StartErfolgMenschenwürde ist nicht verhandelbar: Wie Unternehmen in polarisierten Zeiten Haltung zeigen können

Menschenwürde ist nicht verhandelbar: Wie Unternehmen in polarisierten Zeiten Haltung zeigen können

Unternehmen im DACH-Raum fahren zunehmend ihre Maßnahmen zur Förderung von Vielfalt und Inklusion zurück – oft mit Verweis auf US-Vorgaben oder Compliance-Anforderungen ihrer Mutterkonzerne. Nach einem Jahr mit spürbaren Rückschritten in Sachen Gleichberechtigung stellt sich die Frage: Wo sind die mutigen Leader dieser Gesellschaft?

Text: Sabine Gromer & Christina Huber

Politische Rückschritte in den USA

Seit Anfang 2025 verfolgt die Trump-Administration einen klaren Kurs gegen DEI – also Diversity, Equity und Inclusion – mit Wirkung weit über die USA hinaus.

Ein Auszug: Zwei frühe Executive Orders setzten bundesweite DEI-Programme außer Kraft und schwächten Vorgaben für staatliche Auftragnehmer*innen zum Schutz vor Diskriminierung. Begründet wird das mit „Leistungsprinzip“ und vermeintlicher Chancengleichheit. Ein Narrativ, das strukturelle Barrieren außer Acht lässt.

Sabine Gromer ist Gründerin und Geschäftsführerin der Beratung MagnoliaTree – Top 100 DEI Voice, Executive Coach und Transformationsarchitektin für globale Leader und Organisationen.

Universitäten wie Harvard oder Columbia kämpfen um Bundesmittel wegen angeblich fehlender „ideologischer Vielfalt“, und in Schulen werden Gespräche über Genderidentität und strukturellen Rassismus verboten, legitimiert durch den Vorwand des Kinderschutzes, tatsächlich aber gerichtet gegen wissenschaftliche Erkenntnisse und gesellschaftliche Pluralität.

Solche und ähnliche Regelungen zu kennen, ist relevant, denn sie sind Teil einer politischen Strategie. Debatten, die eine verhältnismäßig kleine Randgruppe betreffen, beispielsweise rund um geschlechtliche Identitäten, werden als emotional aufgeladene Spaltwerkzeuge genutzt und lenken so von zentralen wirtschaftlichen und sozialen Fragen ab.

Die Folgen für Europa

Durch diese Manöver ist auch in Europa eine Verschiebung des gesellschaftlichen Klimas spürbar. So erreichten deutsche Unternehmen mit US-Geschäften Fragebögen mit dem Hinweis: „Bitte bestätigen Sie, dass Sie keine DEI-Maßnahmen mehr unterstützen.“

Mehrere deutsche Konzerne kündigten daraufhin an, ihre Diversity-Initiativen in den USA zurückzufahren, darunter Volkswagen und die Telekom. Der deutsche Softwarehersteller SAP verabschiedete sich von Geschlechterquoten.

Christina Huber ist Facilitatorin und Trainerin bei MagnoliaTree mit Fokus auf DEI und ethischem Leadership sowie Sprache und Kommunikation.

Der jüngste Allbright Bericht zeigt, dass selbst Skandinavien – historisch ein Vorreiter bei Gleichstellung – aktuell stagniert in Sachen Gendergerechtigkeit. CEO- und Chair-Positionen bleiben der engste Flaschenhals. In Dänemark beispielsweise sind nur rund 4% der CEOs und 3% der Chairs börsennotierter Unternehmen weiblich. Und die Effekte der US-Rhetorik und –Regelungen dürften laut des Berichts wohl nach 2025 erst richtig spürbar werden.

Was in den USA als politische Strategie beginnt, wird hier also zur wirtschaftlichen Anpassung.

Kollektive Apathie als Problem

Viele dieser Entwicklungen sind bekannt. Und mit der konstanten Konfrontation kommt leider ein gewisses Maß an Apathie. Darin liegt jedoch ein Risiko: Wenn niemand widerspricht, wird Schweigen als Zustimmung interpretiert.


Praxistipp:

Wer in einer Gesprächssituation bemerkt, dass ideologische Aussagen oder diskriminierende Positionen unwidersprochen bleiben oder Zustimmung finden, sollte Haltung zeigen. Selbst ein sachlich formulierter Widerspruch kann deutlich machen: Nicht alle im Raum teilen diese Sichtweise. Das allein verändert oft bereits die Dynamik.


Ein Use Case für Corporate Social Responsibility

Diese Entwicklungen unterstreichen die Notwendigkeit gelebter Corporate Social Responsibility. CSR bedeutet hier mehr als Spendenberichte, ESG-Kennzahlen oder die Erfüllung regulatorischer Mindeststandards.

CSR heißt in diesem Fall: Klar definieren, wofür ein Unternehmen steht und dieses Werteverständnis konsequent in Entscheidungen und Strukturen übersetzen.


Praxistipp:

Ein praktisches Instrument auf individueller Ebene kann dabei eine einfache, aber wirkungsvolle Frage sein: „Vermehrt das, was ich tue, Würde?“


Wie können Sie diesen Würde-Maßstab konkret anlegen?

Zum Beispiel durch eine Reflexion: Wie fühlt sich eine queere Kollegin, wenn ihr Arbeitgeber die Unterstützung für Pride-Veranstaltungen einstellt? Wie ein zugewanderter Vater im Unternehmen, wenn politische Kräfte unterstützt werden, die sein Aufenthaltsrecht infrage stellen? Und wie steht es um die eigene Integrität, wenn man nicht handelt, obwohl man Unrecht erkennt – mitunter sogar parallel zu einer nach außen kommunizierten Betonung von Diversität?

Echte Maßnahmen statt „Value-Washing“

In der Nachhaltigkeitsdebatte hat sich für strategische Imagepflege ohne substanziellen ökologischen Wandel der Begriff „Green-Washing“ etabliert. Analog dazu steht „Value-Washing“ für Fälle, in denen Organisationen sich öffentlich zu Diversität, und Gleichstellung bekennen, diesem Bekenntnis jedoch keine Taten folgen.

Führungskräfte, die sich glaubwürdig für gesellschaftliche Verantwortung einsetzen wollen, müssen Rahmenbedingungen schaffen, die nachhaltig Inklusion und Gerechtigkeit sichern, auch unter politischem Druck.

Das kann sich unter anderem folgendermaßen manifestieren:

  • Führungskräfteentwicklung so gestalten, dass Vielfalt aktiv gefördert wird.
  • Recruiting- und Performance-Review-Prozesse standardisieren, um den Einfluss von Biases zu reduzieren.
  • Lieferketten systematisch auf menschenrechtliche Verletzungen prüfen.
  • „Neutralität“ nicht als Argument vorschieben, um sich nicht klar positionieren zu müssen.
  • Inklusive Infrastrukturen schaffen – etwa durch Pronomen in E-Mail-Signaturen oder barrierefreie Räume.
  • CSR-Teams unter Budgetdruck nicht zur ersten Kürzungsposition machen.
  • Mitarbeitende, die bestehende Praktiken kritisch hinterfragen, vor Repressalien schützen.

Praxistipp:

Viele dieser Maßnahmen sind auch bei engen regulatorischen Spielräumen möglich – gestützt auf verfassungsrechtliche Prinzipien wie Diskriminierungsfreiheit und den aus der Europäischen Menschenrechtskonvention abgeleiteten Schutz der Menschenwürde.


Denn „Würde ist nicht dasselbe wie Respekt. Wir können entscheiden, ob wir jemanden respektieren oder nicht – aber wir haben nicht das Recht, jemandem seine Würde abzusprechen“, sagt Donna Hicks, Expertin für würdevolles Leadership.

Das bedeutet, unsere Verantwortung endet nicht bei Toleranz. Sie verpflichtet uns dazu, ebendiese Würde aktiv zu wahren. Und dabei können wir nicht auf bessere Rahmenbedingungen warten – wir müssen sie gestalten.


Quellen:

The White House:

  • „Presidential Actions: Ending Radical and Wasteful Government DEI Programs and Preferencing“

  • „Presidential Actions: Ending Illegal Discrimination and Restoring Merit-Based Opportunity“

  • „Presidential Actions: Ending Radical Indoctrination in K-12 Schooling“

Harvard Gazette: „Harvard won’t comply with demands from Trump administration“

Handelsblatt: „Volkswagen: Autobauer passt Diversitätsstrategie an Trumps Vorgaben an“

DIE ZEIT:

  • „DEI-Initiativen: US-Tochter der Telekom gibt Initiativen für Diversität weitgehend auf“

  • „Softwareunternehmen SAP: SAP streicht offenbar Programme für Geschlechtervielfalt“

Allbright Stiftung: „Role Models with Cracks. Gender Equality in Danish, Norwegian, and Swedish Business Sector – Scandinavia Report“


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