Dank ihrer außergewöhnlichen Idee haben es die deutschen Unternehmerinnen aus dem Stand auf die diesjährige „Forbes 30 Under 30“-Liste im DACH-Raum geschafft. Isabelle Guenou und Miriam Santer sind davon überzeugt, dass die Analyse von Menstruationsblut eine Reihe an bereits überfälligen Antworten auf weibliche Gesundheitsprobleme liefern kann.
Was als Start-up-Idee in einer Lehrveranstaltung im gemeinsamen Masterstudium begann, wurde zum ersten Health-Tech-Start-up in der EU, das Menstruationsblut für einen nicht-invasiven Bluttest nutzt. Mit ihrem Produkt wollen sie Menstruierenden mehr Selbstbestimmung und Autonomie über den eigenen Körper geben. Ihr Ziel ist es, dort Bewusstsein zu schaffen, wo es nach wie vor fehlt und Ressourcen zu nutzen, die bisher unbeachtet geblieben sind. Menstruationsblut, das lange Zeit als Abfallprodukt betrachtet wurde, enthält nämlich nicht nur wichtiges Serum, Plasma und Gewebe, sondern kann auch ganz neue Erkenntnisse über Frauen, deren Körper und Krankheiten liefern. Was an der Idee außerdem noch gut ist: die Probenentnahme erfolgt in den eigenen vier Wänden!
#letsclosethegenderdatagap
Einer der Hauptmotivatoren für die Köpfe hinter theblood ist die Gender Data Gap, zu deutsch die geschlechtsspezifische Datenlücke. Damit ist die fehlende Erhebung von gesellschaftlich, wirtschaftlich oder medizinisch relevanten Daten über Frauen gemeint. Seit Jahrhunderten werden Konzepte, Gegenstände und Medizin an Männer angepasst, obwohl sie für alle gedacht sind. „Das mangelnde Verständnis für den weiblichen Körper und frauenbezogene Themen beeinträchtigt auch heute noch die Gesundheit und das Leben von Frauen. Bei Frauen betreiben Mediziner:innen immer noch medizinisches Gaslighting. Frauen leiden jahrelang unter chronischen Schmerzen und Problemen, werden falsch diagnostiziert, falsch behandelt und missverstanden“, so die leitende Forscherin von theblood, Amy Whitbread.
Besonders deutlich wird dieses verheerende Datengefälle anhand folgender Zahlen: auf jede Forschungsarbeit zu PMS (prämenstruelles Syndrom) kommen ganze fünf Studien zum Thema Erektionsstörung. Letzteres betrifft schätzungsweise 15 Prozent der Männer in Deutschland, während 90 Prozent der Menstruierenden an prämenstruellen Beschwerden leiden.
Ein weiteres Beispiel: Endometriose. Laut dem deutschen Robert-Koch-Institut ist sie die zweithäufigste gynäkologische Erkrankung bei Frauen. Es wird geschätzt, dass etwa 10 bis 15 Prozent aller Frauen im fortpflanzungsfähigen Alter von der gutartigen, aber oft sehr schmerzhaften, Krankheit betroffen sind und jährlich kommen um die 40.000 Neuerkrankungen hinzu. Dennoch vergehen im Schnitt 10,4 Jahre vom Auftreten der ersten Symptome bis zur Diagnose. Bis heute gibt es zur Diagnosestellung keine andere wissenschaftlich etablierte Methode als eine Operation.
Diesen Status Quo wollen Guenou, Santer und der neu ins Boot geholte dritte Co-Founder Dr. Lucas Mittelmeier, der ab sofort für die wissenschaftliche Seite der Produktentwicklung zuständig ist, so nicht hinnehmen. Dafür arbeitet das mittlerweile achtköpfige Team von theblood eng mit einem medizinischen Beirat zusammen, der aus renommierten Forscher:innen, Fachärzt:innen und Laboren besteht. Dazu zählen, unter anderen, auch die Berliner Charité und der deutsche Krankenhausbetreiber Vivantes. Denn für theblood ist klar: Um ihr Produkt auf den Markt bringen zu können, wollen und müssen sie sicherstellen, dass die Wissenschaft dahinter sicher und solide ist.
Und das funktioniert wie?
Das Konzept von theblood basiert auf einem At-Home-Test. Die Menstruationsblutprobe kann ganz einfach selbst Zuhause abgenommen und dann eingeschickt werden. Anhand der Analyse dieser Probe wird ein individueller Gesundheitsbericht über Vitamin- und Hormonhaushalt erstellt und mit Empfehlungen bezüglich Ernährung und Supplements ergänzt.
Was viele Betroffene nicht wissen: Viele dieser Parameter lassen sich bereits durch verbesserte Lebensumstände beeinflussen. So kann beispielsweise eine gesündere Ernährung in vielen Fällen nachhaltig Beschwerden wie Regelschmerzen lindern. Dieses und ähnliches Wissen rund um den weiblichen Zyklus möchte das Label mit anderen Menschen teilen und im besten Fall auch seine Nutzerinnen und deren Ärzt:innen bei einer Diagnosefindung unterstützen.
Zum aktuellen Zeitpunkt umfasst das Angebot drei verschiedene Kits: Das Starter-Kit ist auf gesundheitsbewusste, neugierige Frauen ausgerichtet, die keine konkreten Beschwerden haben, aber gerne mehr über ihren Zyklus erfahren möchten. In dem Kit werden Vitamin B12, Eisen und CRP (C-reaktives Protein, ein Entzündungsparameter) bestimmt.
Variante zwei ist das Hormon-Test-Kit. Dieses zielt auf all jene Personen ab, die Beschwerden während oder im Zusammenhang mit der Menstruation haben. Wie es der Name bereits verrät, liegt der Fokus bei diesem Kit auf den Hormonwerten. Getestet werden Estradiol (das wichtigste Östrogen, Östrogene sind eine von zwei Gruppen von weiblichen Sexualhormonen), Progesteron (Gelbkörperhormon, zählt zur zweiten Gruppe der weiblichen Sexualhormone, am höchsten während der zweiten Hälfte des Zyklus), Testosteron (das wichtigste männliche Sexualhormon, das in geringen Mengen auch im weiblichen Körper vorkommt), FSH (Follikenstimulierendes Hormon, regt die Reifung der Eizelle an, erreicht seinen Höhepunkt während des Eisprungs), LH (Luteinsierendes Hormon, regt den Eisprung an, erreicht seinen Höhepunkt ebenso während des Eisprungs), Prostaglandine (ein Gewebshormon, Prostaglandine der Gruppe 2 fördern Entzündungen und verstärken die Schmerzwahrnehmung) und AMH (Anti-Müller-Hormon, gibt Auskunft über die Anzahl reifungsfähiger Eizellen).
All diese Werte können Hinweise auf etwaige Störungen (wie zum Beispiel PCOS – Polyzystisches Ovar-Syndrom oder Endometriose) geben und die Ergebnisse können beim nächsten Gynäkolog:innen-Besuch eine zusätzliche Hilfestellung sein.
Das dritte Kit ist das Biohacker Test-Kit. Dieses umfasst die Analyse von Vitamin A, Vitamin D, Vitamin B12, Cholesterin, Ferritin, Eisen, Folsäure, CRP, FSH, LH, Estradiol, Progesteron, Testosteron, AMH und DHEA. Dieses Kit ist für Personen gedacht, die ihre Leistung verbessern und ganz genau wissen möchten, was ihr Körper braucht.
Der Markt ist größer als gedacht
Die Nachfrage nach dem Produkt ist groß, das beweisen auch die Zahlen. Allein für den ersten großen Produkttest im vergangenen Jahr haben sich innerhalb von nur drei Tagen 500 Personen angemeldet. Und das, obwohl nur 50 nötig gewesen wären. Der große Ansturm hat selbst Guenou und Santer überrascht. Mittlerweile sind die Tests abgeschlossen und es wird eifrig an der Datenauswertung gearbeitet. Damit ist ein riesiger Schritt in Richtung Markteintritt gelungen. Wenn alles nach Plan läuft, passiert der Launch des ersten Produktes bereits 2023.