StartInnovationWas kommt in Zukunft auf den Teller?

Was kommt in Zukunft auf den Teller?

Hohe Treibhausgas-Emissionen, Entwaldung, Überdüngung, Food Waste – die Lebensmittelindustrie braucht visionäre Projekte. Hier sind drei davon.

Wer hätte gedacht, dass der Knödel einmal die (köstlich-fluffige) Glaskugel der Ernährungsbranche werden würde. Und zwar weltweit. Das legt Hanni Rützlers Buch „Food Context Pilot – Die fabelhafte Welt des Knödels“ nahe. Die Ernährungswissenschaftlerin erklärt: „Der Knödel macht wie kaum ein Lebensmittel die Vernetzungen und Abhängigkeiten unseres globalen Food-Systems sichtbar. Er trägt seine Stabilität, Vielseitigkeit und Adaptionsfähigkeiten zur Schau, indem er sich regional anpasst. Er ist krisenfest und erlebt aktuell ein Revival.“ Beweise? Bitteschön: Asiatische Dumpling-Restaurants und alpine Knödelgerichte, die in den Food-Metropolen boomen.

Der Küchen-Klassiker braucht weder kostspielige Zutaten noch ausufernde Fähigkeiten am Herd, er ist ideal zum Reste-Verwerten, gerade in Zeiten enger werdender Haushaltsbudgets. Dem Veggie-Trend entsprechend gibt es ihn fleischfrei und in zig Varianten. Außerdem: Er spiegelt gesellschaftlichen Wandel und technische Entwicklung wider. Stichworte sind „Knödelbasis in Beuteln“ und „Tiefkühl-Knödel“ – Fertigprodukte, die längst daheim Zeit sparen.

Seit einem Vierteljahrhundert analysiert Rützler mit ihrem Team der futurefoodstudios Veränderungen in der Esskultur. Hoch verarbeitete Lebensmittel verdammt sie nicht grundsätzlich, so sind ja etwa auch Semmelwürfel als Knödelbasis verarbeitet. Die Food-Trendforscherin ist überzeugt: „Jede Mahlzeit erzählt eine Geschichte – von Gesundheit, Nachhaltigkeit, Tierwohl und Lebensstil.“ Wichtige Zukunftsthemen bleiben für sie: Mehr Vielfalt bei pflanzlichen Lebensmitteln, etwa durch Myzelzucht, die protein- und ballaststoffreiches Pilzgeflecht liefert. Und: Die Offenheit für neue Technologien wie Plant Based und Cultured Meat, also Fleisch, das durch Züchtung tierischer Zellen im Labor hergestellt wird. Gourmetküchen werden laut ihrer Prognose transparenter, regionaler, nachhaltiger und legen ihren kulinarischen Fokus stärker auf Gemüse. Auf den folgenden Seiten stellen wir Ihnen Menschen vor, welche diese Trends bereits aufgreifen.

Veganer Gourmettempel

Larissa Andres und Jonathan Wittenbrink
zeigen im JOLA am Salzgries in Wien,
was Pflanzen alles ermöglichen. Sie bauen Fine Dining-Gerichte aus grün-bunten Komponenten, tüfteln und kreieren. Das Resultat: Teller, die nicht nur umwerfend aussehen – sie überzeugen mit ihrem Aromenspiel auch eingefleischte Allesesser.

Seit seiner Eröffnung vor drei Jahren ist das Wiener Restaurant JOLA sprich wörtlich in aller Munde. Hier überzeugen Larissa Andres und Jonathan Wittenbrink selbst Kaviar-, Hummer- und Filet-verwöhnte Gourmetgaumen von Kohlrabi, Leindotter und Morcheln. Restaurantleiterin Andres berichtet, dass nur rund 30 Prozent ihrer Gäste zu Hause pflanzenbasiert essen. „Aber dass die Ernährung einen großen Einfluss auf unseren Planeten hat, ist hingegen allen bewusst“, sagt sie und fügt hinzu: „Klar, Einzelne können das Klima nicht retten – doch wenn so viele Leute wie möglich hier und da auf Fleisch verzichten, ist viel getan.“ Um Gemüse richtig attraktiv zu machen, gibt Chefkoch Wittenbrink in der Küche alles und fermentiert, frittiert, kombiniert. Seine Rohstoe bezieht er aus nahen, nachhaltig arbeitenden Betrieben, damit Transportwege kurz sind und der CO2-Ausstoß niedrig bleibt. Fleischersatzprodukte sucht man in der Menükarte (aus der – ein mal mitgenommen, eingepflanzt und gegossen – Thymian sprießt) vergebens. „Zu stark verarbeitet“, winkt das JOLA-Gespann ab.

Korrekte Köstlichkeiten

Die Dattelbär-Gründer Gottfried Prinz und Dominik Graef

Wir naschen und schlafen mit gutem Gewissen“, sagen Gottfried Prinz und Dominik Graef. Vor fünf Jahren haben die Kärntner „Dattelbär“ gelauncht, und produzieren zuckerfreie, dennoch süße und vegane Leckereien nach drei Prinzipien der Permakultur. Diese umfassen den achtsamen Umgang mit der Erde durch nachhaltigen Landbau, die faire Bezahlung aller Beteiligten von Erntehelfer*in bis Webshop-Programmierer*in und Fair Share via Bodenregeneration. Die Datteln stammen von Plantagen unter anderem in Saudi-Arabien, und werden sowohl naturbelassen angeboten, als auch zu Schokoladen (siehe links), Snack-Bällchen und süßen Aufstrichen weiterverarbeitet. Und machen nicht nur Naschkatzen glücklich, sondern auch all jene, die wenige, dafür natürliche Inhaltsstoffe, Kreislaufwirtschaft und eine transparente Herkunft schätzen.

Leberkäse ganz ohne Leber und Käse

Nadina Ruedl, Gründerin der Pflanzerei

Im Gegensatz zu den Gastronomen Andres und Wittenbrink setzt Nadina Ruedl voll auf Fleischersatz. Seit 2022 zieht sie von Wien aus mit ihrer „Pflanzerei“ durchs Land, um ihren Landsleuten das zu geben, was sie von Feinkosttheke und Grill gewohnt sind – aber eben in vegan: Leberkäse (siehe rechts), Schnitzel, Backhendl und Rippchen. In letzteren stecken sogar Knochen – aus Holz! Für die Gründerin liegt die Zukunft der Ernährung darin, dass weder Vertrautes noch die tägliche Esskultur unter den Tisch fallen. Und die Hauptsache sei, dass die Alternativen schmecken. „Packen wir Kartoffeln, Rote Bete und Karol (Blumenkohl) in ultimative österreichisch-bayerische Snacks wie den Leberkäse, dann kann die Umstellung von Fleisch auf Pflanze funktionieren“, sagt sie. Rezepte entwickelt Nadina Ruedl mit Metzgern aus ihrer Umgebung. Soja aus dem Regenwald und Palmöl kommen nicht in die Rezepte.


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