Andrea Hagmann war federführend am Aufbau der Österreichischen Entwicklungsbank AG beteiligt, die Finanzierungen für nachhaltige private Projekte in Entwicklungsländern bereitstellt. Von der Gründung im Jahr 2008 bis 2017 war sie im Vorstand der OeEB. Seit 2018 ist sie selbständig und unter anderem in Leitungs- und Entscheidungsgremien von Mikrofinanzfonds und -banken tätig. Seit letztem Jahr ist Hagmann auch kooptiertes Vorstandsmitglied des Förderkreises Oikocredit Austria.

Welches Klischee rund um Frauen im Job können Sie nicht mehr hören? Haben Sie das Gefühl – oder können es sogar aus Ihrem eigenen Berufsleben bestätigen – dass sich Frauen in ihrem jeweiligen Job oft doppelt oder dreifach anstrengen müssen?

Ich wundere mich oft, dass das Geschlecht in der Arbeitswelt vielerorts auch 2020 noch immer so ein wichtiges Thema ist und dass es hier offenbar immer noch viele Klischees gibt. Ich persönlich habe diese Art von Fokussierung nie nachvollziehen können, wie ich ganz generell nichts davon halte, Menschen zu schubladisieren. Viel wichtiger ist es ja, jeden Menschen als Individuum zu sehen, seine Einzigartigkeit zu entdecken und dann genau darauf aufzubauen. Es sollen doch diejenigen zum Zug kommen, die am besten für die Bewältigung einer Aufgabenstellung geeignet sind. Das Geschlecht sollte hier mit Sicherheit keine Rolle spielen.

Trotzdem finde ich es natürlich gut und wichtig, dass Frauen heute verstärkt und gezielt unterstützt werden. Gerade auch in benachteiligten Ländern ist das immer noch fast schon eine Voraussetzung, um ihnen überhaupt erst einmal die Chance zu eröffnen, ihre Potentiale sichtbar zu machen. Frauen spielen dort eine besonders wichtige Rolle für die Familien, weil die meisten von ihnen das Geld, das sie verdienen, vorrangig für die Gesundheit, die Ernährung und Ausbildung ihrer Kinder einsetzen. Bei Männern ist das hingegen nicht unbedingt immer der Fall. Daher sind 86 Prozent der KreditnehmerInnen der Mikrofinanzinstitutionen, die Oikocredit refinanziert, auch Frauen.

Sind Sie eigentlich eine Feministin?

Mir sind Werte wie Gleichberechtigung, Menschenwürde und Selbstbestimmung selbstverständlich sehr wichtig und in diesem Sinne verstehe ich mich auch als Feministin, ja.

Andrea Hagmann © Oikocredit

Was war die größte Hürde, die Sie auf Ihrem bisherigen Karriereweg gemeistert haben? Wie gehen Sie mit beruflichen Rückschlägen um?

Die größten Hindernisse stellt man sich bekanntlich oft selbst in den Weg. Meistens geht es ja darum, dass man sich gewisse Aufgaben nicht zutraut, weil man glaubt, nicht gut genug zu sein. Wenn man diese Blockade einmal abgebaut hat und sich auch zugesteht, erst an den Aufgaben wachsen zu können, anstatt sie von Anfang an perfekt machen zu müssen, dann eröffnen sich ganz neue Perspektiven. Das habe ich auch erst lernen müssen. Ich persönlich bin immer besser gefahren, nicht andere verantwortlich zu machen, wenn Dinge nicht klappen, sondern mich darauf zu konzentrieren, nachzudenken was ich tun kann, um wieder einen Schritt weiter zu kommen. Und manchmal ist halt einfach die Zeit noch nicht reif für eine Sache und dann gilt es eben noch eine Tasse Tee zu trinken und abzuwarten, bis sich eine neue Tür auftut.

»Meine grundsätzliche Offenheit Neuem gegenüber und meine Begeisterungsfähigkeit dafür, gemeinsam mit anderen etwas Positives zu schaffen, sind wohl zwei Eigenschaften, die sich karrieremäßig bei mir als hilfreich erwiesen haben.«

Welche drei Eigenschaften helfen Ihnen dabei, erfolgreich zu sein?

Zunächst muss jeder erst einmal für sich selbst definieren, was Erfolg überhaupt ist. Für mich hat sich das zudem im Verlauf meines Lebens mehrmals geändert. Aber abgesehen davon: Meine grundsätzliche Offenheit Neuem gegenüber und meine Begeisterungsfähigkeit dafür, gemeinsam mit anderen etwas Positives zu schaffen, sind wohl zwei Eigenschaften, die sich karrieremäßig bei mir als hilfreich erwiesen haben. Gerade in einer Zeit, die von rasanten technologischen Fortschritten und viel Unsicherheit geprägt ist, wie etwa jetzt ganz aktuell durch COVID-19, erscheint es mir wichtig nicht nur an Altbewährtem festzuhalten, sondern sich auch für Neues zu öffnen – auch wenn das manchmal schwerfällt. In dieser Hinsicht können wir übrigens viel von Entwicklungsländern lernen. Die schnelle Ausbreitung der Mobiltelefonie in Afrika und die daraus entstandenen mobilen Zahlungsmethoden wie z.B. mobile money erleichtern dort das Leben vieler Menschen. Sie können mit ihrem Mobiltelefon zum Beispiel die Raten für eine Mikrosolaranlage für ihre persönliche Energiegewinnung begleichen, und zwar ohne ein eigenes Bankkonto zu besitzen. In dieser Hinsicht sind uns die AfrikanerInnen also weit voraus. Und weil wir grade bei Innovationen sind – da ist natürlich auch Beharrlichkeit gefragt, die hat mir in meinem Leben ebenfalls oft geholfen.

Was motiviert Sie jeden Tag Ihr Bestes zu geben?

Wir leben in einer Zeit, in der es oft um Höchstleistungen geht und wir sehen auch, dass das manchmal weder für einen selbst noch für das Gemeinwesen dann unbedingt das Beste ist. Das Leben ist eben wirklich kein Sprint, sondern ein Marathon, und da heißt es sich die Kraft gut einzuteilen. Gemessen wird das Ergebnis am Ende. Und das besteht eben aus vielen Faktoren und spiegelt sich auch darin, wie man die schlechten Phasen gemanagt hat und ob man auch genug Pausen gemacht hat.

Haben Sie ein weibliches Vorbild? Mit welcher erfolgreichen Frau würden Sie gerne einmal zu Mittag essen und warum?

Spontan fällt mir dazu die Flüchtlingshelferin Ute Bock ein. Die war immer schon ein Vorbild für mich und mit der wäre ich wirklich gern essen gegangen. Leider ist sie ja schon verstorben. Vermutlich wären wir beim Würstlstand gelandet. Das hätte gut zu ihr gepasst, bekanntlich hat sie auf Luxus keinen Wert gelegt. Warum Ute Bock? Weil sie sich immer selbst treu geblieben ist und große Authentizität ausgestrahlt hat. Sie hat das, was sie gut konnte, nicht nur gemacht, sondern auch gelebt. Ganz wichtig war für sie dabei immer vor Ort zu sein, mit den Flüchtlingen und Asylwerbern intensiven Kontakt und Austausch zu haben, um zu verstehen was diese zum Führen eines selbstbestimmten Lebens brauchen.

Und genau das, das »vor Ort sein« und gut zuhören zu können, ist auch in der Entwicklungszusammenarbeit und in der Mikrofinanz im Besonderen ganz wichtig. Genau aus diesem Grund arbeitet etwa auch Oikocredit mit Partnern vor Ort zusammen, Es geht darum, zu verstehen, welche Bedürfnisse die Menschen vor Ort haben, nur so kann man ihnen die richtigen Kreditprodukte anbieten und ihnen wirklich helfen.

Ein Wort noch zu Ute Bock: Sie hat gezeigt, wie man Menschen wieder ihre Würde geben kann, damit wir alle gemeinsam ein gutes Leben führen können und das sehe ich auch als Teil meiner Arbeit in der Mikrofinanz.

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