Dick und Doof, Max und Moritz oder Asterix und Obelix. Manche Dinge funktionieren im Tandem einfach besser – so auch Bildung und Gesundheit. Was auf den ersten Blick konträr erscheint, hat seinen Ursprung bereits im Jahr 1986. In der berühmten Ottawa Charta betonte die WHO die Bedeutung von Bildung als grundlegende Bedingung für Gesundheit – und bis heute zählt Bildung in modernen Gesellschaften zu den wichtigsten sozialen Determinanten von Morbidität und Mortalität. So alt diese Erkenntnis auch ist, so wenig hat sich in fast 40 Jahren getan.
Studien zeigen eindeutig, dass ein höheres Bildungsniveau nicht nur mit einer verringerten Sterbewahrscheinlichkeit einhergeht, sondern insbesondere mit einer signifikant höheren Lebenserwartung. Die Lebenserwartung ist in Deutschland im internationalen Vergleich erschreckend gering. Mit 83 Jahren für Frauen und 79 Jahren bei den Männern ähnlich niedrig wie zum Beispiel in Chile oder Slowenien. Zum Vergleich: In Japan werden die Frauen durchschnittlich 87,7 Jahre alt. Die geringe Lebenserwartung in Deutschland passt leider gut zu den aktuellen Ergebnissen der Pisa-Studie als Gradmesser des Bildungsniveaus. Deutschland rangiert dort auf Platz 21 – das ist historisch schlecht.
Trotz der vergleichsweise geringen Lebenserwartungen sind die Gesundheitsausgaben hierzulande sehr hoch, 13,2% des BIP fallen jährlich dafür an – der Großteil davon geht für die kurative Versorgung drauf und nicht für die dringend notwendige Krankheitsprävention oder noch besser – die Gesundheitsförderung. Dabei kann ein gesunder Lebensstil bis zu 20 gesunde Jahre schenken. Gerade die Pandemie hat gezeigt, wie wichtig es ist, in den kommenden Jahren deutlich mehr in Prävention zu investieren, betont auch Michael Müller, OECD Gesundheitsexperte.
Bildung als Ressource für Gesundheit
Wir haben eine fatale Ambivalenz von einerseits zu hohen Ausgaben gepaart mit zu geringen Investitionen in Prävention. Mehr Investitionen auf diesem Gebiet forderte auch Stefan Willich, Epidemiologe und Sozialmediziner an der Charité Universitätsmedizin in Berlin.
Lediglich 2 bis 4 % der Ausgaben im Gesundheitsbereich werden aktuell für die Prävention verwendet – das ist ein enormes Missverhältnis.
„Wir haben eine fatale Ambivalenz von einerseits zu hohen Ausgaben gepaart mit zu geringen Investitionen in Prävention.“
Dass es auch anders geht, beweist ein Blick über die Landesgrenzen hinweg. Skandinavier schneiden nicht nur regelmäßig besser bei Pisa-Studien ab, sondern investieren auch deutlich mehr in Prävention, Aufklärung und nicht zuletzt in Bildung. Schweden zum Beispiel 7,2% des BIP, Deutschland 4,2%. Die Gesundheitssysteme in Schweden und Norwegen rangieren unter den Top 5 der weltweit besten. Die Niederlande haben das beste Gesundheitssystem Europas – ermittelt der Europäische Gesundheitskonsumenten-Index (EHCI) des schwedischen Unternehmens Health Consumer Powerhouse. In Japan ist beispielsweise Ernährung ein Schulfach. In Österreich gibt es das erfolgreiche Präventionsprogramm „Eddy“ des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung, bei dem Kinder Ernährungsschulungen und Sporttraining durch Expert:innen der Uni Wien genießen. Denn nie lernen wir so leicht und intuitiv wie im Grundschulalter – werden hier bereits die Weichen für ein gesundes und selbstbestimmtes Leben gestellt, können viele Krankheiten effektiv vermieden werden.
Bildungs- und Gesundheitssouveränität
Warum Bildung und Aufklärung hierbei ganz entscheidende Faktoren sind, verdeutlicht auch eine Analyse des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB). Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen der Gesundheit im Erwachsenenalter und dem Bildungsabschluss. Menschen aus bildungsfernen Familien sind demnach häufiger übergewichtig, die Zahl der Raucher ist deutlich höher als bei Menschen mit Abitur. Wesentliche Unterschiede lassen sich auch in der Ernährung, dem Fitnesslevel und der Regelmäßigkeit des Alkoholkonsums feststellen. Allesamt Risikofaktoren für später auftretende sogenannte Volkskrankheiten wie kardiovaskuläre Erkrankungen oder Diabetes. Der Bildungsstand der Eltern definiert also nicht nur das soziale Umfeld und die Lebensweise im Kindesalter, sondern setzt sich häufig im weiteren Lebensverlauf fort und beeinflusst damit auch im Erwachsenenalter maßgeblich die Gesundheit – sogar die Inanspruchnahme von Vorsorgeuntersuchungen und Gesundheits-Check-Ups hängt mit dem Bildungsniveau zusammen.
Der Preis der Unwissenheit
In der internationalen Forschung wird in diesem Zusammenhang von „Health Literacy“ gesprochen, also einer Art gesundheitlicher Literalität eines Menschen. Diese Gesundheitskompetenz zielt auf die Fähigkeit ab, relevante Gesundheitsinformationen zu finden, verstehen und sie vor allem konsequent im Alltag anzuwenden. Dazu müssen wir nicht nur umfassend aufklären, niederschwellige Angebote insbesondere in prekären Verhältnissen schaffen und die Motivation für eine gesunde Lebensweise stärken, sondern strukturelle Rahmenbedingungen und Anreize schaffen, die das Aufbrechen der starken Abhängigkeit des Bildungserfolges von der sozialen Herkunft zum Ziel haben. Denn in der Konsequenz führt Bildung zu einer höheren Gesundheits- und Handlungskompetenz. Kurz gesagt: wir brauchen mehr Eigenverantwortung und mehr Prävention.
Zudem müssen die Resorts Gesundheits- und Bildungswesen viel enger zusammenarbeiten und Synergien gezielt nutzen – und nicht wie bisher als getrennte Systeme betrachtet werden. Faire Bildungschancen zu schaffen ist daher ein wichtiger Schritt im Rahmen einer wirksamen gesundheitspolitischen Prävention. Das kostet Geld, soviel ist klar. Aber es gibt keine Alternative. Oder, um es in J.F. Kennedys Worten zu sagen: „es gibt nur eines was auf Dauer teurer ist als Bildung: keine Bildung“.
Bildung als gesellschaftliche Aufgabe
Der Status Quo des deutschen Gesundheitssystems priorisiert Krankheit, statt Gesundheit. Doch Unwissenheit schützt nicht vor Krankheit – im Gegenteil, sie fördert sie. Wir brauchen einen radikalen Mindset-Shift, um nicht nur künftige Herausforderungen vor dem Hintergrund des demographischen Wandels bewerkstelligen zu können, sondern müssen vor allem aktiv neue Rahmenbedingungen schaffen. Gesundheitsfördernde Lebenswelten und ein Setting, dass auf Prävention, Eigenverantwortlichkeit und einem lebenslangen Lernen fußt.
Es gibt bereits zahlreiche Initiativen und Projekte, die sich in Kindergärten oder Schulen aktiv um Gesundheitsbildung bemühen. So können beispielsweise Kinder oder Jugendliche in schuleigenen Gärten oder Beeten ihr eigenes Gemüse anbauen und lernen so spielerisch, wo die Lebensmittel herkommen und wie sie auf ihre Gesundheit wirken. Das stärkt nicht nur die Motivation, sondern hat einen ebenso positiven Effekt auf ein selbstwirksames Verhalten, das im besten Fall in einer hohen Health Literacy mündet.
Ziel muss es sein, solche Projekte flächendeckend zu etablieren und beispielsweise analog dem Modell Japans mit einem Schulfach für Ernährung zu kombinieren. Gesundheit ist eine wichtige Voraussetzung für den Bildungserfolg unserer Kinder. Zugleich ist Bildung eine grundlegende Bedingung für die gute Gesundheit im Kindes- und Erwachsenenalter. Bildung und Gesundheit sind also ein wirklich gutes Team. Und es macht deutlich: wir müssen uns von der eindimensionalen Betrachtungsweise lösen und interdisziplinär denken. Wir brauchen eine gezielte Kombination von Sozial-, Bildungs- und Gesundheitspolitik und ein schärferes Bewusstsein für die nachhaltig positive Auswirkung von Prävention. Das passiert nicht von jetzt auf gleich. Es ist ein Marathon und kein Sprint. Aber wir müssen heute damit beginnen, damit wir in Zukunft die Früchte ernten können. Wortwörtlich. Dass das geht, beweisen andere Länder bereits eindrucksvoll. Jetzt müssen wir es nur noch tun – denn Bildung ist die Gesundheit von morgen.
Zur Autorin:
Dr. Isabella Erb-Herrmann ist Mitglied des Vorstands der AOK Hessen und setzt sich in ihrer Funktion aktiv für die Transformation des Gesundheitswesens ein. Nach Ihrem Betriebs- und Produktionsingenieurstudium an der ETH Zürich startete sie ihre Laufbahn in der internationalen Strategieberatung mit Schwerpunkt Healthcare – zuletzt bei The Boston Consulting Group. Sie promovierte berufsbegleitend in Innovationsmanagement und sagt: „Das Ergreifen von Chancen ist elementar“. Isabella Erb-Herrmann begleitet Präventions-Projekte wie die GemüseAckerdemie, in der Kinder und Jugendliche ihr eigenes Gemüse anpflanzen können und so unmittelbar erleben, wo ihre Lebensmittel herkommen – mit dem Ziel sie für gesunde Ernährung, Bewegung und Nachhaltigkeit zu begeistern.
Mission Female GmbH:
Mission Female bietet erfolgreichen Frauen ein exklusives Netzwerk von Vertrauen und Austausch auf Augenhöhe und stärkt sie aktiv bei ihrer persönlichen und beruflichen Entwicklung. Dabei engagiert sich das 2019 von Frederike Probert gegründete Business-Netzwerk aktiv für mehr Female Power in Wirtschaft, Gesellschaft, Medien, Kultur, Sport und Politik und vereint erfolgreiche Frauen branchenübergreifend auf höchster Ebene mit einem Ziel: Gemeinsam beruflich noch weiter voranzukommen. Immer persönlich, vertraulich und verbindlich ganz nach dem Motto #strongertogether.
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