ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass nicht nur BWL-Absolvent*innen gründen können. Cramer erwähnt an dieser Stelle Delia Fischer, die Gründerin des erfolgreichen Online-Möbelhandels Westwing, die zuerst Mode studiert und danach als Journalistin gearbeitet hat. Andererseits sollte natürlich auch verstärkt darauf geachtet werden, dass auch junge Frauen und Mädchen Zugang zu den sogenannten MINT-Fächern finden.
_02. »Investoren müssen auf Unconscious Bias achten«
Laut einer aktuellen Studie flossen im Jahr 2019 nur 0,4 Prozent des Risikokapitals in Start-ups von rein weiblichen Gründerteams. Studien zeigen aber auch, dass nur von Frauen geführte Start-ups sehr häufig wirtschaftlich erfolgreicher sind. »Aber Frauen bekommen von Investoren andere Fragen gestellt als Männer: Sie werden unter anderem gefragt, wie sie das Scheitern verhindern wollen – Männer, wie ihr Startup wachsen soll«, so Cramer. Hinter solchen Unterschieden verstecken sich oft unbewusste Vorurteile – unconscious bias. »Mir selbst sind diese Vorurteile nicht begegnet, aber ich habe oft gesehen, dass die Business-Cases oder Pitches von Frauen weniger professionell waren. Anstatt sie gleich abzulehnen, recherchierte ich warum das auch bei sehr guten Ideen so war: meist weil ein persönliches Netzwerk zu Gründern fehlte, die schon erfolgreich Geld eingesammelt hatten und hätten helfen können. Venture-Capital-Fonds müssen sich den unterschiedlichen Startbedingungen bewusst sein und sich anstrengen, bei neuen Investitionsmöglichkeiten genauer hinzugucken«, fasst Cramer zusammen.
_03. »Vereinbarkeit für Mompreneurs verbessern«
Noch immer wird unsere Gesellschaft von der Gleichung bestimmt, dass Familie und Kinder in allererster Linie Frauensache sind. Zwar bahnt sich hier ganz langsam ein Umdenken an, die Gleichung scheint trotzdem immer noch ähnlich starke Gültigkeit zu haben wie der Satz von Pythagoras. Die Rahmenbedingungen für nachhaltige Veränderung müssen allerdings nicht von den Familien selbst, sondern von der Politik geschaffen werden. »Der bürokratische Aufwand für eine Betriebskita, wie ich sie mal in meiner Firma angedacht hatte, ist enorm«, so die Erfahrung von Cramer.
_04. »Weibliche Vorbilder sichtbarer machen«
Vorbilder und Rolemodels nehmen bei den Themen gesellschaftlicher Wandel und Veränderung der Gründerszene eine enorm wichtige Rolle ein. Und zwar sollten erfolgreiche Frauen nicht nur in den Medien, sondern auch bei Vorträgen und Panels sichtbar gemacht werden. Und die Aussage »wir haben einfach keine Expertin gefunden« darf jederzeit einfach wegargumentiert werden. Eine gute Argumentationsgrundlage liefert zum Beispiel das Netzwerk frauendomäne.
_05. »Stärkere Frauennetzwerke schaffen«
»Wir Gründerinnen müssen Kanäle finden, unser Wissen besser weiterzugeben – nicht nur in Eins-zu-eins-Treffen in Berlin, sondern skalierbar für ein breites Publikum. Mit unserer Erfahrung können wir das Gründen entmystifizieren. Und wir müssen auch untereinander netzwerken, um mehr Gender-Equality bei den großen Konzernen und in deren Kontrollgremien hinzukriegen«, so Cramer. Wer Fragen hat, sollte diese auch stellen dürfen. Frauennetzwerke schaffen ein hervorragendes Setting, um zu verhindern, dass sich etwaige Hemmschwellen zu unüberwindbaren Staumauern aufbauen. Denn diese niederzureißen würde vermutlich noch sehr viel länger als bis zum Jahr 2139 dauern.
Lea-Sophie Cramer wurde 1987 in Berlin geboren und gründete 2013 den Onlineshop Amorelie. Im Januar 2016 wurde Lea-Sophie Cramer vom US-amerikanischen Magazin Forbes in seine »30 unter 30 Europa“-Liste« und vom deutschen Wirtschaftsmagazin Capital in die Liste »Top 40 unter 40« aufgenommen. Sie ist Mutter von zwei Kindern.