StartBalanceHealthAstrid von Stockar: "Vertrauen in mich musste ich mir innerlich hart erkämpfen"

Astrid von Stockar: „Vertrauen in mich musste ich mir innerlich hart erkämpfen“

2016 wechselte die bekannte Schweizer Moderatorin vom TV an die Spitze von Swissdent. Im Interview mit sheconomy erzählt sie die Geschichte hinter dieser bemerkenswerten Metamorphose, warum sie nach anfänglichem Zögern doch zugesagt hat und in welchen Situationen sie heute von ihrer früheren Karriere profitiert.

Astrid von Stockar war über 20 Jahre ein Fixstern im Schweizer Fernsehen. Als Reporterin, TV-Moderatorin und zuletzt auch als Produzentin eines Bewegtbildformats für Blick. 2016 wechselte sie überraschend an die Spitze der Zahnkosmetikmarke Swissdent. Im Interview lässt sie die entscheidenden Momente, wie es zu diesem Schritt kam, noch einmal Revue passieren, macht Frauen Mut, Dinge, die sie sich im ersten Moment nicht zugetraut hätten, einfach zu wagen und zeigt vor, wie man sich gegen ignorante Männer zur Wehr setzt.

Als bekannte TV-Moderatorin eines Tages plötzlich die Geschäftsführung einer Marke für Dentalkosmetik anzutreten, ist ein recht ungewöhnlicher Karriereschritt. Wie kam es dazu?

Es ist eine spannende Geschichte, die damit beginnt, dass sich zwei Lebenswege aus ganz unterschiedlichen Welten relativ unvermutet gekreuzt haben. Ich bin dem Gründer der Marke, dem Zahnmediziner Vaclav Velkoborsky, ursprünglich in Cannes während der Filmfestspiele begegnet. Ich habe dort eine Sendung gedreht und Leute interviewt am roten Teppich und da ist mir ein Mann aufgefallen, der Zahnpasta verteilt hat an die Stars und sich mit ihnen fotografieren hat lassen. Ein schüchterner Schweizer Zahnarzt, wie sich dann herausgestellt hat, der dort versucht hat, irgendwie Aufmerksamkeit auf seine Zahnpasta zu lenken, das hat natürlich meine journalistische Neugierde geweckt und ich habe dann für das Schweizer Fernsehen gleich einen Wirtschaftsmagazin-Beitrag über sein Start-up mitgedreht, so als Zweitprodukt quasi.

In welchem Jahr befinden wir uns da?

Das war 2010. Und einige Zeit später hat er mich dann kontaktiert, weil er expandieren wollte und nach Geldgebern gesucht hat. Bis zu dem Zeitpunkt hatte er das ja alles noch nebenbei gemacht und die Produkte tatsächlich im Keller seiner Klinik abgemischt. Und ich habe ihm dann mit meinen Kontakten geholfen, das Geld für eine erste eigene Produktion zusammenzubringen. Das heißt: Anfänglich habe mich nur am Rande beteiligt, weil ich an das Produkt geglaubt habe. In Hinblick auf meine TV-Karriere bin damals an einem Punkt gewesen, an dem ich sagen konnte: ich habe alles gemacht, jedes Sendungsformat, das im Schweizer TV möglich war. Ich hatte Samstagabende, politische Programme und Unterhaltungsprogramme. Ich habe es geliebt und ich liebe es heute noch. Aber irgendwann überwiegt dann einfach dieses Repetitive. Du merkst, du wirst älter und es wiederholt sich alles. Meine Antwort darauf war, eine eigene Produktionsfirma zu gründen. Und parallel dazu war ich eben im Verwaltungsrat der damals noch kleinen Zahnpastafirma Swissdent.

Wann und warum bis du dann schließlich Geschäftsführerin von Swissdent geworden?

Das war 2016 und vom Zeitpunkt her nicht so ideal, weil ich gerade in vielen neuen Projekten involviert war. Ich habe ein Buch geschrieben und Dokumentarfilme gedreht. Aber: Eines Tages mussten wir den CEO rausschmeißen, weil er krumme Sachen gedreht hat. Und dann hat mich Dr. Velkoborsky, der Gründer, quasi am Kragen gepackt und gesagt: So, jetzt übernimmst du!

Wie bist du mit dieser Aufforderung umgegangen?

Ich habe genauso reagiert, wie Frauen meistens reagieren: Das kann ich doch nicht! Das ist doch nicht mein Gebiet! Und im selben Moment habe ich mich dann an eine Situation beim Fernsehen erinnert, über die ich mich immer aufgeregt habe. Und zwar, wenn wir Frauen in unsere Diskussionssendung eingeladen haben, kam von denen häufig die Antwort: Ich bin nicht wirklich Spezialistin, nehmen Sie doch bitte jemand anderen. Wurde ein Mann gefragt, sagte der: Ich bin kein Spezialist, aber ich kann schon etwas sagen! Und ist einfach gekommen. Und dann habe ich mir gedacht: Jetzt stehst du selbst genau vor so einer Entscheidung und willst auch kneifen. Das kommt nicht in Frage. Und: Deshalb habe ich mich entschlossen, es wenigstens interimsmäßig für ein halbes Jahr zu machen. Bis wir jemanden anderen gefunden haben.

Mutig!

Ja, finde ich auch. Ich musste mich dafür nämlich buchstäblich in den tiefen Keller begeben und dort meine Schulbücher wieder hervorholen. Irgendwann hatte ich ja auch einmal Wirtschaft studiert und musste dann wieder beginnen, Bilanzen zu lesen. Und da war dann sehr schnell klar, dass ich schlussendlich die ganze Firma sanieren musste.

Warum war die Firma ein Sanierungsfall?

Also das Produkt war gut, aber die Absatzmärkte haben nicht gestimmt. Wir hatten ein Zahlungsziel von drei Monaten. Damit wir liquide werden, stellte ich das dann schnell auf Vorauszahlung um. Außerdem habe ich die Währungen auf Schweizer Franken angepasst. Ich habe gesagt, wir produzieren in der Schweiz und können nicht Bank spielen für unsere Kunden und in verschiedenen Währungen verkaufen. Sachen, die ich wahrscheinlich heute nicht mehr so radikal machen würde, weil ich inzwischen zu viel Verständnis aufbringe für das Gegenüber. Aber am Anfang hatte ich so eine gewisse Unbeschwertheit und Mut, weil man irgendwie nur vorwärts schaut. Und nach einem Jahr waren wir dann tatsächlich in den schwarzen Zahlen. Und ab dem Moment habe ich gedacht: So, jetzt ist es lustig, jetzt bleibe ich dabei!

Das war vor sieben Jahren. Heute ist Swissdent in über 40 Ländern vertreten und das in einem doch sehr stark umkämpften Marktsegment, wo man sich mit großen Konzernen wie Johnson & Johnson oder Procter & Gamble matcht. Wie sind deine Erfahrungen diesbezüglich?

Ich hatte schon im ersten Jahr das Vergnügen, mit Unilever zusammenzustoßen, weil die ein Patent von uns angefochten hatten und das dann vor das Patentgericht gebracht haben. In München gibt es ja diese Schlichtungsstelle und wir haben das zum Glück schlussendlich gewonnen. Aber die ganze Situation war schon sehr lustig: Sie kamen mit fünf Anwälten aus Irland an. Und ich saß da mit meinem Patentanwalt aus Zürich. Ganz klassisch: David gegen Goliath. Als Journalistin und Medienfrau habe ich diese Geschichte natürlich dann auch gut nach außen verkauft, also das David-gegen-Goliath-Szenario.

Da hast du offensichtlich von deiner langjährigen Tätigkeit im Journalismus profitiert. Gab es noch andere Situationen?

Meine Arbeit als Journalistin hat mich für Storytelling geschärft. Mein Fokus lag von Anfang an auf der einzigartigen Geschichte der Firma und ich habe darauf geachtet, dass die Geschichte stimmt. Dass wir mit unseren Produkten diese Swissness verkörpern. Deshalb habe ich auch die ursprünglich bereits ausgelagerte Produktion in die Schweiz zurückgeholt, also inklusive Verpackung, einfach, um wirklich sagen zu können: Swissdent ist 100 Prozent made in Switzerland.

Was bedeutet denn Swissness konkret für dich?

Swissness steht für ein großes Know-how im Bereich Forschung und Entwicklung, für Sauberkeit, für natürliche Ingredienzen und Ressourcen, die nicht verunreinigt sind. Allen voran sauberes Wasser, das im Grunde genommen 90 Prozent jeder Zahnpasta-Formulierung ausmacht.

Seit 2020 liegt das Schicksal der Marke nun ganz allein in deinen Händen, du bist auch Eigentümerin. Können wir diese Erfolgsgeschichte nun vielleicht auch ein wenig in Zahlen gießen?

Wenn man alle Länder und alle Produkte zusammen nimmt, dann machen wir schon einen Umsatz im zweistelligen Millionenbereich. Also es läuft! Wir sind so zwischen 20 bis 30 Prozent gewachsen in dieser Zeit.

Gibt es rückblickend gesehen so eine Art Mindset-Shift, also eine mentale Veränderung, die es gebraucht hat, um in dieser neuen Rolle als Unternehmerin zu reüssieren?

Am Anfang habe ich wahnsinnig an mir selbst gezweifelt. Als Journalistin hat man ja vor allem die Funktion, Themen in vielen Facetten und Schattierungen darzustellen. Vielleicht provoziert man sein Gegenüber manchmal sogar, um eine Meinung zu generieren. Aber selbst bleibt man Moderator. Man zieht die Fäden, aber man stellt sich nicht selbst hin und zieht den Wagen. Und plötzlich war es meine Aufgabe, eine sehr dominierende Haltung einzunehmen. Zu sagen: Das ist schwarz und das ist weiß. Das ist richtig und das ist falsch und so gehen wir jetzt weiter. Das war ein großer Wechsel. Äußerlich hat man mir natürlich nichts angemerkt. Aber innerlich musste ich mir das Vertrauen in mich und meine Entscheidungen hart erkämpfen. Aber als es dann schlussendlich da war, war das auch der Moment, wo das Business wirklich abgehoben ist. Als Frau wirst du von Kindheit auf darauf trainiert, dass du den Mitmenschen gefällst. Du lernst „How-to-Please“, wie die Engländer sagen. Darum glaube ich auch, dass Sportlerinnen generell gute Unternehmerinnen sind, weil sie lernen zu kämpfen und einen gesunden Ehrgeiz zu entwickeln. Sie lernen, dass man ohne schlechtes Gewissen auch mal führen darf.

Die Medienbranche ist ja bis heute sehr männerdominiert, um nicht zu sagen eine eher toxische. Wie war das für dich und ist dir eventuell auch ein Unterschied aufgefallen, als du dann einen gewissen Abstand hattest?

Mich hat das harte Umfeld in den Medien, die Medienlandschaft in der Schweiz sicher sehr geprägt. Ich war damals die erste Frau in einer Unterhaltungsabteilung, die keine Sekretärin oder Assistentin war. Also in der Redaktion. Weil Ansagerinnen – die gab es schon. Zeitansage, Nachsprechen, das durften Frauen schon früher. Ich hatte dann mit 30 meine erste eigene Abteilung, aber ich war die Einzige.

Aber wie hast du das geschafft?

Vielleicht hat es damit zu tun, dass ich halbe Schwedin bin. Die sind diesbezüglich ja immer so um die 20 Jahre voraus. Für Schwedinnen ist das völlig selbstverständlich. Die diskutieren gar nicht, sie machen. Und sie nehmen auch die Nachteile in Kauf. Ich wurde nie belästigt oder blöd angegangen. Vielleicht weil ich zurückgeschossen habe, auch im TV-Studio. Als junge Produktionsassistentin musstest du dich natürlich mit den in der Hierarchie tiefer gereihten herumschlagen. Im Studio waren das dann vielleicht die Tontechniker, die versucht haben, dich als junge Frau zu schikanieren. Ich bin das einfach übergangen. Und in späteren Jahren hab ich sogar ein wenig damit gespielt. Da gab es zum Beispiel diesen einen Stabschef vom Schweizer Fernsehen, der ganz verhasst war bei allen, weil er alle schikaniert hat. Und eines Tages stehe ich hinter ihm in der Kantine in der Schlange fürs Essen. Und ich weiß nicht, welcher Teufel mich geritten hat, aber ich hab ihn in den Hintern gekniffen. Und er dreht sich um, schaut mich an und wird ganz rot. Und dann hab ich ganz laut und gesagt: Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Und hinter mir stand die ganze Schlange, lauter TV-Moderatoren, die haben gebrüllt vor Lachen.

Und im Vergleich dazu, wie war das dann im Geschäftsleben?

Da war die Situation von vornherein viel einfacher, weil ich ja in eine Top-Position eingestiegen bin. Da gab es solche Themen eher weniger. An eine Szene mit einer Bank kann ich mich aber erinnern. Da ging es um einen Produktionskredit und dieser Bankdirektor, der mit uns verhandelt hat, konnte mich einfach nicht anschauen. Er hat immer nur den Zahnarzt angeschaut, obwohl der eigentlich gar nichts mit dem Geschäft zu tun hatte und ich immer seine Fragen beantwortet habe. Der hat sich wirklich unmöglich benommen, aber dafür habe ich mich später gerächt.

Wie?

Als es dann einmal darum ging, dass wir einen neuen Kredit aufnehmen, den er uns angeboten hat, hab ich gesagt: Herr Müller, Herr Meyer, wie auch immer er tatsächlich geheißen hat. Sie haben sich in der Vergangenheit als sehr unverlässlicher Partner gezeigt und deshalb werden wir das Angebot nicht annehmen. Die Zusammenarbeit ist beendet. Der junge Bankbeamte der daneben saß, hat ganz große Augen bekommen und hat sich offenbar auch insgeheim totgelacht. Weil später, als er abgeworben worden ist, hat er sich gleich bei mir gemeldet!

Und du bist jetzt bei dieser anderen Bank?

Tja: Ich habe jetzt beide. (lacht)

Großartig! Genau solche Geschichten müssen junge Frauen hören …

Vorbilder sind wichtig, stimmt. Aber du musst auch einstecken lernen und dir eine Hornhaut wachsen lassen. Du darfst nicht in die Opferrolle verfallen. Ich bin jemand der nicht zurückschaut und der Negatives gar nicht an sich heranlässt und das hat mir schon immer viel geholfen. Wenn ich darüber nachdenke, fällt mir noch ein wichtiger Unterschied zwischen Unternehmerinnentum und der Arbeit beim Fernsehen auf. Je höher du im TV kommst, desto mehr wirst du zum Spielball von Macht und Intrigen. Von Sachen, die du im Grunde nicht beeinflussen kannst. Als Unternehmerin kann ich entscheiden, ob ich einen Catch oder einen Cut mache, ob es sich nun um Partner, Lieferanten, was auch immer handelt. Und das ist insgesamt schon ein großer Gewinn.

Vielen Dank für das Gespräch.

 


 

Die Swissdent Cosmetics AG ist ein international tätiges Unternehmen mit Sitz in Zürich, welches 2006 vom Schweizer Zahnarzt Dr. med. dent. Vaclav Velkoborsky gegründet wurde.

Dr. Velkoborsky erkannte bei seinen Patient*innen das Bedürfnis nach einer schonenden, mineralisierenden und doch aufhellenden Zahnpasta und begann 2005 mit der Entwicklung einer einzigartigen Rezeptur auf Enzymbasis. Die Swissdent Cosmetics AG beschäftigt heute eine Reihe von Spezialist*innen im Bereich der Entwicklung von innovativen Zahnpflegeprodukten und hält mehrere Patente. Alle Produkte werden zu 100 Prozent in der Schweiz hergestellt und unterliegen strengen Qualitätskontrollen.

Mittlerweile ist die Marke in 54 Ländern vertreten. In Deutschland und Österreich ist sie u.a. bei Müller erhältlich.

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