Wenn Dorothee Bär in Siebenmeilenschritten durch die Korridore ihres Ministeriums eilt, fällt es schwer, ihr zu folgen. Sie hat es eilig, denn es gibt viel zu tun. Als neue Bundesministerin für Forschung, Technologie und Raumfahrt soll die CSU-Politikerin endlich den Innovationsmotor anwerfen und die technologische Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands sichern.
Dafür investiert die Bundesregierung bis 2029 18 Milliarden Euro in sechs Schlüsseltechnologien: Künstliche Intelligenz, Quantentechnologie, Mikroelektronik, Biotechnologie, Fusionsforschung sowie klimaneutrale Energie und Mobilität. Im Interview erklärt Bär, wie sie das „Tal des Todes“ zwischen Labor und Markt überwinden will, warum Bürokratie und fehlender Gründergeist Deutschland immer noch ausbremsen – und wieso sie trotzdem optimistisch ist, dass die Bundesrepublik zum Taktgeber der Zukunft werden kann.
„Wir forschen auf höchstem Niveau – aber andere verdienen viel zu oft das Geld.“
Frau Bär, Sie sind seit dem 6. Mai 2025 Bundesministerin für Forschung, Technologie und Raumfahrt. Wie fällt ihr Resümee aus?
Die ersten 100 Tage waren ein ordentlicher aber auch sehr erfolgreicher Ritt. Wir haben beispielsweise die Hightech Agenda Deutschland nicht nur erarbeitet, sondern mit allen anderen Ministerien der Bundesregierung abgestimmt und noch vor der Sommerpause einstimmig durchs Kabinett gebracht. Parallel ging unser 1.000 Köpfe Plus Programm an den Start.
Sie setzen dabei auf sechs Schlüsseltechnologien, die Deutschland wieder wettbewerbsfähig machen sollen. Wo liegen die größten Herausforderungen?
Wir forschen auf höchstem Niveau, aber viel zu oft verdienen andere das Geld damit. Ob in KI, Biotechnologie, Fusionsforschung oder bei klimaneutraler Energie und Mobilität: In Wissenschaft und Forschung und an unseren Hochschulen sind wir großartig. Aber gerade bei Ausgründungen, beim Transfer in die Praxis, stoßen wir immer noch auf eine klaffende Lücke. Das heißt: Die Forschung ist da, aber daraus entsteht zu selten ein Start-up oder ein tragfähiges Geschäftsmodell. Ziel ist es jetzt, unsere PS endlich auf die Straße zu bringen, beispielsweise durch unsere Hightech Agenda Deutschland.
Wie wollen Sie das schaffen?
Die Integration des photonischen Prozessors von Q.ANT in das Leibniz-Rechenzentrum ist ein beeindruckender Beweis für deutsche Spitzentechnologie und eine Erfolgsgeschichte der deutschen Forschungsförderung. Über unsere Agentur für Sprunginnovationen SPRIND geben wir visionären Ideengeberinnen und Ideengebern die Chance, ihre radikal neuen Innovationen auf den Markt zu bringen. Ein anderes Beispiel ist die Initiative KMU-innovativ, über die das BMFTR Spitzenforschung im deutschen Mittelstand, auch im Verbund mit der Wissenschaft, fördert.

Laut Industrie- und Handelskammer ist die deutsche Bürokratie nach wie vor eine der größten Wirtschaftsbremsen…
Ja, das ist ein Teil der Herausforderung, vor der wir stehen. Aber es kommt noch etwas anderes hinzu: Der Gründergeist steckt hierzulande nicht wirklich in der DNA. Wenn ich in Schulklassen frage, wer sich vorstellen kann, mal ein Unternehmen aufzubauen, meldet sich vielleicht einer oder eine von hundert. Der zündende Gedanke kommt jungen Menschen häufig erst bei einem Auslandsaufenthalt, beispielsweise in den USA oder in England. In Deutschland dominiert nach wie vor der Wunsch nach Sicherheit – und die Sorge, dass es die Unabhängigkeit der Wissenschaft gefährde, wenn Ergebnisse in monetäre Anwendungen münden.
Wie meinen Sie das?
Als ich mein Amt angetreten habe, stand in vielen Porträts über mich, ich sei als Forschungsministerin viel zu wirtschaftsfreundlich. Allein, dass es negativ bewertet wird, wenn man Wissenschaft und Wirtschaft zusammen denkt, zeigt doch, dass etwas schiefläuft. Dabei widerspricht das eine dem anderen nicht. Ein gutes Beispiel ist der Supercomputer „Jupiter“ am Forschungszentrum Jülich, den ich kürzlich gemeinsam mit dem Bundeskanzler einweihen durfte. Mit einer Rechenleistung von mehr als einer Trillion Operationen pro Sekunde ist er der schnellste Computer in Europa und der viertschnellste der Welt. So ein System wird nicht dafür genutzt, ein paar Spielereien oder Memes zu produzieren, sondern für KI-Anwendungen, die unter anderem die Krebsforschung unterstützen. Wissenschaft ist kein Selbstzweck. Letztlich geht es immer darum, die Gesellschaft voranzubringen und unseren Wohlstand zu sichern. Das müssen wir endlich verstehen.
Sie wollen Deutschland zum Innovationsführer machen. Gleichzeitig besteht im internationalen Vergleich noch Nachholbedarf bei der digitalen Infrastruktur. Wie erklären Sie diesen Widerspruch?
Unter der Ampel wurde die Digitalpolitik leider verschlafen – manche Uhren sind sogar zurückgedreht worden. Das hat uns rund dreieinhalb Jahre gekostet. Gleichzeitig ist aber auch schon viel erreicht worden: Heute haben 78 Prozent der Haushalte Zugang zu gigabitfähigen Anschlüssen, 95 Prozent der Fläche sind bereits mit 5G versorgt. Und im Bitkom Digital Index ist Deutschland im vergangenen Jahr um zwei Plätze nach oben geklettert. Wir waren vielleicht keine Early Adopter, aber wir haben aufgeholt.

Für den schleppenden Start Deutschlands ins digitale Zeitalter werden auch Sie persönlich verantwortlich gemacht. Schließlich waren Sie von 2018 bis 2021 Staatsministerin für Digitalisierung im Kanzleramt…
Richtig war, in dieser Legislaturperiode einen Digitalminister mit eigenem Haus zu installieren. Er hat das Glück, zahlreiche Mitarbeiter, Entscheidungskompetenzen und ein Budget zu haben. In den vier Jahren im Amt hatte ich genau null Euro Budget und zwei Mitarbeiter. Jeder Beauftragte für Hintertupfing hatte mehr Mittel und Personal. Meine Aufgabe war es, die Ministerien untereinander zu vernetzen.
Hat man Ihnen mit der Kritik also Unrecht getan?
Das ist keine Kategorie, in der ich denke. Dann hätte ich nicht in die Politik gehen dürfen. Aber würde ich den Posten unter solchen Voraussetzungen noch einmal akzeptieren? Sicherlich nicht. Mittlerweile habe ich als Forschungsministerin mehr als 20 Milliarden Budget und 1.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das ist schon ein großer Unterschied.
Ein Teil Ihres Etas soll der Forschung rund um das Thema Frauengesundheit zugutekommen. Was planen Sie konkret?
Die geschlechtersensible Medizin zu stärken, ist dringend notwendig. Ich habe unter anderem die Fördergelder für die Endometriose-Forschung in diesem Jahr mehr als verdoppelt – auf 8,5 Millionen Euro. Das ist immer noch zu wenig, aber ein Schritt in die richtige Richtung. Ich habe mich bislang in allen meinen politischen Positionen für das Thema Frauengesundheit eingesetzt und bin stolz darauf, dass mittlerweile auch alle Männer in meiner Fraktion unter anderem das Wort Endometriose richtig aussprechen können.

Gleichberechtigung hängt auch von politischer Teilhabe ab. Wie fördern Sie diese – etwa innerhalb Ihrer eigenen Partei, die nach wie vor einen niedrigen Frauenanteil hat?
Ich bin seit vielen Jahren Mentorin für junge Frauen, die sich vorstellen können, in die Politik zu gehen. Frauen zögern viel deutlicher als Männer, diesen Schritt überhaupt zu wollen. Mich beschäftigt allerdings weniger die Zahl der Frauen im Bundestag – auch wenn mehr als ein Drittel natürlich noch zu wenig ist. Viel gravierender finde ich die Situation in der Kommunalpolitik. Dort haben wir seit Jahren eine Art stabile Negativquote: Nur rund zehn Prozent der Bürgermeister*innen und Landrät*innen waren Frauen, zuletzt ist dieser Wert sogar noch einmal auf neun Prozent gesunken. Das ist ein inakzeptabler Zustand.
Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Frauen müssen sich in der Kommunalpolitik noch stärker exponieren und werden zur Zielscheibe von Hass. Als ich vor 23 Jahren im Bundestag angefangen habe, wurde ich noch per Fax beleidigt. Heute erleben Politikerinnen Kritik, oft auch Diffamierung, in Echtzeit auf Social Media und häufig einhergehend mit sexualisiertem Kontext. Das macht einen großen Unterschied. Junge, gut ausgebildete Frauen entscheiden sich dann eher dafür, an weniger exponierter Stelle zu arbeiten.
Der Zusammenhalt unter Frauen scheint Ihnen am Herzen zu liegen: 2020 verließen Sie zum Beispiel aus Solidarität mit der SPD Politikerin Sawsan Chebli die Ludwig-Erhard-Stiftung wegen eines sexistischen Artikels. Gleichzeitig werden Sie immer wieder heftig von Feminist*innen angegangen. Wie passt das zusammen?
Das müssen sich eher die Absenderinnen und Absender überlegen. Ich habe oft gehört, man könne keine Feministin sein, wenn man CSU-Mitglied ist, welch absurder Gedanke. Ich erlebe in den letzten Jahren, dass gerade die vermeintlich Toleranten oft am intolerantesten sind. Persönlich komme ich mit Kritik gut zurecht. Resilienz ist mein zweiter Vorname. (lacht)
Ein Kritikpunkt betrifft Ihre Haltung zum Paragrafen 218, der einen Schwangerschaftsabbruch als Straftat einstuft. Sie lehnen eine Abschaffung bislang ab. Könnte sich Ihre Meinung dazu in Zukunft noch ändern?
Das hat nichts mit Meinung zu tun. Ich habe mich jahrelang damit beschäftigt und bin davon überzeugt, dass der bestehende Kompromiss gesellschaftlich trägt, weil er beides berücksichtigt: das Leid der Mutter, das emotional sehr real ist, und gleichzeitig das ungeborene Kind mit seinem Recht auf Leben. In Deutschland kann straffrei abgetrieben werden – und ich bin immer bereit die Versorgung auszubauen, damit Frauen die bestmögliche Beratung und Unterstützung bekommen. Einen Kulturkrieg wie in den USA müssen wir unter allen Umständen vermeiden. Denn hier geht es darum, dass jede schwangere Frau unsere ganze Aufmerksamkeit, unsere Fürsorge und verlässliche Begleitung verdient.

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