Für die Schweizer Regisseurin Claudia Bossard ging mit ihrer Inszenierung von Elfriede Jelineks herausforderndem Stück Das Werk ein großer Wunsch in Erfüllung. Wir haben mit ihr gesprochen.
In Kaprun starben im Jahr 2000 bei einem Gletscherbahnbrand am Kitzsteinhorn 155 Menschen. In Kaprun steht auch eines der größten Speicherkraftwerke der Welt, dessen Bau 161 Todesopfer forderte. In ihrem Stück Das Werk verknüpft Elfriede Jelinek beide Geschehnisse miteinander, um auf diese Weise die Themen Schuld, Verantwortung, Größenwahnsinn und Naturbeherrschung zu einer monumentalen Textmauer aufzubauen. Claudia Bossard nahm sich gemeinsam mit dem Kosmos Theater dieses formal sehr schwierigen Textes an und verpasste ihm eine ebenso pointierte wie komische Rahmenhandlung.
Im Jahr 2000 wurde das Kosmos Theater, damals kosmos.frauenraum, mit einer Rede von Elfriede Jelinek eröffnet. Genau 20 Jahre später beginnt das Theaterjahr für das Kosmos Theater mit einem Jelinek-Stück. Zufall oder kein Zufall?
Für mich war es immer Wunsch einmal ein Stoff von Elfriede Jelinek zu inszenieren. Außerdem habe ich meine Masterarbeit über die Alpentrilogie geschrieben und mich damals auf wissenschaftlicher Ebene mit der Thematik auseinandergesetzt. Die Frage danach, wie sich Jelineks Stücke am Theater umsetzen lassen, hat mich dabei aber immer begleitet. Ich hatte dann das große Glück, bei meiner Inszenierung der Sprengkörperballade, mit Veronika Steinbeck und dem Kosmos Theater zusammenzuarbeiten. In einem Gespräch mit Veronika bin ich dann auch mit der Idee herausgerückt, dass man unbedingt Das Werk auf die Bühne bringen müsste. Unter anderem auch wegen der Doppeldeutigkeit des Titels, die mir total gefällt. Wenn man ihn für bare Münze nimmt, steht dieser Titel schließlich für alles. Es hat mich dann natürlich sehr gefreut, dass ich mit dem Kosmos Theater ein Theater gefunden habe, das daran geglaubt hat, dass es tatsächlich möglich ist, diese riesige Menge Text in dieses kleine Theater – das ich aber gar nicht so klein finde – zu bringen. Es war also tatsächlich ein schöner Zufall. Ich wusste nämlich auch gar nicht, dass Elfriede Jelinek diese Rede damals gehalten hat.
Schließlich habt ihr euch dann für eine stark gekürzte Fassung des Textes entschieden.
Jelinek gibt in ihrer Regieanweisung zum Stück ja explizit an, dass es ihr egal ist, wie man mit dem Text verfährt. Wir haben eine Fassung gemacht, die auf 40 Seiten gekürzt wurde. Sonst hätte die Aufführung vermutlich mehr als sechs Stunden gedauert.
Was findest Du gerade an diesem Text so spannend?
Weil das Stück ja schon einmal in Wien gespielt wurde, haben sich einige Leute die Frage gestellt, was gerade an diesem Jelinek-Text so interessant ist. Für mich geht eine irrsinnige (Wasser-)Kraft von diesem Text und dieser Sprache aus, weil DAS WERK als künstlerisches Artefakt auch eine textliche Staumauer ist und sich die Themen menschlicher Größenwahnsinn, Naturgewalt und Naturbeherrschung darin einen gewaltigen Sog entwickeln. Die Sprache entfaltet sich in diesem Text wie eine Art Wasserkraft. Es war immer mein Traum das zu inszenieren. Und ein Theater zu finden, das wahnsinnig genug dafür ist.
Ganz neu ist ja die Rahmenhandlung mit drei Germanistinnen und einem Germanisten, die nicht müde werden, ihre Meinungen zum Werk Jelineks zu verbreiten. Was findest Du am akademischen Diskurs besonders spannend?
Bei Elfriede Jelinek ist ja genau dieser Diskurs fast schon einzigartig. Das hängt bestimmt auch damit zusammen, dass sie sich durch ihre Abwesenheiten auch hin und wieder selbst als Mythos inszeniert. Darüber hinaus sind ihre Texte auch enorm schwierig. Ich möchte die Leute gerne treffen, die in ihrer Freizeit einfach Elfriede Jelinek lesen. Es ist einfach eine Sprache, die gesprochen werden will.
Du möchtest Dich damit also nicht über die Literaturwissenschaft lustig machen?
Nein, weil ich es ja auch selbst studiert habe und auch die Art und Weise zu denken liebe, die mir dabei mitgegeben wurde. Die Literaturwissenschaft ist außerdem eine unglaublich schöne Sisyphusarbeit. Menschen setzen sich ein Leben lang mit klitzekleinen Details auseinander, finden etwas heraus, publizieren ein Buch darüber und im selben Moment kommt eine Gegentheorie heraus und alles ist dahin. Für die Absurdität des menschlichen Daseins gibt es wenige so schöne Metaphern wie in der Literaturwissenschaft. Aber gleichzeitig ist es auch total spannend, wie Menschen dadurch isoliert werden und nur noch auf einer Metaebene diskutieren können. Das fand ich einfach eine sehr treffende Verbindung auch für um den »faustischen Mensch«, die Elite ins Zentrum zu setzen und daran mit abzuarbeiten.
Es gibt im Werk ja auch einige Bezüge zur aktuellen Situation unserer Welt. Welche sind das?
Puh. Jeder Bezug in seiner Art und Weise ist aktuell und neu weil kein Thema jemals wirklich abgeschlossen ist. Mit Größenwahnsinn und Naturbeherrschung kommen auch immer Strukturen der Ausbeutung zur Sprache: menschlicher, körperlicher Art aber eben auch globaler, klimatischer und schon landet man im Soge dieser Sprache mitten in den Buschbränden von Australien.
In Jelineks Texten geht es außerdem sehr häufig um das Thema Schuld. Oder eher darum, dass kaum jemand jemals die Schuld auf sich nimmt. Lässt sich das in irgendeiner Weise auf den aktuellen Zustand unserer Welt übertragen? Die meisten wissen, dass es ein Problem gibt, aber niemand fühlt sich so richtig verantwortlich …
Ja, genau. Die Menschen buddeln sich gerne in ihren Theorien und vor ihren Bildschirmen ein, dass sie dabei häufig den Bezug zur Realität verlieren. Und das kann gefährlich sein. Zivilcourage ist sicher ein Thema. Hinschauen. Nicht immer wegschauen. Aber wo genau soll man jetzt hinschauen, wenn es von überall brennt. Das gilt es herauszufinden und für das zu sensibilisieren. Dafür eignet sich diese Sprache hervorragend.
Du warst beruflich und mit verschiedenen Produktionen ja schon in allen deutschsprachigen Ländern unterwegs? Wie erlebst Du die österreichische Theaterszene?
Ich finde es super in Österreich Theater zu machen, weil das Theater hier einen sehr hohen Stellenwert hat. Was ich darüber hinaus an Wien so mag, dass sich die Szenen so durchmischen. Man trifft Leute aus der freien Szene auch in den Institutionen und Burgschauspieler*innen in der Drachengasse. Man interessiert am Theater per se. Nicht das »Wo«, sondern »Was & Wie« stehen im Vordergrund.
Wie lang habt ihr am Stück gearbeitet?
Die Probezeit hat insgesamt sechs Wochen gedauert. Das fand ich sehr gut, weil der Text seine Zeit brauchte um sich zu setzen.
Caroline Peters hat erst vor Kurzem darüber gesprochen, dass die Welt des Theaters immer noch sehr männlich dominiert ist. Erlebst Du das auch so?
Ich merke schon, dass vor allem der Beruf des Regisseurs oder der Regisseurin von einem alten, hierarchischen Auftreten geprägt ist. Man erwartet, dass damit die Position eines Chefs oder einer Chefin ausgefüllt wird und diese Person auch die Entscheidungen für das Team trifft. Ich empfinde den Beruf aber ganz anders. Meine Aufgabe ist es natürlich schon, meine Lesart eines Textes zu präsentieren, aber vor allem bin ich als Mediatorin im Einsatz. Ich übersetze und kombiniere und schaue darauf, dass jede und jeder seine Potenziale zu 100 Prozent ausschöpfen kann. Ich möchte kein chauvinistisches, altes Chef-Ideal verkörpern. Dafür bin ich einfach zu sehr daran interessiert, was jede und jeder Einzelne denkt. Mir ist wichtig, dass es ein offenes Arbeitsklima gibt. Das Theater ist wie eine Miniaturstruktur einer Gesellschaft. Deshalb wirft die MeToo-Debatte auch besonders im Theater und im Film so krass um sich. Manchmal merke ich schon, dass von mir erwartet wird, dass ich als Chefin auftrete. Ich löse das aber nicht ein, weil ich diese alten Mechanismen nicht reproduzieren möchte.
Wie geht es in der nächsten Zeit bei Dir weiter?
Ich fange in drei Wochen am Theater Basel mit einer Bühnenadaption von Gianna Molinari Roman »Hier ist noch alles möglich« an. Darauf freue ich mich sehr. Seit Ewigkeiten arbeite ich wieder einmal in der Schweiz.