Erst kürzlich prognostizierte der Designer Philippe Starck die Verdrängung der Mode durch das Funktionale. Tatsächlich konzentrieren sich immer mehr Textilhersteller auf die Entwicklung
neuer, nachhaltiger Materialien, die auch die Umwelt nicht belasten Fashion-Bloggerin Alexandra Russ ging für Sheconomy auf Tuchfühlung mit den interessantesten Innovationen und sagt, worauf
es bei Öko-Mode wirklich ankommt.
Es ist der 29. Juli 2019, und es ist Erderschöpfungstag. Alle Ressourcen, die Mutter Erde in einem Jahr erzeugen und wieder regenerieren kann, sind aufgebraucht. Im Jahr 2000 war dieser noch im September. Dafür verantwortlich sind vor allem die hohen CO2-Emissionen. Daraus folgen Hitzewellen, Tropennächte, Rekordtemperaturen und Wetterextreme. Das Klima verändert sich. Diese Veränderungen beeinflussen vor allem die Landwirtschaft. Die wärmeren Temperaturen begünstigen zum einen das Wachstum bisher exotischer Früchte auch in unseren Breitengraden, zum anderen gibt es besonders bei Getreide und Baumwolle hohe Ernteausfälle.
Auch die Fashionbranche ist überhitzt. Vor allem die Modeindustrie gilt durch die Fast Fashion mit zehn Prozent der weltweiten CO2-Emissionen als einer der größten Umweltverschmutzer. Seit dem Jahr 2000 hat sich die Textilproduktion verdoppelt, die Tragedauer der Kleidungsstücke aber halbiert. Modegiganten wie Zara und H&M bringen pro Jahr 24 Kollektionen in ihre Läden, die Lebensdauer der Stücke ist dementsprechend kurz. Das trifft sich gut, denn nach sieben Mal tragen erscheint uns das Teil ohnedies schon abgetragen und landet bei der Altkleidersammlung. Eine Haltung, die bald überholt sein wird, wie der französische Designer Philippe Starck kürzlich in einem Interview mit der Tageszeitung Der Standard prognostizierte: »Diese Maschinerie ist nicht aufrechtzuerhalten. Klar werden wir Kleidung tragen, aber es wird weniger und bessere Kleidung sein. Sie wird aus intelligenten Hightechmaterialien bestehen, die eine ganze Menge draufhaben.« Der nachhaltigere Umgang mit Mode beginnt damit, die Sachen, die wir bereits haben, auch zu tragen. Denn das nachhaltigste Kleidungsstück ist das in unserem Schrank. Bevor wir ein neues Teil kaufen, sollten wir auf das Etikett achten. Material und Erzeugungsort geben schon Aufschluss darüber, wie die Herstellung des einzelnen Stücks die Umwelt belastet hat beziehungsweise was am Ende damit passiert. Aber welche Materialien haben einen starken Einfluss auf die Umwelt, und welche Alternativen gibt es?
Die meist verwendete Faser in der Fast Fashion ist Polyester: Es ist billig und einfach zu produzieren, aber nicht biologisch abbaubar und verursacht beim Verbrennen wieder CO2. Bei der Schnelllebigkeit der Mode kann ein Kleidungsstück innerhalb eines Jahres von der Produktion auf dem Müllberg landen. Gleich danach kommen Baumwolle und Viskose. Sie klingen zwar umweltfreundlich, sind aber in ihrem Herstellungsprozess echt Umweltverschmutzer. Viskose wurde Ende des 19. Jahrhunderts als günstiger Ersatz für Seide entwickelt, damals als Kunstseide bekannt. Es basiert auf dem nachwachsenden Rohstoff Zellulose, das aus Holz gewonnen wird und zählt zu den halbsynthetischen Stoffen.Für den Herstellungsprozess sind hochgiftige Chemikalien wie Schwefelkohlenstoff und Schwefelwasserstoff notwendig, die für die Umwelt eine hohe Belastung darstellen. Um die große Nachfrage an Viskose zu decken, werden für die Produktion jährlich rund 150 Millionen Bäume aus nicht nachhaltiger Forstwirtschaft gefällt. Es findet demnach keine Wiederaufforstung statt.
Baumwolle ist zwar eine natürliche Faser, der Einsatz von Pestiziden und Insektiziden, die Färbung der Fasern mit Chemikalien und die langen Transportwege lassen aber auch Baumwolle wenig nachhaltig aussehen. Ein T-Shirt aus Baumwolle mit einem Eigengewicht von 220 Gramm verbraucht beispielsweise laut einer Studie des Otto Versandhandels von Baumwollanbau über Produktion, Versand und Tragedauer bis zur Entsorgung elf Kilogramm CO2. Es ist biologisch abbaubar, zurück bleiben allerdings die Giftstoffe, mit denen die Pflanze behandelt wurde. Bei GOTS-(Global Organic Textile Standard) zertifizierter Baumwolle wird zwar vollständig auf Genmanipulation verzichtet, allerdings bei weiterhin hohem Wasserverbrauch. Durch das GOTS-Gütesiegel kann man als Käufer aber sicher sein, dass die Baumwolle vom Anbau über die Ernte bis zum Spinnen, Färben und Nähen strenge Kriterien erfüllen muss, die Mensch und Umwelt schützen.
DIE FASERN DER ZUKUNFT. Die Zukunft von synthetischen Fasern (Polyester) ist wegen des hohen Erdölanteils und von natürlichen Fasern (Baumwolle) wegen des hohen Wasserverbrauchs ungewiss. Daher geht der Trend zu Alternativen. Mithilfe neuer Techniken und umweltfreundlicher Verfahren entwickelt die Textilindustrie immer mehr Gegenentwürfe zu den »Klassikern« Baumwolle, Leder & Co. Hier ein Überblick über die spannendsten Neu-Schöpfungen und welche Möglichkeiten es gibt, »Greenwashing« zu durchschauen:
PIÑATEX, DIE NACHHALTIGE ALTERNATIVE ZU LEDER
Eines dieser neuartigen Materialien ist Piñatex, ein pflanzliches Material, das aus Ananasblättern gewonnen wird. Es werden aus den getrockneten Blättern, die als Abfallprodukt zurückbleiben, Fasern extrahiert, die durch Zugabe von auf Mais basierendem Polylactid (PLA) gebunden werden. So entsteht ein Substrat. Dieses dient als Grundlage für Piñatex (80 Prozent Ananasblätter, 20 Prozent PLA). Polylactid ist biokompatibel, das heißt, es hat keinen negativen Einfluss auf Lebewesen und Umwelt. Das Material selbst ist sehr weich, wasserabweisend und strapazierfähig. Die nachhaltige Alternative zu Leder wird bereits weltweit eingesetzt, zum Beispiel für Möbel oder auch für Innenausstattungen in der Autoindustrie. In der Mode werden vor allem Taschen und Schuhe daraus hergestellt. Zuletzt hat H&M in seiner »Conscious Collection« Schuhe und Jacken damit produziert, aber auch Chanel hat mit der ethischen Alternative zu Leder einen Hut designt. Das Produkt ist zu 90 Prozent biologisch abbaubar, die restlichen 10 Prozent sind Beschichtung.
LYOCELL UND TENCEL
Eine alternative Faser zu Baumwolle und Viskose ist Lyocell. Der österreichische Innovationsträger Lenzing AG produziert diese Faser unter dem Handelsnamen Tencel in Österreich. Grundlage für Tencel ist Cellulose, die aus Mischholz (Buche, Eukalyptus) von FSC- (Forest Stewardship Council) und PEFC-(Program for the Endorsement of the Forest Certification) zertifizierter Landwirtschaft gewonnen wird. Die FSC- und PEFC-Gütesiegel garantieren, dass es sich dabei um zertifiziertes Holz aus nachhaltiger und fairer Wirtschaft handelt. Der gewonnene Zellstoff wird zerkleinert und in einem nicht toxischen Bad mit Wasser aufgelöst. Das verwendete Lösungsmittel wird bei der weiteren Verarbeitung zu 90 Prozent zurückgewonnen und wiederverwendet. Der Herstellungsprozess von Tencel gilt im Gegensatz zu Viskose als besonders umwelt- und ressourcenschonend, da nahezu alle Abfallprodukte wiederverwertet werden können. Je nach Schnittlänge der Fasern wird es sowohl für jeansähnliche Stoffe, Kleider- und Blusenstoffe, als auch für Vliesstoffe in der Kosmetikbranche verwendet. Tencel ist in einem geschlossenen Kreislauf vollständig biologisch abbaubar. Brands wie Esprit, Guess oder Levi’s verwenden Tencel und weisen dies auch extra an ihren Kleidungsstücken aus.
DER HIGG-INDEX
In diesem Materialdschungel ist es schwer, den Überblick zu bewahren. Hier kann man auf den HIGG-Index zurückgreifen. Das ist eine international anerkannte Skala, die den Einfluss eines Materials auf Umwelt und Mensch misst. Es werden Daten entlang der Produktionskette über Arbeitsbedingungen und Umweltschädlichkeit gesammelt und bewertet. Lenzing Lyocell (Tencel) hat hier z. B. einen MSI (Material Sustainability Index) von 9,5 – konventionelle Baumwolle einen MSI von 60. Der negative Einfluss von Baumwolle auf die Umwelt ist also sechsmal höher als der von Tencel. Natürlich wird nicht nur in Lenzing Lyocell produziert, sondern auch in Asien. Da die gesetzlichen Rahmenbedingungen und Normen dort aber andere sind, ist der MSI von generischem Lyocell 20, also doppelt so hoch wie der von Tencel. Um sich vor Fälschungen zu schützen und vor allem, um dem Konsumenten ein transparentes und rückverfolgbares Bild zu verschaffen, wird Lenzing ab 2020 seine Fasern mit einem QR-Code versehen. Basierend auf der Blockchain-Technologie kann der Konsument die Faser dann mittels App bis zum Baum zurückverfolgen. »Greenwashing« ausgeschlossen. Wir alle können unseren Beitrag leisten, indem wir auf das Etikett achten und prüfen, was wir kaufen. Oder indem wir weniger kaufen. Jeder kleine Schritt zählt, um den Erderschöpfungstag wieder nach hinten zu verschieben.
BRANDS, DIE MIT NACHHALTIGEN MATERIALIEN ARBEITEN:
# www.stellamccartney.com (erhältlich bei Amicis, Tuchlauben 11, 1010 Wien)
# www.filippa-k.com (erhältlich bei Schneeweiss, Wollzeile 20, 1010 Wien)
# www.lanius.com (erhältlich bei Pregenzer, Schleifmühlgasse 4, 1040 Wien, bei Fair & Conscious by Turek, div. Stores in Wien und NÖ)
Fotos: Stella McCartney, Pinatex, Ananas Anam, Lenzing, Franz Neumayr, Exit Hamster