Die Liste der prominenten Kontributorinnen auf unserer Plattform wird immer länger: Nun konnten wir die Initiatorin der wichtigen deutschen Job-Messe „women&work“, Melanie Vogel, für uns gewinnen. Sie schreibt heute „Aus der VOGELperspektive“ zum Weltfrauentag über „bedingungslose Gleichberechtigung“, die wir „ohne Kampf, aber mit Kooperation“ erreichen können.
Weltfrauentag:
Sprechen wir doch endlich von bedingungsloser Gleichberechtigung
„Das Prinzip, nach welchem die jetzt existierenden sozialen Beziehungen zwischen den beiden Geschlechtern geregelt werden – die gesetzliche Unterordnung des einen Geschlechts unter das andere –, ist an und für sich ein Unrecht und gegenwärtig eines der wesentlichsten Hindernisse für eine höhere Vervollkommnung der Menschheit.“
Das schrieb Harriet Taylor Mill (1807-1858) in dem gemeinsam mit ihrem Mann, John Stuart Mill, veröffentlichtem Buch „Die Hörigkeit der Frau“. Der Philosophin wird ein „ausnehmend radikal feministischer Geist“ zugeschrieben. Doch liest man ihre Worte heute, so ist daran nur noch wenig radikal, sondern vieles bereits ratifiziert und in völkerrechtliche Verträge eingebunden, um die Unterordnung der Geschlechter zu eliminieren. Jedoch: An der gelebten Umsetzung mangelt es auch knapp 200 Jahre nach Taylor Mills Veröffentlichung.
Ich frage mich seit vielen Jahren, woran das liegt? Warum tun wir uns als Gesellschaft so schwer damit, das Duell der Geschlechter zu beenden? Warum versinken wir – gerade jetzt in Corona-Zeiten – wieder in altbekannten Rollenstereotypen und warum setzt vor allem die Wirtschaft bei der Besetzung von Chefposten immer noch auf den weißen Mann Mitte/Ende 50? Der Dauer-Mythos lautet: „Frauen wollen gar nicht in Führung und auch keine Karriere machen.“ Doch unsere eigenen Studien – zwischen 2011 und 2018 haben wir im Abstand von drei Jahren insgesamt über 4.000 Frauen bundesweit befragt – können diesen Mythos nicht bestätigen. Rund 80% der befragten Frauen sind Aufstiegsmöglichkeiten wichtig. Über 90% ist ihr Beruf wichtig bzw. sehr wichtig.
50:50 – die natürliche Kohärenz der Geschlechter
Irgendwie, so scheint es, stehen wir uns selbst im Weg. Dabei könnte es so einfach sein, wenn wir einen Blick auf die natürliche Kohärenz der Geschlechter werfen. 50:50 ist der Zustand jeder gesunden Gesellschaft. Ohne dieses Gleichgewicht zwischen Männer und Frauen ist kein Fortbestand möglich. Diese natürliche Kohärenz der Geschlechter hat einen Grund. Sie sorgt für Balance und Ausgewogenheit. Sie ermöglicht, die Stärken beider zur Vermehrung der Wertschöpfung zu nutzen. Gesellschaftlich stellen wir das kaum in Frage. Auf die Wirtschaft übertragen wir diese Erkenntnisse jedoch nicht. Dabei zeigen auch hier Zahlen von OECD, EU und einigen namhaften Unternehmensberatungen seit Jahren unmissverständlich: Mehr Frauen in Führung sind gut für’s Geschäft. Wir verlieren – auch wirtschaftlich – daher unglaublich viel, wenn wir die Kohärenz der Geschlechter nicht anstreben. Und wir gewinnen überaus wenig, wenn wir uns weiter dagegen sträuben.
Bedingungslose Gleichberechtigung
Was also wäre zu tun, um die von Harriet Taylor Mill zurecht angeprangerte fehlende „Vervollkommnung der Menschheit“ zu erreichen? Aus meiner Sicht sollten wir endlich den Mut haben, bedingungslose Gleichberechtigung einzufordern – und zwar für Frauen und Männer. Denn – und auch das ist ein Mythos – es ist ja nicht so, dass Männer in unserer Gesellschaft gleichberechtigt sind. Sie sind es genauso wenig wie wir Frauen, wenn es um die Realisierung alternativer Lebens-, Rollen- und Familienmodelle geht. Fragen Sie mal, wie es der Karriere eines Mannes geht, wenn er drei Jahre für seine Kinder zu Hause bleibt. Fragen Sie mal eine Frau, wie viel Erfolg sie mit ihren Karrierewünschen ab dem magischen Alter von 30, 40 und 50 Jahren hat. Irgendwas ist in diesen Dekaden (familiär) immer – aus Sicht der Unternehmen. So lange wir also als Gesellschaft eisern an dem Glauben festhalten, dass Karriere und Familie nicht zusammenpassen, so lange wir felsenfest davon überzeugt sind, dass Frauen die besseren Familienmanagerinnen und die schlechteren Unternehmenslenkerinnen sind, so lange wird sich auch mit den wohlmeinendsten Gesetzen nichts, aber auch wirklich gar nichts ändern.
Doch wenn wir einen radikalen Paradigmenwechsel vornehmen und bedingungslose Gleichberechtigung einfordern und konsequent umsetzen, wird sich viel ändern – zum Wohle aller. Bedingungslosigkeit öffnet uns den Weg in die Vielfalt, denn mit Bedingungslosigkeit ist ein „Sowohl-als auch“ möglich. Sowohl Frauen als auch Männer können fürsorgende Eltern sein, die zu Hause bleiben, wenn die Kinder klein sind. Sowohl Frauen als auch Männer sind erfolgreich im Beruf und für ein Top-Management geeignet. Sowohl Karriere als auch Familie dürfen zu einem gelingenden Leben dazugehören.
Mit Bedingungslosigkeit befreien wir uns aus der Stagnation des Konsenses und bewegen uns hinein in eine Welt von Diskurs und konstruktivem Dialog. Bedingungslosigkeit öffnet uns aber auch den Weg in die Freiheit unseres Seins, in die Entfaltung unserer Persönlichkeit und Identität – fernab von Stereotypen und von Geburt an sozial zugeschriebene Rollen.
Bedingungslose Gleichberechtigung bedeutet daher nichts anderes, als dass wir es schaffen, Gleichberechtigung nicht mehr an Bedingungen zu knüpfen. In dem Moment, wo wir Menschen in ihrer individuellen Ganzheit annehmen, lassen wir Entwicklung zu. Und jede Form von individueller Entwicklung hat positive Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft. Durch bedingungslose Gleichberechtigung kommen wir der „Vervollkommnung der Menschheit“ ein großes Stück näher. Ohne Kampf, sondern durch Kooperation.
Das ist der Weg in die Zukunft!
Zur Autorin: Die dreifach ausgezeichnete Innovatorin ist seit 1998 passionierte Unternehmerin. Das von ihr entwickelte und preisgekrönte „Futability®-Konzept” ist ihre Antwort auf VUCA – eine Welt radikaler Veränderungen. Als VUCA-Expertin macht sie Menschen fit für eine Welt dauerhaften Wandels und sorgt für eine mentale Frischzellenkur. Als WirtschaftsPhilosophin und Innovation-Coach begleitet sie bei ganzheitlichen Unternehmenstransformationen. Die mehrfache Buchautorin ist Mitglied der Arbeitsgruppe „Hochschulbildung für das digitale Zeitalter im europäischen Kontext”, initiiert vom „Hochschulforum Digitalisierung” der Hochschulrektorenkonferenz (HRK). Außerdem schreibt sie regelmäßig als Fachautorin für die Publikationen “PersonalEntwickeln” (Deutscher Wirtschaftsdienst) und „Grundlagen der Weiterbildung” (Luchterhand-Verlag).
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