Jede Firma ist so ein bisschen wie eine Familie. Jede Familie / Firma hat eine eigene Art, mit ihren Mitgliedern / Mitarbeitenden umzugehen und wie es im Inneren zugeht, weiß man erst, wenn man hineingeheiratet /dort angeheuert hat. Also wenn es schon zu spät ist.
Leider bekommt man derart intime Einblicke eben erst, wenn man den Vertrag unterschrieben hat. Dabei ist der Umgang miteinander aus meiner Sicht das, was darüber entscheidet, ob ich Spaß an dem Job habe oder nicht. Das Betriebsklima ist derart wichtig, dass sogar die eigentliche Aufgabe hintenansteht.
Natürlich gibt das Auswahlverfahren einen gewissen Einblick, auch wenn dir im Vorstellungsgespräch keiner sagen wird, dass der Chef umso cholerischer wird, je länger sein letzter Urlaub zurück liegt, oder dass deine Vorgängerin wegen grober Unfähigkeit hinauskomplementiert wurde. Aber man erkennt trotzdem, dass es so viele verschiedene Firmenkulturen gibt wie Sandkörner am Meeresstrand.
Den ersten Kulturschock bekam ich bei einem Vorstellungsgespräch in einer Bundesbehörde. Ich wollte den Job unbedingt haben, denn er passte wie die Faust aufs Auge zu meinen Qualifikationen, versprach verhältnismäßig viel Geld und wenig Stress (so zumindest meine Hoffnung). Trotzdem kamen mir gleich beim ersten Eindruck Zweifel, ob ich in dieser heilen Welt wirklich glücklich werden könnte. Die Behörde wurde in den späten vierziger Jahren gegründet und schien dort auch stehen geblieben zu sein. Die weißen Wände, die grauen Teppiche und die niedrigen Decken schienen aus der Adenauer-Zeit zu stammen, als in Deutschland noch Ordnung herrschte. Ich habe die Bonner Republik nicht erlebt, aber so muss es gewesen sein.
Draußen hatte es 36 Grad, die Klimaanlage kam nicht mehr mit. Ich hatte zwar einen Blazer mit, aber ich konnte es nicht über mich bringen, ihn anzuziehen. Die Herren mir gegenüber verstanden mein Problem offensichtlich nicht. Sie trugen jeweils einen Dreiteiler mit Krawatte, die Dame hatte über dem perfekten Bürokleid mit Strumpfhose (bei 36 Grad! schrie alles in mir) einen perfekten Blazer drapiert. Als ich am Ende des Gesprächs die Frechheit besaß, nach der Home-Office-Regelung zu fragen, entglitten meinem potenziellen Chef die Gesichtszüge.
Trotzdem war ich ungeheuer enttäuscht, als die Absage kam und bewarb mich ein Jahr später gleich wieder. Inzwischen hatte der Betriebsrat nämlich eine Regelung durchgesetzt, nach der bis zu 60 Prozent Home Office möglich waren. Selbst die Adenauer Behörde muss mit der Zeit gehen. Und für rund 80.000 brutto trage ich auch mal im Hochsommer eine Strumpfhose.
Eine Woche später hatte ich ein Gespräch in einer SAP-Beratung. Ihre Zentrale war in tiefster niederbayrischer Provinz, meine Gesprächspartner sprachen Dialekt und ich fühlte mich in meine Studienzeit im idyllischen Passau zurückversetzt. In der Firma war man per Du, die Bürotüren der Chefs stand immer offen und ich wäre mit meinen jungen 40 Jahren eine der Ältesten in der Belegschaft gewesen. Vielleicht hätte es auch keiner gemerkt, da dort alle, die nicht in der bayrischen Provinz lebten, zu 100 Prozent im Home Office arbeiteten. Prima, säuselte ich in die Zoom-Kamera. Genommen haben die mich trotzdem nicht. Sie wollten lieber jemanden, der schon Erfahrung in der SAP-Beratung hat. Ich habe ja auch nicht behauptet, dass ich die hätte. Warum habt ihr mich dann eingeladen, gottverdammtnochmal?
Dieser Streifzug durch die deutsche Firmenlandschaft wäre ja ganz spannend, wenn er schnell zu einem Job führen würde. Aus reiner Neugierde würde ich mir diese „Reise“ nicht antun, denn Jobsuchen ist verdammt anstrengend. Da ich aber immer noch kein Angebot habe, „reise“ ich weiter. Wo ist denn nun mein toller nächster Job?