Spaniens König Felipe VI. wird bei öffentlichen Ansprachen selten emotional. Doch als er am 20. Oktober dieses Jahres bei der Vergabe der „Prinzessin von Asturien Preise“ im nordspanischen Oviedo auf seine Tochter Leonor zu sprechen kam, war er sichtlich bewegt. „Als Könige und Eltern macht uns ihr Pflichtbewusstsein, ihr Engagement und ihre Illusion, die Zukunft anzugehen, enorm stolz“, sagte der Monarch mit fast zittriger Stimme und blickte zu seiner Tochter hinüber. Danach ergriff die Prinzessin von Asturien selber das Wort.
Die 17-Jährige war zu Beginn ein wenig nervös. Millionen von TV-Zuschauern verfolgten live, wie sie die nach ihr benannten Auszeichnungen vergab. Auf Spanisch, Französisch und sogar auf Arabisch richtete sie sich an die illustren Preisträger. Sie vergibt die auch als „spanischen Nobelpreise“ bekannten Auszeichnungen jedes Jahr in acht verschiedenen Kategorien. Hollywoodstar Meryl Streep, die in der Sparte Künste geehrt wurde, sprach sie im perfekten Englisch an. „Auch wenn uns Generationen trennen, sind Sie alle ein Vorbild für mich, ein besserer Mensch zu werden und das Leben anzugehen“, versicherte Leonor. Ein Leben, das sich derzeit radikal verändert.
Heute, am 31. Oktober 2023, ist die spanische Kronprinzessin volljährig geworden. Feierlich schwor sie im Madrider Parlament ihre Treue auf die spanische Verfassung. Es war ein wichtiger formaler Akt, mit dem die Grundlage für den Fortbestand der spanischen Monarchie gelegt wurde.
Von nun an wird sie auch offiziell ihren Vater vertreten können und diesen sogar als Staatsoberhaupt ersetzen, sollte ihm etwas zustoßen. Während für viele Jugendliche die Volljährigkeit der Start in eine selbstbestimmte Freiheit ist, beginnt für die Kronprinzessin hingegen der vorgesehene Weg zum spanischen Thron. Im Sommer 2021 verließ die oftmals verträumt wirkende Thronerbin das königliche Nest im Zarzuela-Palast im Nordwesten Madrids Richtung Wales. Hier absolvierte sie im Juni am UWC Atlantic Elite-College in Wales ihre Matura. Mitte August begann danach der Ernst des Lebens und die Vorbereitung auf ihre zukünftigen königlichen Pflichten mit der Offiziersausbildung an der Militärakademie in Saragossa.
Drei Jahre lang wird sie alle drei Waffengattungen Heer, Marine und Luftwaffe durchlaufen. Nach dem Heer geht sie zur Luftwaffe nach Murcia und im Anschluss im nordspanischen Pontevedra auf dem Marineschulschiff „Juan Sebastian de Elcano“ zur Matrosin ausgebildet. Kein anderes europäisches Königskind ihrer Generation unterzieht sich einer derart langen Soldatenlehre. Diese Militärausbildung ist für Spaniens Thronerben nicht zuletzt deshalb üblich, weil der König oder die Königin nicht nur offizielles Staatsoberhaupt ist, sondern zugleich auch das Oberkommando des Militärs innehat. Auch Leonors Opa Juan Carlos und Vater König Felipe absolvierten eine dreijährige Militärausbildung.
Seither sieht man die Prinzessin bei Schießübungen, beim Strammstehen, im Gleichschritt marschieren und mit der Tarnfarbe im Gesicht durch den Schlamm kriechen. Natürlich übernachtet auch die Kronprinzessin mit den anderen Soldatinnen im Schlafsaal. Verteidigungsministerin Margarita Robles betonte, dass es für Ihre Majestät keine Extrawurst in der Kaserne geben werde. Nur bekommt sie einen „speziellen Ausbildungsplan“, da die Thronerbin im Gegensatz zu den anderen Offiziersanwärtern weniger für einen möglichen Kriegseinsatz als vielmehr auf ihre künftige Rolle als Oberbefehlshaberin vorbereitet werden soll. Es geht um Führungsfähigkeiten und Disziplin.
Disziplin hat sie ohnedies schon. Von klein auf wurde sie für ihre Rolle als künftige Königin gedrillt. Mit einer strengen Erziehung im Palast und einer exklusiven Ausbildung an Privatschulen. Während andere Abiturientinnen erst mal reisen oder sich am Pool erholen, absolvierte Leonor freiwillig im Mallorca Palast in den Sommerferien mit der Palastwache ein hartes Fitnessprogramm, um für ihre Militärausbildung fit zu sein.
Anfang Oktober leiste sie den militärischen Fahneneid und schwor, wenn nötig, ihr Leben für Spanien im Kampf zu geben. Leonor ist klar, dass sie sich die Achtung des spanischen Volks erst noch erkämpfen muss. Der harte Militärdienst ist ein wichtiger Meilenstein auf diesem Weg. „Ich weiß, wie sehr die Spanier unsere Streitkräfte schätzen. Ich bin mir meiner Pflichten und Verantwortung bewusst“, sagte sie.
Spanische Streitkräfte hoffen auf Popularitätsgewinn
Die spanischen Streitkräfte, die wie die meisten europäischen Berufsarmeen unter chronischem Personalmangel leiden, erhoffen sich von Leonors Einberufung und der medialen Berichterstattung über ihre militärische Ausbildung einen Popularitätsgewinn. Das Militär, das vor allem bei internationalen Friedensmissionen und nationalen Katastrophen hilft, ist innerhalb der Bevölkerung hoch angesehen. Doch die schlechte Bezahlung und das Kasernenleben sorgen dafür, dass das Soldatenleben bei vielen jungen Leuten als wenig attraktiv gilt. Vor allem bei Frauen. Der Frauenanteil ist zwar in den vergangenen Jahren gestiegen, liegt aber immer noch bei nur 13 Prozent. Spaniens Verteidigungsministerin Robles hofft, dass Leonor zum Vorbild wird und der Frauenanteil beim Militär wächst.
Doch auch der Palast erhofft sich von Leonor etwas. Von ihr hängt nämlich die Zukunft der Monarchie ab, dessen Ansehen durch die Exzesse von Leonors Opa Skandalkönig Juan Carlos großen Schaden genommen hat. Wegen seiner Schwarzgeldaffären und Liebschaften dankte dieser sogar 2014 vorzeitig ab. Um seinem Land nicht weiter zu schaden, musste Juan Carlos vor drei Jahren sogar seine Heimat verlassen. Seitdem lebt der 85-Jährige in Abu Dhabi in den Vereinigten Arabischen Emiraten im „Exil“. Seinem Sohn gelang es als neuer König das damals auf dem Tiefpunkt befindliche Prestige des Königshauses zu retten.
Das Madrider Königshaus setzt auf Leonor als erstes weibliches Staatsoberhaupt in Spaniens demokratischer Geschichte, um die unter Felipe eingeleitete Modernisierung der spanischen Monarchie zu beschleunigen. Sie soll dafür sorgen, dass die vielen Politiker vor allem des linken Spektrums sowie die Medien und Beobachter, die immer wieder den Untergang der spanischen Monarchie prophezeien und herbeiwünschen, nicht recht behalten. Der Palast will aber vor allem auch die Bevölkerung nach all den Skandaljahren wieder für die Monarchie begeistern. So scheint die Thronfolgerin die letzten Monate allgegenwärtig in den Nachrichten zu sein. Und das Königshaus selbst verteilt großzügig Fotos und Videos von ihrer Ausbildung in der Militärakademie sowie anderen, immer häufiger werdenden öffentlichen Anlässen.
Der Zweck ist klar: Die Prinzessin soll der Gesellschaft als Nachfolgerin von König Felipe VI. präsentiert werden. Denn kaum jemand kennt sie eigentlich. Schuld daran ist vor allem „Hubschrauber“-Mutter Königin Letizia, die bisher eifersüchtig die Privatsphäre von Leonor und ihrer kleineren Schwester Sofía schützte. „Im Gegensatz zu Kronerben anderer europäischer Königshäuser ist nur wenig über Leonor und ihre Persönlichkeit bekannt“, versichert die spanische Palastkennerin Pilar Eyre. Sie spielt gerne Volleyball, tanzt Ballett, reitet, geht gerne ins Kino und spielt Cello. Sie ist ein wenig schüchtern. Gleichzeitig sei sie ein besonnenes, gut organisierten Mädchen und eine gute Schülerin. Sie gilt als sportlich, fleißig und pflichtbewusst. „Doch das war es auch schon. Was aber macht sie im Alltag? Wie sieht ihr Privatleben aus? Wer sind ihre Freunde? Geht sie auch mal aus? Eigentlich wissen wir nichts über Leonor“, bedauert Pilar Eyre. Sie hat nicht einmal einen Tik Tok-, Instagram- oder Facebook-Account, wo man mehr über sie erfahren könnte. Vielleicht entfacht die plötzliche und vom Palast choreografierte mediale Omnipräsens auch gerade deshalb diese neue Welle royaler Hochgefühle, wie die Spanier sie schon lang nicht mehr erlebt haben. Der adelige Teenager wird gerade zum neuen Star des spanischen Königshauses gepuscht. Spaniens Medien sprechen bereits von einer „Leonor-Euphorie“, die das Land erfasst hat. Ihr Gesicht schmückt die Frontseiten aller Gesellschaftsmagazine.
Royales Role Model für die spanische Jugend
Die Erwartungen und Hoffnungen an Leonor sind enorm. Laut einer jüngsten Umfrage der Zeitschrift HOLA sind 54,7 Prozent der Spanier davon überzeugt, Leonor stelle ein gutes Vorbild für die spanische Jugend dar. Fast 60 Prozent sind überzeugt davon, sie werde als zukünftige Königin auch viel für die Rolle der Frau in der spanischen Gesellschaft tun. Doch bis es soweit ist, muss sie erst einmal ihre Offiziersausbildung absolvieren. Danach will sie studieren. Was genau, verriet sie noch nicht. Vielleicht tritt sie auch mit ihrer akademischen Ausbildung in die Fußstapfen ihres Vaters: König Felipe studierte nach seiner Armeeausbildung in Madrid und Washington Jura und internationale Beziehungen.