StartBusinessVergessener Wirtschaftsfaktor Ein-Personen-Unternehmer:innen

Vergessener Wirtschaftsfaktor Ein-Personen-Unternehmer:innen

350.000 Menschen waren 2021 in Österreich als Ein-Personen-Unternehmen tätig. Mit einem Anteil von 51,3 Prozent sind Frauen hier in der Mehrzahl. Ihr Beitrag zum BSP ist beachtlich, das damit verbundene Sozialprestige hingegen bescheiden. Wir haben uns mit Kommunikationsexpertin Sylvia Bauer, selbst Einzelunternehmerin, über die Gründe für dieses kommunikative Desaster unterhalten und nachgefragt, wie es gelingen könnte, das Image von EPUs ihrem gesellschaftlichen Wert entsprechend geradezurücken.

Statistisch gesehen sind Unternehmer:innen auf dem Vormarsch. Trotzdem erfährt man medial darüber nur wenig. Da ist meist von Start-ups und da speziell von denen in Männerhand zu lesen. Woran liegt das?

Sylvia Bauer: Dass Start-ups medial so in den Vordergrund gestellt werden und EPUs daneben fast „untergehen“, ist problematisch, weil wir damit suggerieren: Wenn du kein Start-up gründest, also eine Geschäftsidee mit hohem Wachstumspotenzial unternehmerisch umsetzt, und dafür millionenhohe Investitionen einfährst, bist du nicht erfolgreich. Doch die Wirtschaftsleistung von EPUs ist enorm und bleibt häufig sogar im Land. 99,6 Prozent aller Unternehmen in Österreich sind KMUs, bei rund 87 Prozent davon wiederum handelt es sich um Kleinstbetriebe mit weniger als zehn Beschäftigten (Quelle: Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft).

Warum reden wir darüber so wenig? Und warum ist der einzige Weg zum Unternehmer:innentum, den man uns aufzeigt, ein Start-up? Auf diese Weise machen wir das Thema klein, Role Models unsichtbar und haben als Folge weniger Personen, die diesen Karriereweg in Betracht ziehen – und das ist wiederum schlecht für uns alle, weil sie eine starke Wirtschaftsleistung für unser Land bringen.

Medial sind Start-ups sicherlich aus vielen Gründen stärker präsent: sie haben Dank dem Kapital von Investor:innen häufig mehr budgetäre Möglichkeiten für Medienarbeit als EPUs. Die Messages sind auch irgendwie abenteuerlicher: Wen interessiert ein kleines EPU, wenn da das innovative Start-up mit einem Millioneninvestment Schlagzeilen machen kann?

Deshalb ist es in meinen Augen besonders wichtig, dass EPUs von den EPUs selbst präsenter gemacht werden – und dafür müssen wiederum wir Frauen uns noch stärker aus der Deckung trauen. Ich erlaube mir hier, Armin Wolf im Podcastinterview mit Mari Lang zu zitieren, der darauf einging, dass viel weniger Frauen Einladungen ins Studio annehmen würden als Männer das täten.

Spielen da vielleicht auch psychologische Faktoren mit hinein?

SB: Psychologische Faktoren, oder eher groß von der Gesellschaft konstatierte Glaubenssätze, spielen für mich in der Frage rund ums Sozialprestige für EPUs und der ihnen entgegengebrachten Wertschätzung eine ziemlich mächtige Rolle.

Ein paar Beispiele aus meiner eigenen Erfahrung,  die zeigen mit welchen gesellschaftlichen Vorurteilen Ein-Personen-Unternehmer:innen konfrontiert werden:

  • „Was, du machst dich selbstständig? Da arbeitest du ja selbst und ständig!“ – Man bekommt von Menschen, (die oft selbst noch nie gegründet haben) ständig suggeriert, dass man in der Selbstständigkeit total angehängt ist und die Work-Life-Balance unerreichbar wird.
  • Oder: „Jaja, ich kenn auch jemanden, der gegründet hat und dann kein Geld verdient hat“ – Wieder so eine Annahme, die vermuten lassen könnte, dass der Markt für EPUs schlichtweg schlecht ist. Dabei spielen beim Gründen so viele Faktoren zusammen, aber ganz sicher kein Pech… und Glück übrigens auch nicht.
  • „Ja, das mit dem Gründen stellt man sich rosiger vor als es ist. Mich fressen die Steuern auf!“ – Da spielt die Gesellschaft wieder mit der Angst von allmächtigen Faktoren (Steuern), die einem das EPU kaputt machen. Dabei sind Steuern einkommensabhängig und kalkulierbar – wir reden hier davon, seine Hausaufgaben zu machen, Kalkulationen aufzustellen und mit Geld gut umzugehen – was auch heißt, Budgets beiseitezulegen, sodass man sie später einmal abführen kann.
  • „Was, jetzt gründest du? Dann kannst du ja nie in Karenz gehen!“ – Eine Aussage, die auf emotionaler Ebene massiv mit der Freiheit der Frauen beim Gründen spielt – und eigentlich nur Informationsmangel zeigt.

Summa summarum: In meinen Augen ist die Selbstständigkeit und Unternehmer:innentum in Österreich häufig negativ konnotiert. Das perfide an der Sache ist, dass diese Assoziationen meist von Personen geschürt werden, die entweder nie gegründet haben oder selbst (womöglich vermeidbare) Fehler gemacht haben – und dann alle nachfolgenden Menschen mit derartigen Aussagen abschrecken.

Alarmierend finde ich, dass all diese Suggestionen im Zusammenhang mit EPUs mit den Faktoren Angst, Freiheitsentzug, Inflexibilität oder Unmöglichkeit einer Familiengründung spielen. Gerade für Frauen keine unwesentlichen Themen.

Wie hast du das Wagnis Selbstständigkeit selbst erlebt und was würdest du anderen Frauen gerne mitgeben, die vor dieser Entscheidung stehen?

SB: Ich hatte die Selbstständigkeit immer im Kopf und weil mein Umfeld oder die Gesellschaft diese als „unsicher“ eingestuft haben, habe ich sie auch als Wagnis empfunden – und so lange rausgezögert. Im Nachhinein betrachtet ist die Selbstständigkeit aber kein Wagnis, sondern einfach ein anderer Karriereweg mit anderen Chancen und auch anderen Anforderungen. Alles im Leben hat ein Für und Wider.

Ein paar Gedanken, die für mich während der Entscheidung für die Selbstständigkeit wertvoll waren und ich gerne anderen Frauen mitgeben würde, die gründen wollen, sich aber noch nicht ganz drüber trauen:

  • Du kannst nicht vom Fußboden fallen: Im schlimmsten Fall sind wir nachher genau da, wo wir vorher waren.
  • Mutige Entscheidungen werden immer belohnt: Nur, weil wir etwas machen, das wir davor noch nie gemacht haben, heißt das nicht, dass es nicht gut wird – im Gegenteil! Wir haben ja keine Ahnung, was alles Tolles da draußen auf uns wartet, wenn wir nichts versuchen.
  • Sei vorsichtig, was du dir wünschst, am Ende bekommst du es noch: Mein Nummer 1 Learning. Wenn wir uns das manifestieren, was wir wollen, handeln wir ganz automatisch danach und die Dinge treten ein.
  • Planung ist der halbe Erfolg, das kalte Wasser macht den Rest: Ich habe mir damals für das erste halbe Jahr der Selbstständigkeit ein Budget an Erspartem zurecht gelegt. Primär wollte ich mir dadurch den Umsatz-Druck rausnehmen. Das gelang, ich hatte sehr viel Freiheit im Kopf, um ohne Druck einfach mal loszulegen und mich auszuprobieren. Doch eine zweite, sehr positive Auswirkung ist noch dazu gekommen: Ich habe im ersten halben Jahr gelernt, mit einem Umsatz statt einem Netto-Einkommen umzugehen – zwei ganz verschiedene Dinge.
  • Gib genau das, was du dir wünschst: Das ist eine Regel, die irgendwie unergründbar und universal ist. Ich zitiere große Finanzexpert:innen, die zum Spenden ermutigen, weil es im Vielfachen wieder zurückkommt. Genauso ist das mit allem im Leben: Wer gibt, gewinnt. Und zwar in genau dieser Reihenfolge. Du brauchst Kontakte? Lass andere Menschen von deinen Kontakten profitieren. Du brauchst Kund:innen? Schau, dass andere durch dich zu neuen Kund:innen kommen. Du brauchst Hilfe? Hilf anderen Menschen in einem Bereich, in dem du helfen kannst.
  • Zu guter Letzt: Was würdest du tun, wenn du keine Angst hättest? Das ist eine Lifechanger-Frage, zitiert nach Sheryl Sandberg, COO Facebook. Hintergrund: Wir malen uns irrsinnige Szenarien aus, was nicht alles passieren könnte – und vergraulen uns dadurch große Möglichkeiten. Wir können alle nicht in die Glaskugel schauen.

Eine wichtige Sache, die ich noch besonders hervorheben möchte: In unserer Gesellschaft scheint es normal geworden sein, bewertet und mit anderen verglichen zu werden – gerade als Frau. Als ich die Entscheidung der Selbstständigkeit für mich getroffen habe, habe ich daher auch jede Menge Konter bekommen.

Mein Lieblingsbeispiel stammt von einer damaligen Kundin, ebenfalls eine Frau und im ähnlichen Alter wie ich: „Was, hast du denn überhaupt schon EINEN großen Kunden?“. Das hat mich verunsichert, denn die Antwort war „Nein“. Heute weiß ich: Völlig egal! Ich muss mich sicher fühlen mit meinen Entscheidungen, es gelten meine Kriterien. Mein Erfolg hängt nur an mir und ich bin der Maßstab, sonst nichts und niemand. It’s always you against you.

Was genießt du am meisten an dem Umstand „Deine eigener Chefin“ zu sein und was ist bis heute schwierig, oder in welchen Momenten sehnst du deinen Angestelltinnen-Status zurück?

SB: Gleich vorweg: Ich habe das Gefühl, dass die Selbstständigkeit und Unternehmer:innentum medial, gerade via Social Media, häufig als das „Non Plus Ultra“ im Karriereweg dargestellt wird – oder sogar als der einzige Weg, wenn man erfolgreich sein will. Das macht jungen Menschen Druck, nicht jede:r ist in der Selbstständigkeit gut aufgehoben und umgekehrt auch nicht im Angestelltenverhältnis. Es gibt tausend verschiedene Wege, um sein Idealszenario einer Karriere zu verwirklichen!

Ich selbst fühle mich im Unternehmertum total wohl und richtig, weil ich für mich weiß, dass ich das größtmögliche Maß an Freiheit in meinem Leben will. Freiheit bedeutet für mich auch Kreativität, die Dinge auf meine Art auszuprobieren und das zu einem Zeitpunkt, der für mich passt. Ich liebe auch Fehler, über die ich mich grün und blau ärgere – die ich mir aber ganz alleine auf die Fahnen heften kann und große Learnings für mich bereithalten. Ich liebe auch die Eigenverantwortung, die die Selbstständigkeit mitbringt und bin generell kein Mensch mit großem Sicherheitsbedürfnis.

Plus: Ich mag es, wenn das Leben in Phasen geschieht und mich immer vor neue Herausforderungen stellt. Das gibt mir wahnsinnige Energie, weil ich dadurch gestalten kann. Das heißt nicht, dass ich das im Angestelltenverhältnis nicht könnte – für mich macht lediglich die Unabhängigkeit in den Entscheidungen den maßgeblichen Unterschied. Meine Zeit in der Anstellung sehne ich aktuell gar nicht zurück.

Wenn du beauftragt würdest das Image von EPUs zu verbessern, was wäre dein erster PR-strategischer Schritt?

SB: Zuallererst müsste man definieren, warum das überhaupt wichtig ist: Aus meiner persönlichen Sicht, wäre es schön, wenn Frauen verstehen, dass Unternehmer:innentum ein gutes Modell sein kann, wenn es um Eigenständigkeit, Unabhängigkeit und Freiheit geht.

Wie jede von uns das gestaltet, ob neben einem Job oder rein selbstständig, ist doch ganz individuell. In meiner Idealvorstellung ist es jedenfalls so, dass wir mit den Möglichkeiten anstatt mit den Grenzen gehen – und das würde ich mir auch von den Medien wünschen, so mit dem Gründungsthema umzugehen.

Was EPUs außerdem brauchen, ist die breite Sichtbarkeit: EPUs müssen sich medial mindestens gleich gut aufstellen wie Konzerne das tun. Aus meiner Perspektive will ich hier auch betonen, dass gerade heimische Medien ein wahnsinniges Auge darauf haben, hier Gleichheit herrschen zu lassen. Dennoch: Viel mehr von ihnen müssten sagen „Hier bin ich und was ich mache, ist gut“ und sich damit noch stärker in die Medien trauen – vor allem Frauen.

Journalist:innen sind unglaublich offen für das Neue, umso mehr, wenn es direkt vor der Haustür passiert. Österreicher:innen sind stolz auf ihr Land und die Medien greifen das dann auch auf, wenn Österreicher:innen hier, lokal, vor der Tür einen Mehrwert für die Menschen schaffen.

Deswegen wäre mein erster PR-strategischer Schritt: Sichtbarkeit. Und wenn die Sichtbarkeit da ist, dann erzählen wir die Geschichte hinter den EPUs mit genau demselben Enthusiasmus, wie wir die Geschichte hinter Start-ups erzählen.


www.goldennugget-communications.at

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