“Es macht wenig Sinn tausende Quadratmeter Naturkapital zu versiegeln”

Vera Enzi hat sich sich als Expertin auf österreichischer und EU-Ebene in der Fassadenbegrünung einen Namen gemacht. Sie begleitet diverse EU Einrichtungen im Transformationsprozess und Stadtverwaltungen in Österreich bei der strategischen Umsetzung von Begrünungsvorhaben. Bei der Grünstattgrau Forschungs- und Innovations GmbH ist sie aktuell Geschäftsführerin einer Kompetenzstelle für die grüne Stadt der Zukunft. Ein wichtiges Thema, denn die Bauwerksbegrünung schafft nicht nur wertvolle Erholungsräume, sie verringert auch die Lärm- und Schadstoffbelastung und senkt Sanierungskosten. Zudem dient sie als natürlicher Sonnenschutz und Dämmung was zu niedrigeren Energiekosten führt.

Durch die Pandemie ist das Thema Klimaschutz etwas ins Hintertreffen geraten, welche Auswirkungen hatte sie auf euer Vorhaben?

Unser Thema hat in den letzten Monaten eigentlich enorm an Fahrt gewonnen. Die Begrünung und die Wichtigkeit, speziell im privaten Umfeld, am Haus, am Balkon oder an der Fassade ist ja etwas, dass besonders in dieser Zeit zur Steigerung des eigenen Wohlgefühls führen kann.

Welche Struktur steckt hinter “Grünstattgrau” und wo seht ihr eure Hauptaufgaben?

Wir sind als “Grünstattgrau” eine außeruniversitäre Forschungseinrichtung aber auch eine GmbH, unsere Homebase ist der Verband für Bauwerksbegrünung und der ist ein gemeinnütziger Verein. Zusätzlich werden wir vom Klimaschutzministerium (BMK) gefördert und haben den Auftrag bekommen ein Netzwerk zum Thema Gebäudebegrünung aufzubauen. Unsere Netzwerkpartner bestehen zu 20 Prozent aus Forschungs- und Bildungseinrichtungen oder anderen Netzwerken und zu 60 Prozent aus Unternehmenspartner. Der dritte Bereich setzt sich aus Stadtverwaltungen zusammen, mittlerweile haben wir mit fast jeder Landeshauptstadt in Österreich eine Kooperation. Dabei schauen wir uns Gesamtpakete für Städte an die wir gemeinsam mit ihnen umsetzen. Als Innovationslabor bilden wir die Basis um innovative Projekte entstehen zu lassen. Dazu bieten wir verschiedene Dinge an. Das sind immaterielle Ressourcen, sprich unser Expertenpool und Know-how. Auf der anderen Seite aber auch Greifbares wie unser mobiler Schauraum der von Stadt zu Stadt fährt um die neuesten Entwicklungen zum Thema Bauwerksbegrünung an die Menschen zu bringen.

Wie kommt ihr zu Projekten?

Wir haben vor zwei Jahren bemerkt, dass es in Österreich keine unabhängige Anlaufstelle für Vorhaben wie Bauwerksbegrünung, ähnlich der Energieberatung gibt. Wir haben daher eine digitale Plattform für die Beratung ins Leben gerufen, dort können Projekte in unterschiedlichen Stadien eingegeben werden, anschließend gibt’s von uns eine erste kleine Rückmeldung bis hin zu einer fundierten Beratung durch unsere qualifizierten Experten.

An welchen Projekte arbeitet ihr momentan?

An Vielen. Was derzeit heraussticht ist ein Forschungsprojekt bei dem es um stark vereinfachte Fassadenbegrünungen im Gehsteigbereich geht. Wir haben einen Prozess und eine Technologie entwickelt und sind derzeit in Wien in der Umsetzungsphase. In verschiedenen Bezirken stehen schon grüne Gebäude. Dieses Konzept soll für andere Städte skaliert werden. 

Was Bewegt Auftraggeber*Innen zur Bauwerksbegrünung? Gehts da zumeist um den optischen Aspekt oder sind auch Klimamaßnahmen ein Faktor?

Definitiv. Von Anfang an wollten wir auch die Wirkung von Gebäudebegrünung an Auftraggeberinnen weitergeben, damit es nicht nur eine Eintagsfliege wird. Das Verständnis in diese Richtung wurde in den letzten Jahren eindeutig geschärft. Gebäudebegrünung ist längst keine rein optische Maßnahme mehr, es geht dabei vielmehr um Gebäudeperformance, CO2 Footprint oder langfristige Nutzung von Gebäude Materialien. Wir stehen ja auch kurz vor einer europäischen Sanierungswelle. Da hat auch ein Umdenken stattgefunden, denn es macht wenig Sinn tausende Quadratmeter Naturkapital, ich spreche da von offenem Boden, zu versiegeln. 

Was hat dich darauf gebracht diesen beruflichen Weg einzuschlagen?

Ich habe an der Boku in Wien studiert und beschäftigte mich zunächst mit Projekten im Themenfeld der Fließgewässer. Entscheidend war das Jahr 2010 als ich den europäischen Verein in der Bauwerksbegrünung mit gestalten durfte und ein erstes umfassendes Branchenprojekt zur Bauwerksbegrünung in Österreich gestartet wurde. Das zeigte mir welch großes Potential und welche Sinnhaftigkeit hier verborgen ist. In Österreich wird beispielsweise nur jedes zehnte neue Flachdach derzeit begrünt, da gibts also noch viel Luft nach oben. Auch in meinen tätigkeiten auf europäischer Ebene habe ich wundervolle Projekte gesehen und für mich verstanden, dass es einfach diese ökologischen Ausgleichsflächen dringend braucht.

Wer mehr über Gebäudebegrünung erfahren will kann sich direkt bei “Grünstattgrau” informieren. Hier gibt es auch Beratung für den privaten Bereich.