»Das Virus macht nicht nur die Luft klarer, sondern auch die Wirklichkeit im Land: Frauen sind viel weniger weit, als wir gedacht haben«, schreibt CEO Julia Jäkel in einem vielfach geteilten Kommentar.
»Das Virus macht nicht nur die Luft klarer, sondern auch die Wirklichkeit im Land: Frauen sind viel weniger weit, als wir gedacht haben«, schreibt Julia Jäkel, CEO des Verlagshauses Gruner + Jahr und Vorsitzende der Bertelsmann Content Alliance Deutschland in einem in DIE ZEIT veröffentlichten Artikel. Anstoß für den vielfach geteilten Kommentar war die Nachricht über den Abgang von Jennifer Morgan, ehemalige Co-Chefin des börsennotierten Softwarekonzerns SAP. Der Konzern wünsche sich in dieser besonderen Krisensituation eine »klare Führungsstruktur«, man brauche »klare Anweisungen«, so wird Christian Klein zitiert, der mit ihr zusammen als Doppelspitze inthronisiert worden war und von nun an alleiniger CEO ist.
»Mir fällt es in den vergangenen Wochen wie Schuppen von den Augen: Die Corona-Krise, bei der es um Leben und Tod, um ganze Existenzen von Familien und Unternehmen geht, macht offensichtlich, wer in Deutschland wirklich, wirklich entscheidet. Wie die realen Strukturen sind. Und dass das Gebot der Diversität offenbar nur an ruhigen Tagen zählt«, schreibt Jaekel und vermutet, dass sich in Krisenzeiten neue Führungszirkel formieren. Zuerst fiel es ihr in ihrem eigenen Verlag auf, später auch in größeren Kreisen und Zirkeln. Oft war ihre Stimme die einzige Frauenstimme in Zoom-Konferenzen und Microsoft Teams-Calls. »Ähnliches erleben wir in der öffentlichen Erklärung der Krise. Jana Hensel hat dazu klug auf ZEIT ONLINE geschrieben und uns erinnert an eine »männliche Expertendämmerung«. Sie rief uns die Bilder vor Augen, die die Krise dominieren: Die allermeisten Virologen, die Chefs der Kliniken und Pflegeeinrichtungen, die vielen Chefärzte, Verbandschefs, der übergroße Teil der Ökonomen, der Gesundheitsminister, die dominanten Ministerpräsidenten, 24 der 26 Mitglieder der Nationalakademie Leopoldina – alles Männer. Wo sind nur die Frauen hin?«
»Wie das Virus plötzlich unsere Luft klarer macht und den Himmel blauer, so werden auch unsere wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Realitäten offenbarer. Wir Frauen sind so viel weniger weit, als wir es dachten.«
Natürlich spüren wir die Auswirkungen der Krise im Augenblick alle. Dabei sollte jedoch aber nicht darauf vergessen werden, dass es vor allem Frauen sind, die seit Wochen dafür sorgen, dass der Alltag so gut es geht weiterläuft. »Die also dem Mann den Rücken frei halten, damit er seinen Mann stehen kann«, fasst es Julia Jäkel zusammen. Um im Umgang mit der Krise hervorzustechen und die eigenen Qualitäten gezielt nach außen zu tragen, braucht es nämlich genau das. Nur wer hält gerade den Frauen den Rücken frei, wo doch die Krise zu großen Teilen auf dem Rücken der Frauen ausgetragen wird? »Und diesen Moment verpassen viele Frauen, weil sie – aus welchen Gründen auch immer – zurückstecken. Das ist auch deshalb bitter, weil jetzt Karrieren gemacht werden«, so Jäkel. Es sieht also aus, als würden wir uns gerade (wieder) in eine Zeit hineinbewegen, in der Expertenstatus mit dem männlichen Geschlecht gleichgesetzt oder gar verwechselt wird. Glücklicherweise gibt es Netzwerke wie die Frauendomäne, die schon vor Corona männlich dominierten Expertenrunden den Kampf angesagt haben.
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