Im Juli und August lag die Inflation in Österreich bei 7 Prozent. Was für niemanden angenehm ist, trifft eine Bevölkerungsgruppe besonders hart: ältere Frauen. 11 Prozent der Männer und 18 % der Frauen über 65 gelten in Österreich als armutsgefährdet. In Deutschland gilt das gar für 38% aller Frauen, die Vollzeit gearbeitet haben. Da Frauen älter werden als Männer, gibt es in absoluten Zahlen jedoch doppelt so viele armutsgefährdete Frauen wie Männer.
Dabei gehen Frauen mit ihren Finanzen sparsamer um als Männer, sagt Karolina Decker. Mit finmarie hat Decker 2018 ein Finanzdienstleistungsunternehmen gegründet, das speziell auf Frauen ausgerichtet ist. In geschützten Räumen lernt ihre weibliche Zielgruppe das Einmaleins des Investierens und bekommt außerdem die Möglichkeit, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen – ohne einschüchternden Finanzjargon und Performancedruck. Und das ist wichtig. Denn Frauen haben ihre Finanzen gut im Griff, legen jedoch zu viel Fokus auf Sparen, statt ihr Geld zu investieren und für sich arbeiten zu lassen.
Sparbuch adé!
Frauen und Männer finden oft unterschiedliche Voraussetzungen an ihren Arbeitsstätten vor. Das schlägt sich auch in der Finanzbranche und der Altersabsicherung nieder. Denn Karriereunterbrechungen durch Karenz und Teilzeit nach der Geburt sind weiterhin hauptsächlich weibliche Angelegenheiten. Und sie führen unweigerlich zu geringerem Einkommen und weniger Aufstiegschancen. Um nicht vom Gender-Pay-Gap in den Pension-Pay-Gap zu rutschen, empfiehlt Decker, den Fokus vom Sparbuch auf Anlageformen wie ETF’s zu legen, denn das sei einfach und mit geringen Hürden verbunden: „ Früher waren Finanzprodukte schon alleine deswegen abschreckend für Frauen, weil Einstiegssummen oder monatliche Sparsummen für ihr Einkommen zu hoch angesetzt waren. Mit 10.000 Euro einsteigen zu müssen, wirkt schnell beängstigend.“ Heute funktioniere das aber bereits ab 25 oder 50 Euro monatlich.
Es hakt bei der Bildung
Karolina Decker sieht eine generelle Lücke in der Finanzbildung in Deutschland und Österreich. Deshalb hat sich die dreifache Mutter mit der gleichgesinnten Finanzexpertin Babette Mahnert zusammengeschlossen. Gemeinsam haben sie die NGO Schuldgold gegründet und touren durch Deutschland, um Kindern und Jugendlichen die Grundlagen der finanziellen Absicherung näherzubringen.
Denn was in jungen Jahren nicht gelernt wird, müssen sich Erwachsene mühsam aneignen, wenn sie in der Pension nicht mittellos dastehen wollen. Männer und Frauen gehen dabei sehr unterschiedlich vor. Dass Finanzthemen Männersache seien, nur weil Männer mehr investieren, will Decker so nicht stehenlassen: „Es stimmt schlichtweg nicht, dass Frauen kein Händchen fürs Investieren haben. Aber Männer lesen ein paar Artikel über ETF’s und Aktien und beginnen zu investieren. Frauen lesen fünf Bücher, beschäftigen sich monatelang mit dem Thema, sichern sich in vielen Gesprächen ab – und trauen sich immer noch nicht drüber.“ Der Sicherheitsaspekt sei Frauen wichtiger als Männern, sagt Decker.
Investieren mit gutem Gewissen
Frauen – und das zeigt nicht nur Deckers Erfahrung nach mehreren tausend Beratungsgesprächen, sondern auch Studien zum Anlegeverhalten der Geschlechter – wollen mit ihren Investments auch einen Impact erzielen. So stehen nachhaltige Anlageformen hoch im Kurs, Umwelt- und Sozialbewusstsein prägen die Angebote, für die sich Frauen am liebsten entscheiden. „Frauen ist es wichtig, dass ihre Geldanlagen Sinn machen und zukunftsorientiert sind. Sie wollen ihre Familien absichern und einen positiven Beitrag zur Gesellschaft leisten“, sagt Decker. 95 Prozent ihrer Kundinnen setzen beim Investieren einen Schwerpunkt auf Nachhaltigkeit. Dazu kommt, dass es das schnelle Geld nicht auf den ersten Platz in der Wunschliste von Frauen schafft. Beständigkeit und langjährig gute Rendite seien entscheidender für ein Investment. „Wenn Frauen sich bereit fühlen zu investieren, machen sie das genauso gut oder gar besser als Männer, weil sie sich nicht von der Illusion schneller Gewinne leiten lassen“, sagt Decker.
Eine Welt von Männern für Männer
Mit finmarie will Karolina Decker nicht nur Finanzberatungsdienstleistungen für Frauen anbieten, sondern auch eine Community schaffen, in der sich Frauen austauschen können. Die Finanzwelt, so Decker, wurde von Männern für Männer geschaffen. In diesen „Boys Club“ vorzudringen, sei für viele Frauen unangenehm und nicht immer einfach. Was bisher seitens der Finanzindustrie fehlt, so Decker, sei vor allem die richtige Kommunikationsstrategie, um Frauen zum Investieren zu bringen. Denn im Gegensatz zu Männern möchten Frauen genauer wissen, was mit ihrem Geld am Ende passiert. Sie zögern länger, bevor sie den initialen Schritt machen. Das sei bis zu einem gewissen Grad gut, sagt die Expertin – Wissen ist wichtig. Aber: „Hin und her macht Taschen leer. Frauen müssen einfach tun!“ Damit Nutzer:innen von finmari nicht das Gefühl haben, nach ein wenig Input von Expertinnen wieder alleine dazustehen, kann über die finmarie App weiterhin Kontakt zu Beraterinnen gehalten werden. In der finmarie Academy sollen Nutzer:innen außerdem online via Live-Sessions von Expert:innen lernen, wie Schritt für Schritt an das Thema Investitionen herangegangen werden kann. Seit November 2022 bietet Decker mit ihrem Team auch eine Digital Academy und Workshops für Unternehmen an.
Finanzbildung im Büro
Ein wachsender Geschäftszweig ist derzeit betrieblich angebotene Finanzbildung. In der Arbeit über privates Finanzmanagement zu lernen, klingt auf den ersten Blick ungewöhnlich. Tatsache ist aber: Wer finanzielle Sorgen hat, ist in der Arbeit nicht voll leistungsfähig. In einer Studie konnte Decker belegen, dass Sorgen ums Geld einen negativen Einfluss auf Beschäftigte haben. „Die Konzentrationsfähigkeit ist verringert, die Arbeitsethik leidet“, sagt Decker. Auch sie bietet private Finanzbildung auf B2B-Ebene an. Waren früher noch sieben von zehn Anfragen von Privatpersonen, hat sich das Mehrheitsverhältnis bereits in Richtung Unternehmen verschoben. „Die Firmen bieten das als Bonus für ihre Mitarbeiter:innen an,“ erklärt Decker. Und hoffen, im Gegenzug langfristig motivierte und entspannte Mitarbeiter:innen im Unternehmen halten zu können.
Taschengeld und Inflationsanpassung
Wie geht eigentlich eine Finanzexpertin mit dem Thema Taschengeld um? Der Achtjährige bekomme 50 Cent, der Zehnjährige einen Euro pro Woche, sagt Decker. Einmal die Woche leeren die Kinder ihr Sparschwein aus, um alles genau nachzuzählen. Sicher ist sicher. Sie selbst hat für ihre Kinder ETF-Portfolios angelegt, in die sie jeden Monat einen gewissen Teil des Kindergeldes einzahlt. „Ich rede sehr viel mit meinen Kindern darüber“, erklärt die Finanzexpertin. „Sie wissen, was es bedeutet, von Porsche oder Tesla Aktien zu halten. Und wenn ich einmal vergesse, ihnen ihr Taschengeld zu geben, sind sie die ersten, die es bemerken.“ Man könne ihnen nichts vormachen, sagt Decker: „Letztens haben sie mich nach einer Inflationsanpassung gefragt.“
Dieser Beitrag ist Teil unser Investorinnen-Serie. Hier geht’s zu den weiteren Artikeln.
„Investieren in Produkte für Frauen gilt immer noch als Nischenthema“