Mineralischer Stickstoffdünger belastet Umwelt, Boden und Trinkwasser. Ein Start-up aus Tulln injiziert lieber Mikroorganismen in Saatgut – und will damit die Landwirtschaft revolutionieren.
Pflanzen brauchen Stickstoff, um zu wachsen. Die Landwirtschaft braucht Chemie, um an diesen Stickstoff zu gelangen. Ohne Stickstoffdüngung wäre die Lebensmittelproduktion nicht auf dem Level möglich, das wir gewohnt sind und für unsere Ernährungssicherheit brauchen. Die Sache hat jedoch einen Haken: Die Herstellung von mineralischem Stickstoffdünger ist enorm energieaufwendig und verschlingt sehr viel Gas unter Freisetzung von CO2. Seine Verwendung im Boden setzt das weit klimaschädlichere Lachgas frei und kann zu Verschmutzung von Grund- und Oberflächenwasser führen. Kurz – Stickstoffdüngung ist ein notwendiges Übel. Dem ein Tullner Start-up nun den Kampf ansagt.
Kleine Organismen – große Wirkung
„Mit unserer Technologie kann die Verwendung von mineralischem Stickstoffdünger signifikant reduziert werden“, sagt Birgit Mitter, Co-Founderin von Ensemo. Sie ist Expertin für Mikrobiologie und will Mais, Sojabohne und Co. mit weniger Dünger am Feld ordentlich Beinchen machen. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn Mitters Geheimwaffe sind Mikroorganismen, die sie direkt ins Saatgut injiziert.
Mikroorganismen helfen Pflanzen, Stickstoff zu binden, den sie für ihr Wachstum brauchen. Diese Organismen kommen durch sogenanntes Beizen des Saatguts auch heute schon äußerlich zur Anwendung. Aber: „Mikroorganismen sind sehr sensibel, sie überleben nur bei bestimmten Bedingungen. Das äußerliche Aufbringen hat viele Fallstricke und klappt nicht immer perfekt“, erklärt die Wissenschaftlerin. „Diese Risiken wollen wir mit unserer Seed-Injection-Methode reduzieren. Und es funktioniert!“
Gegründet aus der Forschung
Mitter hat Ensemo 2021 gemeinsam mit ihrem Kollegen Nikolaus Pfaffenbichler aus ihrer Forschung am Austrian Institut of Technologie (AIT) heraus gegründet. Die Hürden der Gründung sieht Mitter heute nicht nur negativ: „Es gab so vieles, an das wir nicht gedacht haben. Wir sind Wissenschaftler, sehr detailfokussiert, wir hatten anfangs wenig Ahnung von betriebswirtschaftlichen Kenngrößen. Die Lernkurve war sehr steil, heute können wir darüber lachen.“ Seit 20 Jahren forscht Mitter an Mikroorganismen, seit 2015 versucht sie sich daran, diese auch in Pflanzen einzubringen.
Derzeit arbeitet Ensemo am Durchsatz: „Um ausreichend viel Saatgut in kurzer Zeit mit Mikroorganismen zu impfen, müssen wir schneller werden – 4000 Körner pro Sekunde ist das Ziel.“ Begonnen habe man mit dem Proof of Concept bei 35 Körnern pro Sekunde, heute stehe man bei 400, sagt Mitter. Es geht also in die richtige Richtung.
Wenig Frauen in der Forschung
Dass Mitter als Forscherin und Erfinderin in Österreich eher zur Minderheit gehört, stimmt sie nachdenklich: „Es gibt definitiv einen Gap zwischen der Geschlechterverteilung unter den Student:innen und in der Forschung oder auch in der Professur.“ Je höher man aufsteige, desto weniger Frauen finden sich. Das könnte laut Mitter an zwei Dingen liegen. Erstens werde Mädchen immer noch das Verständnis für technische Bereiche und Berufe abgesprochen und zweitens seien Wissenschaft und Forschung kein 9-5-Job. „Das ist kein Beruf, das ist eine Berufung. Da kann es sein, dass sich Männer immer noch leichter damit tun, Kinderbetreuung auf die Partnerin auszulagern und sich auf die Forschung zu konzentrieren, als das bisher für Frauen der Fall war.“ Es benötige einen Mindset-Change: „Wir Frauen tendieren viel stärker zur Selbstkritik, relativieren unsere Leistung schnell. ‚So toll war das auch wieder nicht.‘ Das tun Männer eher nicht. Wir wurden zur Bescheidenheit erzogen, nach dem Motto: Nur der Esel nennt sich zuerst, Selbstlob stinkt. Und Mädchen sind vom Typ her oft viel angepasster, weniger rebellisch. Die würde sich ein Feedback à la ‚Nimm dich nicht so ernst‘ schneller zu Herzen nehmen und umsetzen als ein Mann.“
Gesucht: Erfinderinnen und neues Mindset
Birgit Mitter ist nicht nur Forscherin, sie hält auch Patente für ihre Erfindungen. In mehreren Patenten scheint die Wissenschaftlerin mit ihrer Leidenschaft für das pflanzliche Mikrobiom als Erfinderin auf. Das ist vor allem in Österreich eine Besonderheit: Bei Patenten von Frauen ist die Alpenrepublik Schlusslicht. In Wien liegt der Frauenanteil aller Patente bei rund 15 Prozent, in Salzburg bei gerade einmal 3,6 Prozent. Im Mittel werden nur acht Prozent aller Erfindungen in Österreich von Frauen eingereicht. Davon zeigt sich Birgit Mitter, Mastermind hinter der Mikrobeninjektion, zwar überrascht, gesteht aber: „Eigentlich habe ich mich da selbst schon so oft geärgert. Die Tochter eines Bekannten wurde von ihrem Mathelehrer letztens gelobt, weil sie mathematisch so gut drauf ist. Aber mit den Worten ‚So toll für ein Mädchen‘. Mit diesem Mindset wird das nie etwas. Wir brauchen viel mehr Bestärkung für junge Mädchen, dass Technik und Mathematik nicht nur etwas für Burschen ist!“