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Anna Sophie Herken: „Auch Positives wurde erreicht“

Anna Sophie Herken weiß sich in der globalen Finanzbranche durchzusetzen. Im SHEconomy-Interview spricht Herken über die Zukunft der Vermögensverwaltung, Lehren aus der Pandemie und Sinnhaftigkeit einer Frauenquote.

Frau Herken, das Corona-Jahr hinterließ tiefe Spuren in der globalen Wirtschaft. Wie erlebten Sie das Jahr 2020 bei der Allianz Asset Management?

In erster Linie denke ich an die menschlichen Schicksale, die vielen Erkrankungen, aber auch die Auswirkungen auf den Einzelnen. Allerdings wurde auch viel Positives erreicht, Politik und Wirtschaft waren rasch um gemeinsame Lösungen bemüht. Und das fand ich großartig. Schon seit Jahrzehnten wird in Deutschland etwa über die Forcierung der Digitalisierung geredet, bislang geschah aber wenig. In der Pandemie zeigte sich, wie zügig sich technische Anpassungen umsetzten lassen und von den Menschen auch akzeptiert werden. Allein bei uns im Konzern wurde binnen kürzester Zeit erfolgreich auf Home-Office umgestellt.

Die Finanzwelt blieb von der Pandemie ebenso wenig verschont. Wie zufrieden sind Sie mit dem Ergebnis der Allianz Asset Management für 2020?

Wir waren gut aufgestellt in das Pandemiejahr gestartet. Schließlich mussten wir uns schon zuvor gegen Turbulenzen an den Märkten wappnen. Ich denke da etwa an die Folgen des US-Handelskonflikts mit China oder die US-Wahlen. Wir waren deshalb relativ krisenfest aufgestellt. Im vergangenen Gesamtjahr erreichte das verwaltete Vermögen bei der Allianz Asset Management sogar ein Rekordvolumen von fast 2,4 Billionen Euro.

Noch vor einigen Jahren war das Geschäft mit der Vermögensverwaltung von Männern dominiert. Inzwischen sind Führungskräfte wie Sie an der Spitze wichtiger Positionen. Welche Eigenschaften muss man als Frau mitbringen, um sich durchzusetzen?

In der gesamten Allianz Gruppe haben wir eine sehr offene Unternehmenskultur gegenüber Diversität und Inklusion. Das Thema Gendergerechtigkeit wurde schon früh adressiert. Wir haben 38 Prozent Frauen in Führungspositionen bei der Allianz, sie müssen genauso Expertise und Persönlichkeit mitbringen wie Männer. Doch auch grundsätzlich findet ein gesellschaftlicher Wandel statt. Kaum jemand würde heute offen sagen, dass Frauen für Führungspositionen nicht geeignet seien. Was sich jetzt allerdings noch ändern muss, sind die unterbewussten Vorurteile.

Wie kann man sich das vorstellen?

Wenn Frauen beispielsweise vor einer Runde Männer präsentieren, werden sie aufgrund ihres Geschlechts anders bewertet als Männer. Von Frauen heißt es oft, sie seien zu laut, zu leise oder zu pushy oder sonst etwas. In solch einer Situation müssen Frauen sich selbst treu bleiben und keinesfalls versuchen es anderen ständig recht zu machen. Letztendlich braucht man eine dicke Haut, darf sich nicht entmutigen lassen und sollte die eigenen Ziele höflich, aber hartnäckig verfolgen.

Frauen wird oftmals auch ein konservativerer Zugang zu der Geldanlage nachgesagt. Konnten Sie dies im Krisenjahr 2020 beobachten? Spiegelte sich dies in der Wertentwicklung wider?

Tatsächlich wird Frauen tendenziell ein konservativeres Anlageverhalten nachgesagt. Das führe ich aber weniger auf deren Eigenschaften, sondern auf die ökonomische Situation vieler Frauen zurück. Sie verdienen im Schnitt weniger als Männer, wobei die Krise die Ungleichheit eher verschlimmert. Viele Frauen haben deshalb nicht den finanziellen Spielraum, mehr Risiko beim Anlegen einzugehen.

Weshalb verschlimmert die Krise die Einkommensungleichheit?

Frauen haben oft eine instabilere Einkommens- und Arbeitssituation als Männer. Viele Stellen in klassischen Frauenberufen wurden inmitten der Pandemie abgebaut. Dabei sind Frauen oftmals auch in prekären Arbeitsverhältnissen – auch in Teilzeit, die rasch aufgelöst werden können. In Zeiten des Lockdowns sind es überwiegend Frauen, die beruflich zurückstecken und sich um die Kinder kümmern. Das führt zu Einkommensverlusten und hat auch langfristige Implikationen. Diesen Frauen fehlen dann nämlich Beitragsjahre für die Rente.

Die Covid-19-Krise verstärkte das Interesse für nachhaltige Investments vor allem von Privatanlegern. Worauf führen Sie das wachsende Interesse zurück?

Gutes mit seinen Investments bei der nachhaltigen Geldanlage zu bewirken, ist für uns ein essenzieller Treiber und noch mehr: Der Bereich hat sich inzwischen zu einem wichtigen Geschäftsmodell entwickelt, an das auch wir glauben. Da hat sich in den vergangenen Jahrzehnten viel getan. Als ich etwa 2002 am Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg als Teil der deutschen Wirtschaftsdelegation teilnahm, wurde ich noch schräg angesehen, dass ich nachhaltiges Wirtschaften zu einem Geschäftsthema machen wollte. Denn Nachhaltigkeit war ein Nischenbereich, aber keinesfalls ein wirtschaftliches Thema. Inzwischen sind nachhaltige Geldanlagen eine Selbstverständlichkeit in vielen Anlegerportfolios. Unsere Fondstöchter Allianz Global Investors und Pimco integrieren wesentliche Nachhaltigkeitskriterien in ihre Investmententscheidungen und bieten eine Vielzahl von nachhaltigen Produkten an.

Vor allem Frauen wird eine hohe Affinität zu Nachhaltigkeit nachgesagt. Wie nehmen Sie die Entwicklung wahr?

Wir verzeichnen bei der Allianz Asset Management grundsätzlich ein breites Interesse für nachhaltige Geldanlagen und betrachten sie deshalb nicht als ein frauenspezifisches Thema. Immerhin überzeugt der Bereich mit einer soliden Wertentwicklung. Eine Beschränkung auf bestimmte Anleger ist nicht förderlich.

China steht ebenfalls immer stärker im Fokus. Die Wirtschaft boomt, die Kapitalmärkte öffnen sich für internationale Investoren. Auch die Allianz Gruppe möchte dort zunehmend Fuß fassen. Was reizt an dem Land?

Die Allianz Gruppe ist seit langem in China tätig. Möglich war dies bislang aufgrund gesetzlicher Vorschriften aber nur anhand eines Joint-Ventures, beispielsweise mit CPIC Fund Management, wo ich Mitglied im Aufsichtsrat bin. Zuletzt lockerte China die strenge Regulierung. Nun sind Mehrheitsbeteiligungen möglich und es können 100-prozentige Töchter gegründet werden. Auch der chinesische Binnenmarkt wird zunehmend geöffnet. Das heißt, wir können nun mit chinesischen Kunden in China Geschäfte eingehen. Das eröffnet große Chancen gerade auch im Bereich der Vermögensverwaltung, wo es großen Aufholbedarf gibt.

In Europa beklagt die Finanzbranche den zunehmenden Aufwand, etwa für die Erfüllung gesetzlicher Vorgaben in der Wertpapierberatung. Sie leiten auch den Bereich „Regulatory and Policy Affairs“ bei der Allianz Asset Management, in dem es um die Mitgestaltung von Finanzmarktregeln in der Europäischen Union geht. Und Sie sind neuerdings auch in Brüssel vertreten. Gibt es Grund zur Sorge?

Mehr Transparenz und Vergleichbarkeit sowie die ausführliche Beratung im Wertpapierverkauf ist grundsätzlich zu begrüßen, es stärkt das Vertrauen der Kunden in die Finanzmärkte. Als großer Mitwerber am Markt können wir dabei rasch auf neue Regularien reagieren. Allerdings führt eine größere Quantität an neuen Regeln nicht immer zu mehr Qualität – es geht um die Angemessenheit der Regulierung im Sinne des Kunden.

Zuletzt sorgte eine Gruppe Privatanleger mit Spekulationen in sozialen Medien für Schlagzeilen – Stichwort Game-Stop-Aktie, bei der Kleinanleger mit konzertierten Aktienkäufen einige Tage lang das Börsengeschehen ordentlich durcheinander wirbelten (s. Glossar). Braucht es dringend neue Spielregeln an der Börse?

In der Europäischen Union ist die Regulierung seit der Finanzkrise 2008 deutlich verschärft worden, um Märkte und Verbraucher vor Instabilitäten wie im Fall Game Stop zu schützen. Die Spekulation ereignete sich ja in den USA, traf aber auch internationale Investoren, die darin investierten. Ich stelle mir eher die Frage nach multilateralen Lösungen, also wie wir eine global einheitliche Regulierung schaffen. So können Anleger einheitlich vor solchen Spekulationen geschützt werden.

Die Allianz SE ist Teil des deutschen Börsenindex DAX. Für Unternehmen, die darin notiert sind, kommt nun eine gesetzliche Frauenquote für die Vorstandsetage. Begrüßen Sie solch einen Vorstoß?

Ich wünschte mir natürlich, dass es auch ohne Quote ginge, wie zum Beispiel bei der Allianz SE, in der 30 Prozent des Vorstandes Frauen sind. Es gibt aber noch eine Menge Unternehmen ohne eine einzige Frau im Vorstand. In Deutschland herrscht noch ein vergleichsweise traditionelles Denken in Bezug auf die Rollenverteilung. Es braucht offenbar eine Frauenquote, damit sich etwas ändert. Das konnte man bei der Einführung einer Frauenquote für Aufsichtsräte in zahlreichen europäischen Ländern sehen.

Vor Ihrer Zeit bei der Allianz durchliefen Sie zahlreiche Stationen, zu denen die European Bank for Reconstruction and Development in London, die Weltbank in Washington D.C. und die Hertie School of Governance zählen. Wohin wird die Reise noch gehen?

Ich habe unter anderem auch in den USA, Afrika sowie in Indien gearbeitet und war sowohl im privaten, als auch im öffentlichen Sektor tätig. Wichtig ist mir dabei, in einer Organisation tätig zu sein, mit der man einen gesellschaftlichen Impact erzielt. Und dies ist auch bei der Allianz Asset Management gegeben, bei der ich mittlerweile seit drei Jahren tätig und unter anderem auch für das Lebensversicherungsgeschäft in den USA zuständig bin.

Ich denke da nicht nur an den Ausbau nachhaltiger Investments in der Vermögensverwaltung. Denn alles was wir tun, ist eng mit Langfristigkeit und gesellschaftlichen Themen verknüpft und wird großen Einfluss darauf haben, wie wir in Zukunft leben werden. Und daher fühle mich in meiner aktuellen Position sehr gut aufgehoben.


Über Anna Sophie Herken

Anna Sophie Herken ist seit 2018 Business Division Head bei der Allianz Asset Management GmbH sowie Aufsichtsrätin bei der Allianz Life in den USA und der CPIC Fund Management Ltd in China. Herken leitet auch den Bereich „Regulatory and Policy Affairs“ in der Allianz Asset Management, die neuerdings auch in Brüssel vertreten ist.

Herken war zuvor unter anderem als Chief Financial Officer bei der deutschen HPC Capital, Geschäftsführerin der Hertie School of Governance in Berlin sowie bei der Europäischen Bank für Wiederaufbau in London tätig. Sie arbeitete auch für die Weltbank an großen Projekten in Indien, Afrika und Osteuropa und war für das Bundeswirtschaftsministerium tätig. Herken studierte Rechtswissenschaften in Deutschland, Frankreich und den USA. Danach absolvierte sie einen MBA an der Cambridge University.

Herken engagiert sich zudem im Stiftungsrat der AllBright Stiftung, die sich für mehr Frauen und Diversität in Führungspositionen in der Wirtschaft einsetzt, und im Aufsichtsrat vom International Rescue Committee (IRC) Germany und bei Save the Children Deutschland.


Glossar – Game-Stop-Kapriolen

Dem Videospielehändler Game Stop aus den USA geht es nicht sonderlich gut. Das Geschäft mit dem An- und Verkauf von gebrauchten Videospielen, Konsolen und Gaming-Zubehör lief zuletzt immer schleppender. Entsprechend bewegte sich der Aktienkurs schon seit Jahren kaum vom Fleck. Das änderte sich Anfang 2021 schlagartig. Einige Großinvestoren hatten Wetten auf Kursrücksetzer bei der Aktien abgeschlossen. Sie hatten die Rechnung aber ohne den Wirt gemacht.

Eine Reihe Game-Stop-Fans bekam nämlich Wind davon. Auf sozialen Medien riefen sie User solcher Medien – wie etwa Reddit – auf, die Aktien zu kaufen, um den Kurs nach oben zu jagen. Was ihnen letztendlich gelang. Anfang Januar lag der Kurs bei 17,25 US-Dollar, am 27. Januar erreichte die Notierung einen Kurs von 347 US-Dollar. Und sackte kurz danach ebenso kräftig ab.

Die Absprache sorgte nicht nur für Furore. Viele Anleger zeigten sich bestürzt darüber, dass solche eine „Wild-West-Manie“ an den US-Börsen möglich ist. Auch die US-Börsenaufsicht geht der Sache nach.


Dieses Interview ist erstmals in sheconomy 01/2021 erschienen.

Cover Anna Sophie Herken

Fotomaterial(c) ©MKnickriem

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