Die erste Kerze am Adventkranz brennt. In mir macht sich Sehnsucht nach Ruhe und Besinnlichkeit breit.
Auf meiner Timeline (Handyfasten verschiebe ich auf nächstes Jahr) ist dieser Wunsch nicht bemerkbar. Auf den Socials sind alle busy as usual. Bis ich auf eine Geschichte stoße, die mich nicht loslässt. Sie handelt von der „Familie im Walde“.
Seit Tagen bestimmt sie die Debatte in den italienischen Medien. Denn in einem kleinen Ort in der Provinz Umbrien wurden drei Kinder im Alter zwischen sechs und neun Jahren aus einer sogenannten „Aussteiger“-Familie der gesetzlichen Obhut übergeben. Wohlgemerkt gemeinsam mit der Mutter, die, wie ich nach einigen Zeilen des Artikels erfahre, eine ehemalige Lehrerin aus Australien ist. Ihr Partner und Vater der Kinder ist Engländer und hat früher als Koch und Handwerker gearbeitet.
Was wird ihnen vorgeworfen?
Die Familie bewohnte über mehrere Jahre eine Hütte im Wald, die man zwischen Stall von Bethlehem und Villa Kunterbunt einordnen könnte. Es gibt in dieser Behausung kein fließendes Wasser, keinen Strom und die sanitäre Einrichtung ist ein Häuschen etwas abseits der Hütte.
„Wir wollen mit unseren Kindern in der Natur leben und ihnen damit ein solides Fundament für ihr Leben mitgeben“, erklärt die Mutter. Stress und Probleme würden später ohnehin auf sie zukommen, falls sie sich dann aus der Abgeschiedenheit hinausbewegen würden. Das fließende Wasser aus der Leitung lehnen sie übrigens ab, weil sie darin zu viel Mikroplastik vermuten. Eine nahe Quelle dient als Alternative.
Auf die Situation aufmerksam wurden die Behörden im Sommer, als ein Nachbar den Notruf aktivierte. Er hatte den sechsjährigen Sohn mit starken Bauchschmerzen liegend auf einem Waldweg vorgefunden. Die gesamte Familie musste mit einer Pilzvergiftung in das Krankenhaus eingeliefert werden. Ob sie sich selber rechtzeitig Hilfe hätte holen können, ist umstritten.
Indessen nahm der Amtsweg seinen Lauf.
Da die Kinder keine Schule besuchten, wurden sie einem Test unterzogen. Denn in Italien ist Homeschooling prinzipiell erlaubt, wenn das Erreichen der Lernziele jährlich untersucht und positiv bewertet wird. Sie bestanden ihn.
Dann meldeten sich Anrainer zu Wort. Sie würden die „Familie im Wald“ kennen und sie hätte stets einen glücklichen Eindruck gemacht. Ein älterer Herr meinte, das Haus seiner Kindheit wäre auch nicht komfortabler gewesen.
Schließlich unterbreitete ein Dorfbewohner der Familie das Angebot, in einem leerstehenden und soeben renovierten Haus, das sich ebenfalls mitten im Wald befindet, wohnen zu dürfen. Sie akzeptierte und wird voraussichtlich dort gemeinsam Weihnachten feiern.
Was mich an dieser Geschichte so fasziniert?
Durch mein Engagement bei „sheconomy“ habe ich gelernt, dass es zahlreiche Entwürfe für unterschiedlichste Arbeits- und Lebenswelten gibt. Viele sind für mich persönlich nicht denkbar. Dennoch bemühe ich mich, sie zu respektieren. Im Laufe der Jahre habe ich festgestellt, dass man daraus immer einen positiven Nutzen zieht, und sei es auch nur jener, dass man mit der Gewissheit von vielen Türen, die offen stehen und Möglichkeiten, die man in Betracht ziehen kann, im Leben weniger Gefahr läuft, in einer Sackgasse zu landen.
Die „Familie im Wald“ mag für viele ein Beispiel für weltfremde Spinner, aus der Zeit gefallene Hippies und Aluhut-Träger sein. Die Dorfgemeinschaft, die sie erst seit wenigen Jahren aus einer gewissen Distanz und mit sprachlichen Unterschieden kennt, hat sich dennoch für sie eingesetzt. Herausgekommen ist eine Lösung, die vor allem für die Kinder wohl die beste ist.
Wäre es nicht schön, wenn wir öfter solche Geschichten in der Timeline lesen könnten? Ich nehme mir jedenfalls vor, künftig besser hinzuschauen, langsamer zu urteilen und schneller aufzuzeigen, wenn Hilfe gefragt ist. Damit hätte ich auch schon das mit den Vorsätzen für 2026 erledigt.