StartBalance„Positive Psychologie unterscheidet zwischen Erfolg und Erfüllung“

„Positive Psychologie unterscheidet zwischen Erfolg und Erfüllung“

Was macht ein gelingendes (Arbeits-)Leben aus? Erkenntnisse aus der Positiven Psychologie können Antworten auf diese Frage geben, meint Prof. Dr. Judith Mangelsdorf und liefert zahlreiche wertvolle Beispiele.

Die Diplom-Psychologin und Studienrätin für Mathematik und Musik hat seit September 2021 die bis dato einzige Professur für Positive Psychologie in Deutschland inne. Sheconomy-Gast-Autorin Natascha Hoffner hat mit Dr. Mangelsdorf über ihr Fachgebiet und ihren beruflichen Werdegang gesprochen.

Prof. Dr. Judith Mangelsdorf ist seit 2021 Deutschlands erste volle Professorin für Positive Psychologie an der Deutschen Hochschule für Gesundheit und Sport.

Frau Mangelsdorf, Sie beschäftigen sich in Lehre und Forschung mit Positiver Psychologie. Was ist das genau?

Positive Psychologie ist ein wissenschaftlicher Teilbereich der Psychologie. Es geht darum, was das Leben lebenswert macht. Fragen eines gelingenden oder erfüllenden Lebens erforschen wir einerseits auf einer individuellen Ebene: Also was bedeutet das für einzelne Menschen in ihrer Lebensführung, ihrer Identität, ihren Stärken und Lebenswerten. Aber wir schauen uns auch die organisationale und gesellschaftliche Ebene an. Wie schaffen es Unternehmen, eine Struktur aufzubauen, in der Mitarbeitende sich gut entwickeln können? Und was sollte die Politik tun, damit Menschen ein glückliches und zufriedenes Leben führen können.

Positive Psychologie beschäftigt sich also weniger mit dem, was Menschen krank macht, sondern schaut darauf, wie Menschen möglichst gut und gesund leben können?

Im Prinzip ja. Martin Seligman, einer der Gründerväter der Positiven Psychologie, hat es einmal so erklärt: Stellen Sie sich die Psyche auf einer Skala von -10 bis +10 vor. Im Bereich zwischen 0 bis -10 sind die gesamten Defizite zu Hause – also etwa was psychische Erkrankungen auslöst und wie wir sie heilen können. Die Positive Psychologie ist im Bereich von 0 bis +10 zuhause. Hier geht es darum, dass Menschen nicht nur nicht krank werden oder gesund bleiben, sondern ihr Potential entfalten können. In der Positiven Psychologie nennen wir das Flourishing.

Die Positive Psychologie wird oft als Glücksforschung beschrieben. Inwiefern kann man so etwas subjektives und flüchtiges wie Glück wissenschaftlich erforschen?

Den deutschen Begriff Glück kann man leicht missverstehen, denn er meint drei unterschiedliche Dinge. Einmal das, was im Englischen „Luck” ist: der glückliche Moment oder der Zufall. Dann „Pleasure”, also positive Emotionalität, die sehr flüchtig und sehr kurzfristig ist. Und schließlich „Happiness” oder „Fulfillment”, also langanhaltendes Glück. Die Positive Psychologie hat mit der ersten Bedeutung, im Sinne von Luck oder Zufall nichts zu tun. Sie fokussiert sich auf die anderen beiden Phänomene.

Und diese Phänomene kann man messen?

Ja! Bei der positiven Emotionalität fragt man zum Beispiel Menschen, wie glücklich sie auf einer Skala von 1 bis 10 sind. Oder man misst physiologische Auswirkungen wie Herzratenvariabilität, Hormonspiegel oder Mikroimpressionen im Gesicht. Der größte Forschungszweig beschäftigt sich aber mit der langfristigen Perspektive auf ein sinnerfülltes Leben. Denn man kann zwar zu einem bestimmten Zeitpunkt im Leben eine Krise erleben wie etwa Rückschläge im Beruf oder Verlust von nahestehenden Personen. Aber solchem Unglück zum Trotz kann man ein glückliches und erfülltes Leben führen.

Wie schaut die Positive Psychologie auf berufliche Entwicklung, Karriere und Erfolg?

Paul Wong, ein Vertreter der Positiven Psychologie, unterscheidet zwischen Erfolg und Erfüllung. Viele Menschen sind extrem erfolgreich, in dem Sinne, dass sie viel Geld verdienen, positives Feedback bekommen und auf der Karriereleiter aufsteigen. Aber das heißt nicht, dass sie Sinn in ihrer Arbeit erleben. Es macht einen großen Unterschied, warum ich meinen Job ausübe: Möchte ich nur Geld verdienen und beruflich vorankommen, Erfüllung finden oder beides? Karriere-Rückschläge sind dann verkraftbar, wenn man Sinn im Job empfindet. Wenn es mir aber um äußerlich sichtbaren Erfolg geht, können berufliche Niederlagen extrem niederschmetternd sein.

„Die Forschung zeigt, dass Menschen mit einer optimistischen Haltung auf lange Sicht die hochwertigeren und besser bezahlten Jobs bekommen.“

Können wir unsere Wahrnehmung von Erfolg oder Misserfolg positiv beeinflussen?

Zumindest kann es helfen, vermeintliche Niederlagen als Wachstumsmöglichkeiten zu betrachten. Das verdeutlicht das Konzept vom „Growth Mindset”, das heißt, dass man persönliche Entwicklung für möglich hält. Außerdem gibt es die Idee vom Selbstmitgefühl, die aus dem Buddhismus entlehnt ist. Demnach braucht man drei Dinge, um mit Misserfolgen gut umgehen zu können: Erstens eine selbstbezogene Freundlichkeit statt eines inneren Kritikers, zweitens verbindende Humanität – der Fokus darauf, dass nicht nur ich scheitere, sondern andere Menschen auch, und drittens Achtsamkeit, die Fähigkeit, sich nicht in negative Emotionen hineinfallen zu lassen, sondern eine beobachtende Distanz dazu einzunehmen

Nehmen wir mal ein Beispiel: Sagen wir, eine Person Anfang 50 erhält auf Bewerbungen nur Absagen. Wie hilft da ein Growth Mindset und Selbstmitgefühl weiter?

Mit einem Fixed Mindset würde die Person sagen, „Da kann man nichts machen. Ich habe nichts anderes zu bieten und einfach keine Chance.“ Die Absage führt zu Frustration – die Person bewirbt sich gar nicht mehr und zieht sich zurück. Mit einem Growth Mindset würde sie sich fragen: „Bin ich für die Stelle qualifiziert genug? Was kann ich tun, um den Arbeitgeber zu überzeugen?“ Vielleicht ruft sie im Unternehmen an und fragt nach, woran es denn liegt und welche Entwicklungsschritte sie gehen müsste. Oder sie spricht mit anderen Menschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Sie geht explizit in die Kommunikation nach außen und zieht daraus Handlungsfähigkeit. Vielleicht auch mit der Bereitschaft, noch eine Weiterbildung zu machen.

Klingt so, also müsse man einfach eine optimistische Haltung einnehmen. Was ist denn der Unterschied zwischen Optimismus und positiver Psychologie?

Optimismus ist die generalisierte Erwartung an einen positiven Ausgang von Situationen in der Zukunft. Das gehört definitiv zur Positiven Psychologie, aber es ist nur ein Teilaspekt unter einer Vielzahl von Denk- und Handlungsmustern, die wir untersuchen.

Wann hilft denn Optimismus weiter?

Die Forschung zeigt, dass Menschen mit einer optimistischen Haltung auf lange Sicht die hochwertigeren und besser bezahlten Jobs bekommen. Denn sie trauen sich mehr zu und steigen auch in Verhandlungen oft höher ein. Aber es gibt auch eine Art goldenen Schnitt: Ab einer bestimmten Grenze kann es auch zu viel an Optimismus sein. Menschen neigen dann zu höherem Risikoverhalten. Es kommt immer darauf an, dass Optimismus zur Situation passt.

Frauen bewerben sich oft erst auf Stellenanzeigen, wenn sie nahezu 100 Prozent der Anforderungen erfüllen. Wie erklären Sie sich das?

Viele psychologischen Geschlechtereffekte haben mit der Sozialisation zu tun. Dass Männer sich eher trauen, sich auf Positionen zu bewerben, die ihre Kompetenzen übersteigen, liegt vor allem an ihrer Selbstwahrnehmung. Wir wissen, dass Frauen sich oft sehr kritisch gegenüberstehen, also ein Stückweit einen geringeren Selbstwert haben. Häufig versuchen sie das über Leistung zu kompensieren. Hier könnte manchmal etwas mehr Optimismus helfen.

„Viele psychologischen Geschlechtereffekte haben mit der Sozialisation zu tun. Dass Männer sich eher trauen, sich auf Positionen zu bewerben, die ihre Kompetenzen übersteigen, liegt vor allem an ihrer Selbstwahrnehmung.“

Wie sind Sie denn eigentlich darauf gekommen, sich mit Positiver Psychologie zu beschäftigen?

Ich komme aus einer Lehrer-Familie und habe Mathematik und Musik auf Lehramt studiert. Schon früh habe ich erlebt, dass Lehrkräfte mit einer großen Leidenschaft in den Beruf starten, dann aber aufgrund der Strukturen schnell ausbrennen können. Mich hat das sehr beschäftigt, die Frage, wie man trotz hohem Engagement nicht kaputt geht. Deshalb habe ich noch ein Studium der Psychologie draufgesattelt. Doch irgendwann hatte ich das Diplom in der Hand, aber immer noch keine Antwort. Dann bin ich 2008 über das Buch „Authentic Happiness“ von Martin Seligman gestoßen, der sich darin mit Potentialentfaltung beschäftigt. Ich wusste sofort, diesem Thema möchte ich mich widmen.

Inwiefern lag darin eine Antwort auf Ihre Frage, wie man hochengagiert sein kann und trotzdem nicht ausbrennt?

Tatsächlich ist es wie immer, es gibt keine einfache Lösung. Aber recht zugänglich ist zum Beispiel das PERMA-Modell von Seligman. Das steht für Positive Emotions, Engagement, Relationships, Meaning und Accomplishment. Wenn wir dafür sorgen, dass wir regelmäßig positive Emotionen haben, zum Beispiel, indem wir Erfolge feiern, und wir unsere Stärken nutzen, etwa indem wir immer mal wieder in den Flow kommen bei der Arbeit, dann ist schon viel erreicht. Wichtig ist auch, dass wir erfüllte Beziehungen erleben, dass die Arbeit für uns einen Sinn ergibt und wir die Ziele, die wir uns gesetzt haben, auch wirklich vorfolgen können.

Spätestens seit der Corona-Pandemie floriert das Konzept der Resilienz. Es heißt, wir müssen resilient sein, um mit schwierigen Situationen umgehen zu können. Was meint eigentlich Resilienz?

Resilienz ist ein Teilbereich der Positive Psychologie. Die Frage ist: Wann gelingt es Menschen auch unter langanhaltendem Stress oder unter kurzfristig sehr starkem Stress – zum Beispiel bei einschneidenden Lebenserfahrungen, Jobverlust oder dem Verlust naher Angehöriger – ein bestimmtes psychisches Funktionsniveau und Wohlbefinden zu erhalten? Es geht darum, die Bedingungsfaktoren zu erforschen. Aber wichtig ist zu verstehen: Resilienz ist kein Muskel.

Was meinen Sie damit?

Ein Resilienz-Training macht Menschen nicht gleich resilient. Resilienz ist keine per se trainierbare Fähigkeit. Es geht darum, die Faktoren zu beeinflussen, die eine resiliente Reaktion wahrscheinlicher machen. Ich kann noch so resilient sein, wenn bestimmte Situationen zusammenkommen, kann mich das aus der Bahn werfen. Die Stärke und die Dauer von Stresssituationen spielen dabei eine große Rolle.

Was dann, wenn es jemand wirklich umhaut oder eine Person an einer solchen Situation zu zerbrechen droht?

Da geht es dann eher um posttraumatisches Wachstum – das ist ein anderes Konzept. Resilienz und Wachstum treten so gut wie nie gleichzeitig auf. Entweder ich bin resilient und das verhindert, dass ich in ein Loch falle. Oder ich muss mich da herausarbeiten und ein neues Verständnis von mir und der Welt, in der ich lebe, aufbauen. Das Problem ist: Es gibt einen gesellschaftlichen Imperativ der Resilienz. Unternehmen wünschen sich resiliente Mitarbeitende. Aber manchmal ist es nicht möglich, gut mit einer Situation umgehen zu können, sondern notwendig, sich durch persönliche Entwicklung aus ihr heraus zu begeben.

Gibt es da Geschlechtsunterschiede?

Wir wissen, dass Männer und Frauen mit Krisen anders umgehen. Frauen verhalten sich häufig sozial adaptiver. Das hat unter anderem damit zu tun, dass sie in solchen Situationen eher Kontakt zu anderen, den sozialen Austausch suchen. Gleichzeitig leiden Frauen häufiger an Depressionen und Überforderung. Im Besonderen das Erleben negativer Emotionen wie Trauer und Angst können bei ihnen sehr dominant sein.

Muss man erst in eine persönliche Krise kommen, um zu wachsen?

Psychologisch gesehen brauchen wir vor allem eine Ausnahmesituation. Das muss nicht unbedingt eine Krise sein, das können auch sehr einschneiden positive Erfahrungen sein. Für viele Frauen ist das zum Beispiel die Geburt des ersten Kindes. Diese intensiven Einschnitte führen dazu, dass wir uns innerhalb kurzer Zeit sehr stark entwickeln, ein Stückweit weiser werden und auch tiefere Beziehungen aufbauen können.

Sie haben eine solche einschneidende positive Erfahrung erwähnt – nämlich, als Sie Ihre Berufung in der Positiven Psychologie entdeckt haben. Aber damals war es noch gar nicht möglich diesen Schwerpunkt zu studieren…

Stimmt, es gab damals in Deutschland gar keine Ausbildung und kein Studium in Positiver Psychologie. Deshalb bin ich in die USA gegangen, an die University of Pennsylvania. Ich bekam ein Fulbright-Studium, das vom Deutschen Außenministerium finanziert ist. Schon damals war die Idee, diese Fachrichtung nach Deutschland zu holen. Nachdem ich am Max-Planck-Institut promoviert hatte, kam der Ruf an die Deutschen Hochschule für Gesundheit und Sport, wo es nun den ersten Masterstudiengang in Positiver Psychologie gibt.

Klingt nach einem logischen und geradlinigen Weg. Vermutlich war das aber alles nicht so einfach. Welche Hürden mussten Sie überwinden?

Viele meiner Berater:innen und Mentor:innen, die mich bei meinem Berufsweg begleitet haben, waren der Meinung, dass das mit der Positiven Psychologie keine gute Idee ist. Die meisten rieten mir, mich zunächst auf einen etablierten Zweig der Psychologie zu fokussieren und dann gegebenenfalls später Positive Psychologie draufzusatteln oder dazu zu forschen. Es gab vorher kaum jemanden, der bei der Max-Planck-Gesellschaft zu Positiver Psychologie promoviert hat. Ich war dann halt die Erste. Das hatte viel damit zu tun, dass ich mich nicht habe abbringen lassen und daran geglaubt habe, dass das meine Berufung ist. So haben sich dann immer wieder neue Türen geöffnet.

In Deutschland hat die Positive Psychologie als Forschungsthema lange keinen guten Ruf gehabt. Wie erklären Sie sich das?

Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen verwechseln viele die Positive Psychologie mit Positive Thinking, also der Idee, dass man sich nur ein ideales Leben vorstellen muss, um es auch zu erreichen. Das ist etwas völlig anderes. Zum anderen ist hierzulande die Annahme verbreitet, dass „echte psychologische Forschung“ eher etwas mit negativen Aspekten der Psyche und deren Bewältigung zu tun haben muss. Wenn jemand sich in einer Runde vorstellt und sagt, ich forsche zu Depressionen, geht oft ein ehrfürchtiges Raunen durch die Reihen. Wenn ich mein Forschungsgebiet vorstelle, begegnet mir oft Skepsis – nach dem Motto: Sie ist 38 Jahre, blond, eine Frau und erforscht Glück. Das nehmen viele weniger ernst als die Erforschung von Angst oder Depression. Die Methoden der Forschung sind hier aber genau die gleichen wie in anderen Bereichen der Psychologie auch. Doch Krankheiten zu erforschen, erscheint vielen wichtiger als Wohlbefinden. In Deutschland haben wir generell eine kritische Lebenshaltung. Pessimistisches Denken ist bei uns ein Kulturgut. Das kann dazu führen, dass wir andere Sichtweisen ausblenden.

Das Image der Positiven Psychologie leidet auch darunter, dass viele Trainer und Coachs unter ihrer Flagge das von Ihnen erwähnte Positive Thinking propagieren…

Ja, das stimmt. Gerade in Deutschland hat sich der Anwendungsbereich, zu dem auch Training, Coaching und die Umsetzungen in Unternehmen gehört, sehr viel schneller entwickelt als die Forschung. Viele gehen in der Praxis stark in die Vereinfachung oder sind nur zum Teil daran interessiert, sich mit der Wissenschaft auseinanderzusetzen. Das kann zu fatalen Fehlschlüssen führen. Viele Trainer propagieren zum Beispiel, dass man Glücklichsein lernen kann und liefern die Anleitung gleich mit. Aber Glück hängt von so vielen Faktoren ab – der Genetik, der Umwelt, den Gewohnheiten, dem System, in dem wir leben. Diese einfachen Rezepte sind nicht seriös. Natürlich kann man das Glück beeinflussen, aber der Einfluss ist kleiner und komplexer als oft suggeriert wird.

Manche dubiosen Konzepte wie „The Work“ von Byron Katie gehen noch einen Schritt weiter. Sie meint, man müsse auch Tod, Krankheit, Verlust oder Bomben freudig entgegensehen. Da wird Positive Psychologie in einen schrecklichen Kontext gestellt. Wann hilft denn aus Ihrer Sicht Positive Psychologie und wann nicht?

Man sollte Positive Psychologie nicht als Allheilmittel verstehen. Gerade das Präskriptive ist daran das Problem. Vor allem im Umgang mit traumatischen Erfahrungen kann es nur um eine Integration von Aspekten der Positiven Psychologie gehen. Bei jeder Intervention ist die Passung mit der betroffenen Person entscheidend.

Sie haben dabei mitgewirkt, dass es jetzt die erste Professur für Positive Psychologie gibt. Dabei mussten Sie auch Widerstände überwinden. Wie gehen Sie mit Rückschlägen um?

Die Widerstände, die ich erlebt habe, hatten weniger mit mir als Person und mehr mit dem Fach zu tun. Das macht es einfacher. Eine Kommilitonin aus den USA sagte einmal, wenn sie ein „Nein“ bekommt, dann versteht sie das als „Nein, noch nicht“ oder „Nein, nicht so“. Diese Haltung hat mir sehr geholfen, geduldig zu sein. Manche hatten Zweifel, ob sich überhaupt jemand für einen Masterstudiengang in Positiver Psychologie einschreiben würde. Das hat sich dann in der Praxis schnell erübrigt: Als wir den Studiengang erstmals ausgeschrieben hatten, war er in kürzester Zeit voll belegt.

Manchmal kann man sich in beruflich schwierigen Situationen nicht allein helfen. Wann empfehlen Sie, professionelle Hilfe hinzuzuziehen?

Unterstützende Beziehungen können dazu führen, dass Menschen aus schwierigen Situationen gestärkt hervorgehen. Das können Angehörige oder Freunde sein, die informell unterstützen und zur Seite stehen. Aber natürlich auch Profis wie Coachs oder Therapeuten. Wann die Schwelle erreicht ist, professionelle Hilfe zu holen, kann sehr unterschiedlich sein. Aber immer dann, wenn wir vor sehr herausfordernden Lebenssituationen stehen, können wir den Weg mit Begleitung leichter gehen. Wichtig ist, sich vorher gut über die Person zu informieren, von der man sich begleiten lassen möchte. Coachs sollten von einem Berufsverband zertifiziert sein – meist steckt dahinter eine langjährige Ausbildung mit entsprechender Coachingerfahrung. Viele Coaches bieten auch Probestunden an. So kann man herausfinden, ob die Chemie stimmt.

Wann können auch Netzwerke und Communities bei einem gelingenden Berufsleben weiterhelfen?

Das ist vor allem eine Frage des Vertrauens und der Bereitschaft, sich gegenseitig zu unterstützen. Wenn ich den Menschen in einer Community vertraue, kann das sehr hilfreich sein. Ein Netzwerk vermittelt vor allem das Gefühl, nicht allein zu sein – auf diesem Prinzip basieren sämtliche wirklich funktionierenden Selbsthilfegruppen und Communities. Es gibt viele andere Menschen, die eine ähnliche substantielle Lebenserfahrung machen. Wenn sie teilen, wie sie schwierige Situationen bewältigt haben, kann man davon profitieren, lernen und gestärkt hervorgehen.


Prof. Dr. Judith Mangelsdorf sprach in einem Vortrag der herCAREER-Academy im Juni diesen Jahres über das Thema „Mythos Resilienz: Wie es gelingt auch ohne sie Stress und Krisen zu bewältigen“. Hier geht’s zum Beitrag.


Über die Person

Die Psychologin Judith Mangelsdorf ist seit 2021 Deutschlands erste volle Professorin für Positive Psychologie an der Deutschen Hochschule für Gesundheit und Sport. Sie studierte Mathematik, Musik und Diplom-Psychologie an der Universität Potsdam. Dort hielt sie ab 2008 erste Seminare zum Themenfeld Positiven Psychologie. 2011 erhielt sie ein Fulbright-Stipendium, um an der University of Pennsylvania den Master in Angewandter Positiver Psychologie (MAPP) zu absolvieren. Dort studierte und forschte sie bei internationalen Experten, wie Martin Seligman, Barbara Fredrickson und Jonathan Haidt. Nach ihrer Rückkehr aus den USA wurde sie Fellow der Max-Planck-Gesellschaft und promovierte an der Freien Universität Berlin im Rahmen der International Max Planck Research School on the Life Course (LIFE) zum menschlichen Wachstum nach einschneidenden Lebensereignissen. 2014 gründete sie gemeinsam mit Christin Celebi die Deutsche Gesellschaft für Positive Psychologie (DGPP), deren Direktorin sie bis heute ist.

Fotomaterial(c) messe rocks

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