Frau Rosam, Interior ist längst zum neuen Statussymbol geworden – woran liegt es, dass Stil heute fast mehr über uns aussagt als Mode?
Interior erzählt heute weit mehr über uns als Fashion, weil unsere Wohnräume zum verlängerten Selbstporträt avanciert sind. Es ist der neue Ausdruck von Identität, nirgendwo sonst kann die Persönlichkeit eines Menschen so sehr gezeigt werden, wie im Interior-Design. Denn wir wissen alle: Mode ist schnell, saisonal und austauschbar. Ein Wohnstil dagegen gilt als bewusste, durchdachte Entscheidung, die nachhaltig wirkt und eine emotionale Heimat geben soll. Dieser intensive Zugang zu Interior hat natürlich auch Corona befeuert: unser Zuhause ist für viele heute Arbeitsort, Rückzugsort, Fitnessstudio oder Café und Bühne zugleich. Nach dem Motto: Zeig mir dein Zuhause und ich sag dir wer du bist!
Warum die Living Design Awards – was war Ihr „Warum“ hinter der Plattform, und wie zeigt sich deren Wirkung heute?
Die österreichische Designszene ist leider noch immer sehr unterrepräsentiert. Es liegt uns viel daran, uns als Plattform in der österreichischen Designlandschaft immer stärker zu etablieren, um Kreative sichtbar zu fördern. Awards haben eine nicht zu unterschätzende Signalwirkung und können ein Sprungbrett für eine vielversprechende Karriere sein. Wir wollen talentierten Designer*innen die Sichtbarkeit und die Präsenz geben, die sie verdienen und die sie vielleicht sonst nicht so einfach bekommen. Und wenn heimische Projekte im Rahmen solcher Awards gewürdigt werden, steigert das natürlich auch das Ansehen des gesamten Kreativstandorts Österreich.
So auch heuer: wir haben die LIVING Design Awards zum dritten Mal und erstmals im MAK vergeben. Eine wunderbare Bühne für Design. Auch internationale Brands wie Herzog & de Meuron, die Bjarke Ingels Group aus Dänemark oder der Star-Designer Marcel Wanders als Lebenswerk-Gewinner waren dabei. Es kam zu einem intensiven und inspirierenden Austausch der Branche, der mit neuen Projekten bereits jetzt Wirkung zeigt.
Welche Gewinnerin/Finalistin bleibt Ihnen besonders in Erinnerung?
Ich habe keinen Favorit oder Favoritin. Ich ziehe vor allen den Hut. Es sind alle besondere Talente, egal ob es Newcomer sind oder bereits Arriviertere. Ein Award löst immer große Emotionen aus, sowohl in der Jury als auch bei den Teilnehmer*innen. In Erinnerung sind mir zweifellos alle geblieben. Wir wählen die Kreativen und deren Projekte mit Bedacht aus, so können wir mit gutem Gewissen sagen, dass wir in Zukunftsfähigkeit investieren.
Braucht es eigene Female-Kategorien – oder ist stärkere Sichtbarkeit innerhalb gemischter Kategorien wirksamer?
Female-Kategorien sorgen sicherlich für Aufmerksamkeit, wo das System noch blinde Flecken hat. Sie machen Gestalterinnen sichtbar, die trotz Talent oft nicht im Fokus stehen. Doch ihr Nachteil ist offensichtlich: Separate Kategorien schaffen die klassischen Parallelwelten – und der wichtigste Ort kultureller Wertschätzung bleibt weiterhin männlich dominiert.
Wirksamer ist sicherlich eine Haltung, die Frauen in den großen, gemischten Kategorien nicht nur mitdenkt, sondern auch auszeichnet. Gutes Design ist eben gutes Design. Und Gleichstellung zeigt sich nicht im Sonderpreis, sondern dort, wo die großen Trophäen vergeben werden.
Was können Medien, Awards und Auftraggeber*innen jetzt ändern, damit mehr Frauen nach vorne kommen?
Medien entscheiden jeden Tag darüber, wer sichtbar wird und wessen Expertise als relevant gilt. Genau deshalb können sie auch am schnellsten Wirkung entfalten.
Wenn Frauen also in Medien häufiger vorkommen, verändert das nicht nur die Berichterstattung – es verschiebt ihr gesellschaftliches Standing. Genauso ist es bei Awards: diese sind mehr als nur Auszeichnungen oder glamouröse Trophäen. Sie sind Verstärker. Sie definieren, was als Erfolg gilt, zeigen, dass hart gearbeitet wird, wer als Vorbild gefeiert wird und welche Geschichten weitererzählt werden sollen. Darum sind sicherlich auch neue Jury-Strukturen notwendig, die man divers besetzen sollte – quasi 50:50. Frauen bewerben sich auch statistisch gesehen weniger als Männer. Das merkt man. Deshalb wäre es wichtig Frauen aktiv zu nominieren und auch Netzwerke zu nutzen, wo Frauen sichtbarer gemacht werden können.
Welche Herausforderungen sehen Sie bei talentierten Designerinnen am häufigsten – und welche Entscheidungen beschleunigen Karrieren?
Sichtbarkeit, Sichtbarkeit! Viele Designerinnen kreieren eine tolle Arbeit, veröffentlichen aber sie viel zu wenig. Frauen sollen sich trauen, ihre Ambitionen klar auszusprechen: Ja, ich will eine Leadership annehmen! Ich will zeigen, was ich kann! Ich arbeite strukturiert und ich kann führen! Nichts daran ist falsch, sondern eher mutig. Und auch besonders wichtig, da man sie sonst ebenso nicht bei wichtigen Geschäftsentscheidungen integriert, sondern eher überrollt.
Nachhaltigkeit, Qualität, Herkunft – all das spielt heute auch beim Wohnen eine Rolle. Wie verändert dieser Wertewandel die Welt des Interior-Designs?
Menschen wollen heute Räume, die nicht nur schön aussehen – sondern sich richtig anfühlen. So sind Materialien mit Charakter, Möbel mit Geschichte und Designs, die lange bleiben dürfen, mehr im Fokus, denn sie ersetzen den schnellen Konsum.
Transparente Produktion, regionale Manufakturen und natürliche Stoffe schaffen Vertrauen und ein tiefes Gefühl von einem Zuhause. Interior-Designer*innen werden dabei zu Erzähler*innen: Sie verbinden verantwortungsvolle Entscheidungen mit warmer Atmosphäre und zeitloser Ästhetik. Das Ergebnis: Räume, die gut für uns Menschen sind, sind auch gut für die Welt.
Können neue Technologien im Design zum Hebel werden, der mehr Frauen in die Technik bringt?
Mit Sicherheit können neue Technologien ein enormer Hebel sein, um Frauen mehr in technische Felder zu hieven. Aber nicht deshalb, weil die Technik nun plötzlich einfacher wird. Sondern eher, weil sich durch neue Tools die Art des Zugangs, die Kultur und die Machtverteilung verändert.
Wie wird KI die Arbeit von Designer*innen und die Branche konkret verändern?
Die KI ist in der Designbranche wichtig und wird in der Tat alles radikal verändern. Alles, was bisher geschehen ist, ist erst der Anfang. Sie entfernt Routine und öffnet Raum für Strategie, Kreativität, Vision und Führung. Viele große Designer*innen wie Kelly Wearstler, Philippe Starck oder Marcel Wanders sehen hier viele neue Chancen Zugänge neu zu definieren.
Die Branche wird aber dadurch auch viel schneller, hybrider, datengetriebener und darum ist es ganz wichtig, die menschliche Haltung und Verantwortung nicht abhanden kommen zu lassen. Kurz: Die KI nimmt Designer*innen zwar Arbeit ab, aber die Macht muss bei uns Menschen bleiben.
Zum Schluss: Ihr wichtigster Rat an Jungdesignerinnen?
Zeigt eure Skills, euren Einsatz, eure Arbeit – früh und oft. Wartet nicht auf Perfektion. Macht Networking so viel und so oft es geht. Versucht die richtigen Kanäle rauszufiltern, mit denen ihr weiter kommt. Sichtbarkeit schafft Chancen und gibt Selbstvertrauen. Und nutzt neue Technologien mutig – sie geben euch Macht, eure eigene Stimme, euren eigenen Stil und helfen euch euren eigenen Weg zu prägen.
Weiterlesen:
Schmückt wie gedruckt – wie Marie Boltenstern Code in Gold verwandelt