Stellen Sie sich eine renommierte Kunstgalerie vor: Jedes ausgestellte Werk erzählt seine eigene Geschichte, trägt seinen Teil zum großen Ganzen bei. Doch erst das Kuratorium, der innere Kreis von Kennern, Bewahrern und Visionären, gibt der Sammlung ihre unverwechselbare Identität. Ähnlich verhält es sich in Familienunternehmen. Hier ist es der Inner Circle, jene besondere Konstellation aus Familienmitgliedern und engen Vertrauten, die wie ein Kuratorium die wertvollen Unternehmensschätze bewahren und zugleich neue Perspektiven eröffnen. Für Nachfolgerinnen bedeutet dies, nicht nur eine bestehende Sammlung zu übernehmen, sondern sich in diesem Kreise einzufinden und das Lebenswerk behutsam in eine neue Ära zu führen.
Im Zentrum jedes Familienunternehmens steht der Inner Circle, der wie das Herz einer Galerie wirkt. Hier werden nicht nur strategische Entscheidungen getroffen, sondern auch das kulturelle Erbe gepflegt und neue Visionen entwickelt. Dieser Kern ist mehr als eine Managementebene – er ist der Rahmen, in dem Tradition und Innovation ihr perfektes Zusammenspiel finden.
Per Definition ist ein Inner Circle eine kleine Gruppe von Personen, die in einer Organisation viel Macht haben oder diese kontrollieren. Im Falle von Familienunternehmen gibt es in der Regel den Inner Circle der Eigentümerfamilie und einen erweiterten Inner Circle. In diesem finden weitere Familienmitglieder, Führungskräfte oder enge Vertraute der Familie ihren Platz. Und genau dieser Inner Circle ist es, welcher federführend die Unternehmenskultur prägt, die strategische Ausrichtung gestaltet und den nachhaltigen Erfolg des Unternehmens sichert.
Für Nachfolgerinnen ist es oft eine herausfordernde Aufgabe, sich in diesem Inner Circle zu positionieren, der von gewachsenen Hierarchien und verfestigten Beziehungen geprägt ist.
Die Kunst der Balance: Das Kuratieren von Familie und Management
Neben dem familiären Inner Circle, spielen bei einem Generationswechsel auch die engen Vertrauten eine wichtige Rolle – seien es Führungskräfte oder externe Partner:innen. Denn diese Kombination aus emotionaler Verbundenheit und professionellen Managementstrukturen stellt Nachfolgerinnen vor eine besondere Herausforderung. Sie müssen Erwartungen aus beiden Richtungen austarieren: die Tradition und Werte der Familie mit den Anforderungen und Innovationen moderner Unternehmensführung.
Häufig bestehen fest etablierte Rollenverteilungen: langjährige Geschäftsführer:innen und Familienmitglieder haben feste Vorstellungen darüber, wie das Unternehmen geführt werden soll. Diese Dualität erfordert mehr als nur Führungskompetenz – sie verlangt nach einer Kuratorin, die beide Welten sensibel zu einer harmonischen Ausstellung zusammenführt. Wie ihr das gelingt? Durch Kommunikation, Empathie und einem starken Wertekorsett.
Das bestätigt auch der ‚Performance-Treiber 2024‘ der Staufen AG: Neun von zehn Studienteilnehmenden sind davon überzeugt, dass Führungskräfte vor allem Kommunikationsstärke brauchen. Ebenfalls stark geschätzt: Empathie (76 %), Einnahme der Vorbildrolle (74 %) und innere Stärke (55 %).
Die Rolle der Nachfolgerin: Von der Betrachterin zur Kuratorin
Im familiären Inner Circle übernimmt die Nachfolgerin eine Schlüsselrolle als Vermittlerin. Sie muss die oft sehr unterschiedlichen Erwartungen der Familie und der Führungsebene zusammenführen und einen gemeinsamen Kurs festlegen – vielleicht so wie Renaissance meets Neo-Expressionismus.
Dabei sind es die vermeintlich weichen Themen, die für ein Zusammenspiel aller Epochen beachtet werden müssen:
- Wertevermittlung
Die emotionale Bindung der ausscheidenden Generation zu dem Familienunternehmen ist vergleichbar mit der Bindung eines Kindes zu den Eltern. Mit Fingerspitzengefühl geht es darum, die langgelebten Familientraditionen zu bewahren und gleichzeitig neue, zukunftsweisende Werte zu integrieren. Eine Neuinterpretation, die das Erbe bewahrt und die Moderne integriert.
- Transparente Kommunikation
Nachfolgerinnen müssen eine offene und kontinuierliche Kommunikation leben und diese proaktiv anwenden. So können Missverständnisse frühzeitig vermieden und Vertrauen geschafft werden – auch in der Managementebene. Eine klare Botschaft, die das „Warum“ hinter Entscheidungen vermittelt, hilft dabei, den gemeinsamen Weg nachvollziehbar zu machen. - Konsistenz und Authentizität
Das Erbe lastet oft schwerer als gewünscht auf den Schultern der Nachfolgerinnen in Familienunternehmen – Picasso gab es eben nur einmal. Sich zu etablieren und zu zeigen, dass auch moderne Kunst Bestand hat, ist eine Aufgabe. Um als glaubwürdige Führungspersönlichkeit wahrgenommen zu werden, müssen Worte und Taten übereinstimmen. Die Nachfolgerin sollte als Vorbild vorangehen und sowohl in ruhigen als auch in turbulenten Zeiten Stabilität und Lösungsorientierung ausstrahlen.
Ist es also nicht Common Sense, den Nachfolgerinnen brauchen? Nein, nicht nur – denn bei all den emotionalen und weichen Themen kommt es darauf an, sich als nächste Generation zu positionieren und zu etablieren. Dabei spielt ein gesundes Maß an Integration von professionellem Input eine entscheidende Rolle. Neben der Familientradition gilt es, externe Expertise und moderne Managementmethoden einzubinden. So entsteht ein hybrider Führungsstil, der das Beste aus beiden Welten vereint und die Nachfolgerin klar positioniert.
Das Geheimnis einer erfolgreichen Integration im familiären Inner Circle
Eine erfolgreiche Nachfolgerin versteht, dass die Macht der Worte weit über die bloße Weitergabe von Informationen hinausgeht. Es geht darum, Botschaften zu vermitteln, die motivieren, Orientierung geben und Vertrauen schaffen. Transparenz ist ein zentrales Element in Veränderungsprozessen, denn Veränderungen lösen Unsicherheiten und Ängste aus. Mitarbeitende achten ganz genau auf ihre Führungskraft und zeigen Commitment vor allem, wenn ihre Entscheidungen transparent, klar und nachvollziehbar kommuniziert sind. Gleiches gilt auch für den Inner Circle und lässt sich mit einfachen strategischen Mitteln umsetzen:
- In regelmäßigen Familien- und Managementmeetings schaffen Nachfolgerinnen ein Format, in dem sowohl Familienmitglieder als auch Führungskräfte gemeinsam strategische Entscheidungen diskutieren können. Solche Meetings fördern den Austausch von Ideen und helfen, unterschiedliche Perspektiven zu integrieren.
- Im Inner Circle lautet das Motto: „Der Weg ist das Ziel“. Nachfolgerinnen sollten unbedingt transparent mit Entscheidungsprozessen Kommuniziert wird nicht nur das Ergebnis, auch die zugrunde liegenden Überlegungen dürfen auf den Tisch gepackt werden. Dies schafft Verständnis und Akzeptanz auf beiden Seiten.
- Es ist wichtig, dass die Rollen von Familienmitgliedern und Führungskräften klar getrennt und definiert sind. Feste Strukturen, wie die Trennung des Familienrats und professioneller
Gremien wie einem Beirat oder Aufsichtsrat können dabei helfen. Aber Achtung, es muss sichergestellt werden, dass jedem bewusst ist, dass die Rollen eng miteinander verknüpft sind. Stichworte: Leitlinien, Verhaltenskodex, Familiencharta etc.
- Manchmal ist es das externe Auge, dass dabei hilft, blinde Flecken aufzudecken und konstruktives Feedback zu geben. Insbesondere, wenn familiäre Emotionen die Entscheidungsfindung erschweren. Mediator:innen, Sparringspartner oder andere Unterstützer helfen, Spannungen frühzeitig zu lösen und eine gemeinsame Basis zu finden.
Unternehmensnachfolgerinnen stehen in ihrer neuen Rolle oft unter kritischer Beobachtung – ob sie wollen oder nicht. In dieser heißen Phase sind Authentizität und ein konsequentes, aber auch selbstbewusstes Auftreten entscheidend. Eine Nachfolgerin, die von Anfang an überzeugt, ihre Werte klar lebt und vermittelt, wird zum Vorbild – nicht nur für den Inner Circle, sondern für das gesamte Unternehmen.
Fazit: Ob Widerstände oder Herausforderungen – Führung beginnt im Inner Circle
Ein neuer Führungsstil ruft oft Widerstand hervor. Familienmitglieder und langjährige Führungskräfte fragen sich: Welche Veränderungen kommen auf uns zu? Hier gilt es, mit Fingerspitzengefühl und Integrationsstrategien Vertrauen zu schaffen. Die Nachfolgerin sollte den verschiedenen Mitgliedern des Inner Circle aktiv zuhören und die Erwartungen ernst nehmen. Nachfolgerinnen bewegen sich zwischen den Räumen des Respektierens der bestehenden Sammlung und des behutsamen Setzens neuer Akzente für die Stakeholder der Gegenwart.
Denn in Familienunternehmen trifft die Vergangenheit auf Zukunft – die Kunst liegt darin, die Werke der Vergangenheit zu würdigen und neue Perspektiven zu eröffnen. Der familiäre Inner Circle ist dabei mehr als ein administrativer Bereich – er ist das emotionale und strategische Rückgrat eines Familienunternehmens. Eine Doppelrolle für die Nachfolgerinnen: Sie sind Hüterin der Familientradition und gleichzeitig innovative Impulsgeberin.
Mit klarer, authentischer Kommunikation, definierten Rollen und der Bereitschaft, sowohl auf familiäre Werte als auch auf modernes Management zu setzen, gestalten Nachfolgerinnen eine einzigartige Exposition, die Zukunftsgeschichte schreibt.
Zur Autorin:
Andrea Hartmair verbrachte 15 Jahre in Familienunternehmen, zuletzt als Chief Communications Officer. Seit Anfang 2021 ist die Marketing- und Kommunikationsexpertin selbständig mit ihrer eigenen Boutique-Beratung Wort und Marke. Nicht zuletzt als Initiatorin ihres Blogs Manager Mama liegt ihr Schwerpunkt schon seit vielen Jahren auf Frauen und deren Karrieren sowie Sichtbarkeit.