Die ARA rettet Verpackungsmaterialien, die wichtige Rohstoffe enthalten. Die Firma Unverschwendet rettet Lebensmittel. Im SHEconomy-Talk sprechen ARA-Vorstand Harald Hauke und Cornelia Diesenreiter von Unverschwendet über das Prinzip „Abfall = Rohstoff“
Ihre beiden Unternehmen agieren nach dem Prinzip „Abfall = Rohstoff“. Frau Diesenreiter, viele Lebensmittel gehen in Österreich entlang der Wertschöpfungskette verloren? Gibt es da eine Statistik, aktuelle Zahlen?
Diesenreiter: Aktuell wird davon gesprochen, dass 40 % aller produzierten Lebensmittel für den Müll produziert werden. In Österreich wäre das etwas mehr als eine Million Tonnen. In der Landwirtschaft sind es 167.000 Tonnen. Das sind aber nur die ersten punktuellen Erhebungen. Wir glauben, dass die Ziffer tatsächlich noch um einiges höher sein wird.
Bei der Lebensmittelrettung spielt die Haltbarkeit eine Rolle – und somit auch die Verpackung. Wie geht man bei Unverschwendet mit diesem Thema um?
Diesenreiter: Die Herausforderung besteht darin, was Menschen als nachhaltig empfinden. Plastikfolierung wird als weniger nachhaltig eingestuft als Papierkartons. Auch wenn der Papierkarton viel mehr Ressourcen gebraucht hat. Wir werden immer wieder gefragt, warum es keine Mehrwegsysteme für unsere Gläser gibt. Da muss noch viel Aufklärungsarbeit gemacht werden, um zu erklären, was so ein Mehrwegsystem für ein Kraftakt ist.
Hauke: 100 bis 150 Kilometer rund um die Produktion macht Mehrweg Sinn, alles, was weitergeht, hat einen höheren Footprint. Deswegen ist Einweg durchaus eine nachhaltige Alternative. Theoretisch müsste man bei jeder Verpackung eine eigene Umweltbilanz rechnen. Man kann nie sagen, Glas ist gut oder schlecht, PET ist gut oder schlecht bzw. Kunststoff ist gut oder schlecht. Man muss sich immer die Situation rundherum anschauen. Wo kommt die Verpackung zum Einsatz? Geht es in den Kreislauf zurück?
Diesenreiter: Gibt es ein Plakat, wo man schön sieht, wo man was wegschmeißt? Wir haben immer wieder die Situation im Büro, dass Leute kommen und sagen, Cornelia, wo darf ich das wegschmeißen?
Hauke: Wir haben dazu eine eigene App entwickelt, die sich Digi-Cycle nennt. Man kann die unterschiedlichen Produkte scannen. Unsere App listet dann zum Beispiel bei einem Getränkebecher auf: Da besteht der Becher aus Kunststoff, oben ist das Metall. Dann gibt es einen Kartonsleeve. Und dann erfährt man noch auf Knopfdruck, wo die nächste Tonne ist. Wir haben fast alle Behälter in Österreich mit der App vernetzt.
Herr Hauke, Sie haben einmal gemeint, von den Verpackungsmaterialien fallen 2/3 auf Haushalte und 1/3 auf das Gewerbe. Lebensmittel werden auch sehr viele zu Hause weggeworfen. Frau Diesenreiter, gibt es auch dazu Zahlen beziehungsweise Tendenzen?
Diesenreiter: Von der 1 Million Tonnen, die weggeschmissen wird, wird aktuell mehr als die Hälfte im Haushalt weggeworfen. Dass sind 521.000 Tonnen, rund 133 pro Jahr pro Haushalt. Die Teuerungen haben kurzfristig dazu geführt, dass das weniger wird. Aber grundsätzlich glaube ich, dass Lebensmittel trotzdem noch so günstig sind, dass sich viele denken: ist mir egal. Am Ende der Wertschöpfungskette ist das besonders schlimm, weil da schon so viele Ressourcen hineingeflossen sind. Bei Nachhaltigkeit ist es oft so, dass Menschen gern da nachhaltig sind, wo sie andere sehen können. Das heißt: Der Jutebeutel, mit dem ich einkaufen gehe. Aber alles, was hinter verschlossenen Türen zuhause passiert, ist leider oftmals am schwierigsten zu beeinflussen.
Bei Glas, Papier und Metall haben wir heute schon die Ziele von 2030 erfüllt.
Hauke: Beim Sammeln von Verpackungen sind wir in Österreich gut aufgestellt. Bei Glas, Papier und Metall haben wir heute schon die Ziele von 2030 erfüllt. Bei Kunststoff werden wir die Ziele auch schaffen, aber wir müssen das Recycling bis 2025 verdoppeln. Der Großteil der Menschen macht es ordentlich und sammelt. Ein geringer Anteil macht es nicht und das merkt man dann massiv. Beim Glas haben wir immer noch 40.000 Tonnen im Restmüll. Die Leute glauben, es wird alles aussortiert. Aber im Restmüll rechnet sich das nicht. Der Aufwand wäre viel zu groß.
Die Leute müssen mitmachen. Das ist das Problem, oder?
Hauke: Darum machen wir das, was wir machen. Zum Beispiel haben wir für Kindergarten und Volksschule mit ARA4kids und Bobby Bottle zwei Umweltbildungsprogramme entwickelt. Und auch bei den Erwachsenen setzen wir auf Bewusstseinsbildung. Deshalb sind auch 9 von 10 Österreichern dabei und machen mit. Die letzten 10 Prozent sind aber schwer zu erreichen.
Könnte man diese letzten 10 Prozent noch irgendwie überzeugen?
Hauke: Wir haben unsere dritte Sinus-Milieu-Studie präsentiert. Die Bevölkerung wird dabei in Gruppen mit ähnlichen Werten und vergleichbarer sozialer Lage eingeteilt. Das größte Potenzial für mehr getrennte Verpackungssammlung liegt bei Hedonisten und der Adaptiv-Pragmatischen Mitte. Die Hedonisten erreicht man gut über Apps, Gamification und Incentivierung. Für die Adaptiv-Pragmatische Mitte stehen der persönliche Nutzen und die Bequemlichkeit im Vordergrund. Wir überlegen uns hier viel. Der Aufwand ist allerdings groß. Dabei ist es die einfachste Sache der Welt: Schmeiße deine Verpackung in den richtigen Behälter. Damit geht sie in den Kreislauf zurück.
Ich bin wirklich manchmal ein bisschen ratlos, was den Lebensmittelabfall in Privathaushalten anbelangt.
Diesenreiter: Bei Lebensmitteln wird es nicht ganz so einfach werden. Ich glaube, dass die Bewusstseinsbildung schon bei den Kindern anfangen muss. Ich bin wirklich manchmal ein bisschen ratlos, was den Lebensmittelabfall in Privathaushalten anbelangt. Das explodiert einfach. Es gibt 100.000 Ratgeber, Restl-Kochen etc. Aber das deckt nur eine Nische ab – für die, die sich auch dafür interessieren. Bei allen anderen ist es schwierig.
Hauke: Die wenigsten wissen, wie ein Lebensmittel produziert wird. Darum schätzen sie nicht, was da dahintersteckt.
Gibt es Pläne, wie Sie in Zukunft das Potential noch weiter ausschöpfen können?
Diesenreiter: Wir haben durch die Hofer-Kooperation geschafft, dass wir Mengen bewegen können. Bei Unverschwendet haben wir pro Jahr 350.000 Gläschen Marmelade verkauft. Wir haben ganze Sattelschlepper voll Obst und Gemüse, das wir retten können. Aber es gibt noch vieles, das im Schatten liegt. Wir wollen diese Überschüsse kommerziell verfügbar machen. Es geht darum, eine Art Marktplatz zu schaffen, wo sie aufscheinen. Wo man sieht: Da drüben sind 40 Tonnen Rosinen, ich bräuchte die eigentlich eh gerade. Das passiert jedes Jahr, dass die Rosinen rauskristallisiert und weggeschmissen werden. Es ist furchtbar. Eine Frage ist: Wie kann ich Überschüsse für soziale Einrichtungen aufbereiten? Die Wiener Tafel hat nichts davon, wenn ich ihnen ein 2-Tonnen-Bigpack Rosinen hinstelle. Das muss jemand abfüllen, ich brauche eine Verpackung, ich brauche ein Etikett drauf, es muss geprüft sein. Das ist auf jeden Fall noch eine große Herausforderung.
Hauke: Der Handel macht da bereits viel, auch im Obst- und Gemüsebereich. Alternative Karotte, oder der Apfel, der nicht perfekt rund ist und glänzt. Da gibt es auch schon Maßnahmen.
Diesenreiter: Der Handel an sich, wenn man sich die Wertschöpfungskette anschaut, schmeißt per se wenig weg. Man muss aber sich trotzdem vor Augen halten: Wenn der Supermarkt sagt, ich brauche die 20 Wassermelonen nicht, weil es gerade viel regnet – dann kommen die trotzdem auf den Müll. Oder wenn zu viel bestellt wurde und er macht 2 +1 Gratis, damit er es loswird – dann wird es zuhause trotzdem weggeschmissen. Nur, weil die Zahl vom Supermarkt selbst sehr gering ist, heißt das nicht, dass er nicht verantwortlich ist.
Hauke: Aber grundsätzlich muss man das Engagement des Handels auch loben.
Diesenreiter: Absolut! Es bringt nichts, darüber zu diskutieren, wer Schuld hat. Es geht darum, dass man gemeinsam Lösungen findet.