„Move your ass“ steht auf dem kleinen Korb, der mit Büroutensilien gefüllt ist. Was etwas provokant und eher nicht nach Business klingt, ist bei der Münchner Markenagentur BECC Agency ein kleines Element für eine große Frage: Wie kommen die Mitarbeitenden nach der langen Homeoffice-Phase wieder gern ins Büro?
Die vierköpfige Führungsspitze der Agentur – darunter das Mutter-Tochter-Tandem Sabine und Katharina Kraus als Inhaberinnen und Geschäftsführerinnen – haben sich viele Gedanken über neue Erfordernisse der Arbeit gemacht. Das Büro wurde umgestaltet, neue Flächen für verschiedene Tätigkeiten und Anforderungen entwickelt. Und der kleine Korb mit der klaren Botschaft motivierte das Team dabei, das neue Büro zu erkunden und per Zufallsgenerator die Kolleg:innen teilweise neu kennenzulernen.
New Work, das bedeutet für das Kraus-Duo und die gesamte Spitze mit Leif Geuder und Metin Seyrek dazu vor allem Achtsamkeit und gesundes Arbeiten. Das hat auch handfeste wirtschaftliche Gründe: „Wir können es uns schlichtweg nicht leisten, durch Fluktuation fähige, aber unzufriedene oder überforderte Leute zu verlieren“, sagt HR-Verantwortliche Sabine Kraus. „Wir konnten zeigen, dass man an Wochenenden tatsächlich frei haben und abends pünktlich nach Hause gehen kann.“ Dabei hilft, dass sich die Agentur nicht als reine Dienstleister, sondern als Partner sieht. „Für viele Kunden sind wir Generalunternehmer oder ausgelagerte Marketingabteilung.“
„Die Einstellung der jüngeren Mitarbeitenden zum Job hat sich deutlich verändert“ (Sabine Kraus)
Viele der insgesamt 50 Angestellten in den Bereichen Text, Beratung, Design, Architektur oder Entwicklung, arbeiten noch immer gern remote, auch in anderen Städten. Zwischen den Generationen zu vermitteln, die Teams am Laufen zu halten, unterschiedliche Erwartungen zu erfüllen und dabei trotzdem dem Kundenstamm und den Stammkunden weiter möglichst flexibel als Dienstleister zur Verfügung stehen, das sei nicht immer leicht, geben Sabine und Katharina zu. „Die Einstellung der jüngeren Mitarbeitenden zum Job hat sich deutlich verändert, das ist ein Riesenthema für uns.“
Dabei hat es Sabine Kraus selbst ganz anders gelernt. Die heute 60-Jährige ist mit dem „typischen“ Agenturgeschäft groß geworden, schon ihre eigene Mutter führte mit AGW eine der ersten Werbeagenturen in München. Sabine Kraus bringt sich dort ebenfalls ins Familienunternehmen ein, offiziell als Assistenz, aber immer mit Ehrgeiz und Antrieb für Neues. „Ich habe nie studiert, sondern bin ausgebildete Schauwerbegestalterin. Das hat mich vor allem im Messegeschäft weitergebracht.“
Die Autodidaktin organisiert unter anderem Events und Messen für große Automarken, teilweise ist sie wochenlang unterwegs. Nach dem Verkauf des von den Eltern gegründeten Geschäfts entschließt sie sich nach kleinen Umwegen 2006 für die Gründung der BECC Agency mit Leif Geuder. Die Kinder der Geschäftsführerin bekommen dabei immer viel von ihrem Job mit.
„Als Tochter in leitender Funktion muss man härter arbeiten und doppelt so gut sein“ (Katharina Kraus)
„Die Agentur war immer so etwas wie ein Geschwisterkind für uns“, erinnert sich Katharina. „Ich bin schon als kleines Mädchen immer in der Agentur mitgelaufen und hab schon an der Schreibmaschine der Oma getippt.“ Natürlich sei es nicht leicht gewesen, teilweise über Monate von der Mutter getrennt zu sein, wenn diese beruflich unterwegs war. „Aber die Sichtweise verschiebt sich – sobald ich mehr verstanden habe, worum es ging, war ich richtig stolz auf sie“, meint Katharina Kraus heute. Bevor sie aber so richtig in die Fußstapfen der Mutter tritt, will sie zunächst an die Akademie und in einer anderen Agentur arbeiten, 2007 kommt sie zur BECC. „Mir war es wichtig, eine ordentlich Grundausbildung zu haben und nicht sofort in die Agentur einzusteigen. Als Tochter in leitender Funktion muss man härter arbeiten und doppelt so gut sein“, sagt die Controlling-Verantwortliche.
Die enge familiäre Bindung hilft im gemeinsamen Agenturalltag, die Eigenschaften der beiden ergänzen sich. „Ich bin von uns beiden diejenige, die mehr Struktur hat“, lacht Katharina. Sabine Kraus dagegen blüht erst im Chaos so richtig auf. Inzwischen ist auch ein weiterer Bruder Teil der BECC-Crew, die Agentur ist fast ein Familienunternehmen.
Dabei spielen die Münchner Markenexperten international mit, sehen sich selbst als „Champions League“. In der Agenturlandschaft, die sich weiter konsolidiert, fühlen sie sich mit ihrer Betriebsgröße gut aufgestellt. „So sind wir näher bei den Leuten“, sagt Katharina Kraus. Eine weitere Differenzierung sollen unter anderem neue immersive Technologien und interaktive Medien für die Brand- und Produktentwicklung der Kunden bringen. Zuletzt machte BECC mit dem Logo für die diesjährigen Special Olympics World Games in Berlin auf sich aufmerksam. Im Branding-Prozess arbeitete das Team in Workshops eng mit den Athlet:innen zusammen und entwickelte aus deren Empfindungen heraus das Markendesign für die größte inklusive Sportveranstaltung in Deutschland.
Auch mit vielen weiteren Kunden verbinde sie ein starker menschlicher Draht, meint Katharina. „Damit sind wir weniger austauschbar.“ Außerdem lasse man sich unter Familienmitgliedern nie gegenseitig im Stich – „deshalb sind wir extrem zuverlässig“, ergänzt Mutter Sabine. Bei den familiären Unternehmensstrukturen ist auch die Nachfolge immer ein Thema. Die aufzubauen, das weiß Sabine Kraus aus ihrer Erfahrung mit den eigenen Eltern, das funktioniert nicht innerhalb von wenigen Jahren. „Das muss eher 10 Jahre sachte vorbereitet werden, damit es nicht spürbar ist.“