StartBusinessKarriere"Den eigenen Wert muss man immer selbst bestimmen"

„Den eigenen Wert muss man immer selbst bestimmen“

Karriereknick durch Kind? Die unangenehme Wahrheit: Wenn hochqualifizierte Frauen ins Arbeitsleben zurückkehren möchten, sehen sie sich mit skandalös antiquierten Einstellungen und Vorurteilen konfrontiert. Sabina Castrini, Marketing & Biz Development Executive bei Tatarie Marie, hat uns ihre sehr persönlichen Erfahrungen erzählt.

Der Treffpunkt: Ein winziger Gastgarten im ersten Bezirk. Zwei Tische und eine u-förmige Bank, vis-a-vis des dazugehörigen, kleinen Gassenlokals, mitten im innerstädtischen Trubel. „Ich nenne das hier immer unseren Logenplatz“,  sagt Sabina Castrini verschwörerisch mit einem breiten Lächeln und winkt ihren Kollegen für unsere Bestellung herbei. Gleichzeitig scannt sie mit geübtem Blick die an uns vorbeiziehenden Menschen und Gesichter, die neugierigen Touristen, die vor der Auslage der Tatarie Marie mit geöffnetem Mund stehen bleiben.

„Im ersten Moment glauben viele Passanten, wir wären ein Schmuckgeschäft und sind dann ganz überrascht, wenn sie feststellen, dass wir hier Tatar-Variationen anbieten.“ Wenn sie über das unkonventionelle Konzept der Tatar-Bar spricht und wie sehr man damit einen aktuellen Geschmacksnerv getroffen habe, dann strahlen ihre Augen vor Enthusiasmus. Als Markenbotschafterin dieses kulinarischen Kleinods wirkt sie absolut authentisch.

Castrini ist bei Tatarie Marie für Marketing, PR und Business Development verantwortlich. Die vier Gründerväter, Marco Simonis, Hannes Hönegger, Dominik Stolzer und Florian Mainx denken gemeinsam mit ihrer neuen „Chief Executive Mum“ über ein internationales Modell für andere Metropolen nach. Ab 1. November heißt es auf jeden Fall schon einmal „Tatarie Marie goes Berlin“ und zwar mit einem Pop-Up im KaDeWe.

Derzeit investiert Castrini ihre Zeit allerdings noch primär in Brand Building, Kooperationen und Events. Allesamt Bereiche, in denen die Mutter eines dreijährigen Sohnes im Laufe ihrer Karriere bei Nespresso und beim Aufbau ihres eigenen Food Labels Lianicious enorm viel Erfahrung und Know-how gesammelt hat.

Dass sie diese so perfekt auf ihre individuellen Fähigkeiten zugeschnittene Position tatsächlich bekommen und sich nicht mit einem zweitklassigen Angebot zufrieden gegeben hat, ist vor allem ihrer eigenen Hartnäckigkeit geschuldet.

Der Weg dorthin war ein steiniger. Für die bis dahin erfolgsverwöhnte Karrierefrau war die Realität am Arbeitsmarkt nach der Geburt ihres Sohnes sehr ernüchternd.

Als Sie nach ihrer Karenz auf den Arbeitsmarkt zurückkehren wollten, haben Sie einige Bewerbungsgespräche geführt. Was war ihr Eindruck?

Die Gespräche waren allesamt enttäuschend. Ich fand es spannend zu sehen, wie dein Gegenüber plötzlich anders reagiert, wenn aus dem CV hervorgeht, dass du Mutter bist.

Nicht, dass ich das großartig vor mir hergetragen hätte. Aber wenn man meine Website besucht, sieht man dort eben einen kleinen Knirps. Da kamen dann Fragen auf wie: Frau Castrini, ist für ihren Sohn gesorgt? Natürlich, ansonsten würde ich mich ja hier nicht bewerben. Oder: sind Ihre Eltern auch in Österreich? Weil ich gebürtige Bosnierin bin.

Das klingt ziemlich übel. Gab es auch andere Muster, die Sie erkennen konnten?

Ja eigentlich, war es immer sehr ähnlich. Sätze wie: Toll, Frau Castirini, Marketing, Vertrieb, Management passt super für uns, Sie sind ja ein wahres Allroundtalent. Leider können wir Ihnen aber nur die Summe X bezahlen. Und als Benefit kam dann ein Obstkorb.

Und dann gab es noch den Typus Arbeitgeber, der zwar das Schlagwort Work-Life-Balance nach außen vor sich hin trägt, aber bei der Bewerbung dann sagt: Naja, bei uns gibt es maximal einmal pro Woche Homeoffice.

Was war die negativste Erfahrung?

Als ich für eine Position qualifiziert war, sogar ein vollständiges Konzept entwickelt hatte, und alles reibungslos verlief, fragte mich die Führungskraft (eine Frau), ob ich bereits mit meinem Mann über die Anforderungen des Jobs gesprochen hätte. Sie meinte, dass dies sicherlich eine Herausforderung sei, besonders mit einem Kleinkind, und erklärte, dass sie selbst diese Entscheidung nicht mehr treffen würde.

Bedauerlich. Wie reagiert man darauf?

Ich hab mir gedacht, das darf doch nicht wahr sein. Am liebsten hätte ich das Gespräch sofort abgebrochen. Von einem Mann erwartet man das ja noch eher, aber von einer Frau?

Ich hab ihr dann sehr vehement widersprochen und klipp und klar erklärt, dass ich sehr wohl wisse, was es bedeutet, Mutter und Geschäftsfrau zu sein. Und mein Sohn gerade mal drei Monate alt war, als ich mein eigenes Food Label aufgebaut habe, und er bei jedem Schritt dieses Weges im Tragetuch mit dabei war.

Danach war ich so frustriert, dass ich dann an einem Punkt war, wo ich gedacht habe: Egal, ich nehme einfach irgendwas! Ich war von der Zeit davor einfach gewohnt, wirtschaftlich unabhängig zu sein, mein ganzes Erwachsenenleben. Sogar mein Studium hab ich mir selbst finanziert.

Irgendwas ist es aber dann zum Glück nicht geworden …

Nein zum Glück. Dass ich Marco Simonis über den Weg gelaufen bin, war irgendwie Fügung und hat mit meinem Faible für hochwertige Süßigkeiten und meiner Ausbildung als Raw Vegan Chef zu tun.

Das war noch während meiner Schwangerschaft mit Lian, als ich ihm ein paar Kostproben – darunter meine handgemachte Haselnuss Nougatcreme – in der Bastei10 vorbei gebracht habe, weil ich dachte, er wäre eventuell daran interessiert, sie ins Sortiment zu nehmen. Allerdings war er nicht da und es kam von ihm nie eine Antwort retour. Und das hat mich ziemlich geärgert.

Eines schönen Tages, mehr als zwei Jahre später, als mein Mann und ich dort einen Kaffee trinken waren, hab ich mir dann ein Herz gefasst und sprach ihn darauf an. Marco war es sehr unangenehm, er konnte sich absolut nicht daran erinnern und hat sich entschuldigt. Dann haben wir uns noch kurz unterhalten und ich habe erwähnt, dass ich auf der Suche nach einer neuen Challenge bin und ihm meine Situation erklärt. Und darauf hat er gesagt, ich solle ihm meinen Lebenslauf schicken.

Wie haben Sie reagiert, als dann ein paar Wochen später ein Jobangebot für Tatarie Marie auf ihrem Tisch lag?

Ich war erstaunt, als ich erfuhr, dass es sich um Tatar handelte. Besonders faszinierte mich, dass es auch vegane, vegetarische und süße Optionen gibt. Das hat definitiv meine Neugier und Interesse geweckt. Wir haben uns dann schnell – zuerst zu dritt, Marco, Hannes und ich – und dann kurze Zeit später zu fünft getroffen, um mein Jobprofil zu besprechen. Und ich glaube, uns war allen schnell klar, das passt. Oh yeah! It’s a match!

Es hat sich auch nie wie ein Vorstellungsgespräch angefühlt, sondern nach einem Gespräch auf Augenhöhe. Ich musste mich nicht verstellen. Die vier haben mitbekommen, dass ich keine Jasagerin bin, sondern aktiv mitwirken und gestalten möchte. Ihnen war bewusst, dass ich ein Kleinkind habe und von der Flexibilität, die sie mir bieten können, sehr profitiere. Wichtig ist ihnen, dass Dinge laufen. Wo, wie, wann – das ist meine Sache. Wenn man (Frau) sich seiner Qualitäten bewusst ist, und wie ich und schon sehr viel Erfahrung auf einem Gebiet hat, will man auch genau so behandelt werden.

Also eine komplett andere Erfahrung als die zuvor geschilderten?

Ich finde es wirklich interessant, dass es zum Schluss vier Männer waren, die so viel Verständnis gezeigt haben für die Art und Weise, wie ich arbeiten will. Alle Punkte auf meiner Wunschliste wurden erfüllt. Ausgerechnet so eine Männerpartie (lacht).

Sie haben in dem Unternehmer-Quartett vier echte Male Allies gefunden, wie man das heute nennen würde …

Ja, absolut. Obwohl ich sagen muss, dass auch mein früherer Director bei Nespresso so gestrickt war, Frauen bei ihrer Karriere zu unterstützen. Überhaupt habe ich das Gefühl, wenn wir Frauen uns gegenseitig weniger kritisch gegenüber stehen und uns mehr bestärken würden, dann wären wir bei vielen Themen schon weiter.

Ich kann mich an viele weibliche Stimmen aus meinem näheren Bekannten- und Verwandtenkreis erinnern, die gemeint haben: Sabina, vielleicht bist du doch zu wählerisch. Oder vielleicht verlangst du doch zu viel. Meine wichtigste Erkenntnis und Tipp für Frauen in einer ähnlichen Situation: sich von solchen Ratschlägen nicht runterziehen lassen und nicht aufgeben. Den eigenen Wert muss man immer selbst bestimmen. Und dann jemanden finden, der diesen Wert erkennt. Marco Simonis ist jemand, der das Potential in Menschen erkennt. Und seine Wertschätzung auch offen ausdrückt. Dafür bin ich sehr dankbar. Und für die Tatsache, dass ich das große Glück habe, selbst für die Balance zwischen meinem Familienleben und meiner Karriere sorgen zu können.

Vielen Dank für das offene Gespräch.

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