StartSalon"Junge Designer*innen müssen „outside the box“ denken"

„Junge Designer*innen müssen „outside the box“ denken“

Wie wird aus Talent eine Marke? Camille Boyer, Leiterin der Austrian Fashion Association (AFA), erklärt im Interview, wie die AFA in Österreich ansässige Designer*innen begleitet, fördert und professionalisiert.

Die Austrian Fashion Association (AFA) unterstützt Designer*innen dabei, aus Kreativität eine tragfähige Praxis zu entwickeln. Im Interview erklärt Camille Boyer, Leitung der Austrian Fashion Association, wie die AFA in Österreich ansässige Designer*innen unterstützt, professionalisiert und die gesamte Szene indirekt von den Förderungen profitiert.

Wie würden Sie mit eigenen Worten die Mission der AFA beschreiben?

Wir haben mehrere Missionen. Erstens unterstützen wir das Wachstum und die nachhaltige Weiterentwicklung von in Österreich ansässigen Modedesigner*innen und helfen ihnen dabei, sich zu professionalisieren. Genauer gesagt, geben wir ihnen Werkzeuge an die Hand. Gleichzeitig geht es auch darum, die österreichische Modeszene als Ganzes weiterzuentwickeln. Und drittens wollen wir Mode vermehrt in einem kulturellen Kontext positionieren. Mode geht weit über Kleidung hinaus – mit dem, was man trägt, können Botschaften transportiert werden.

Für viele Jungdesigner*innen ist der Schritt von kreativer Idee zur tragfähigen Marke eine Herausforderung – welche Rolle nimmt die AFA dabei ein?

Für die Unterstützung von jungen Designer*innen haben wir verschiedene Instrumente entwickelt: Wir organisieren unterschiedliche Workshops, haben ein Mentoring-Programm mit internationalen Expert*innen und bieten viel Beratung an. Wir wollen möglichst viel Expertise auf höchstem Niveau zur Verfügung stellen, Begegnungen ermöglichen und ein globales Netzwerk aufbauen.

Viele fragen nach „Erfolgsgeschichten“. Gibt es eine, die Sie besonders begeistert – und wie definieren Sie Erfolg heute?

Es gibt viele Designer*innen, die ihre ganz eigene Erfolgsgeschichte leben, und es ist inspirierend zu sehen, wie sie ihre Marke aufgebaut haben. Ich möchte jetzt keine einzelne Marke hervorheben. Wichtig ist vielmehr, dass Designer*innen authentisch bleiben – in dem, was sie tun, was sie tun wollen, wie sie es tun wollen und was ihre persönliche Vision von Erfolg ist.

Früher war Erfolg für mich: eine Marke aufzubauen, an viele Stars zu verkaufen und überall in den Medien präsent zu sein – also die Marke wachsen und skalieren zu lassen. Ich glaube, diese Vorstellung stammt stark aus unserer kapitalistisch geprägten Welt. Wir müssen unser Denkensweisen ändern: Erfolg muss nicht  immer Reichtum und Berühmtheit bedeuten. Erfolg kann auch heißen, das zu tun, was man liebt und davon leben zu können.

Erfolg muss nicht immer Reichtum und Berühmtheit bedeuten. Erfolg kann auch heißen, das zu tun, was man liebt – und davon leben zu können.

Die österreichische Modeszene ist vergleichsweise klein – wo sehen Sie die größten Chancen und zugleich die größten Herausforderungen für junge Designer*innen?

Ich glaube, wir erleben gerade sehr schwierige Zeiten für Mode. Es gibt viel wirtschaftliche Unsicherheit, Geschäfte schließen, große Online-Plattformen verschwinden. So schlecht war die Situation lange nicht. Die Produktionskosten sind zu hoch, und gleichzeitig fehlt das Geld – Menschen kaufen auch weniger. Deshalb ist es so wichtig, den Begriff Erfolg neu zu definieren.

Mit alten Modellen und alten Vorstellungen weiterzumachen, funktioniert nicht mehr. Man braucht heute unglaublich viel Kapital, um „auf die alte Weise“ erfolgreich zu sein. Junge Designer*innen müssen „outside the box“ denken, ihre eigenen Communities aufbauen und neue Wege finden, Konsument*innen zu erreichen.

Welche Hürden sehen Sie aktuell für österreichische Designer*innen, wenn sie wirklich nachhaltig produzieren wollen – und wie unterstützt die AFA dabei?

Zuerst einmal: Wenn man wirklich „vollständig nachhaltig“ sein will, dürfte man (vor allem am Anfang) – gar nichts produzieren. Es gibt keine absolute Nachhaltigkeit, deshalb reden wir eher über „Verantwortung“.

Für kleine Marken ist es sehr komplex, die richtigen Partner*innen zu finden, um verantwortungsvolle Prozesse zu entwickeln. Eine Herausforderungen ist zum Beispiel der Zugang zu nachhaltigen Stoffen. Ein großer Teil des Abfalls entsteht nämlich im Schnittprozess. Designer*innen sollten sich auch diese Fragen stellen: Wie konstruiere ich Schnitte so, dass möglichst wenig Verschnitt anfällt?, Wie kann ich Stoffe wiederverwenden, die übriggeblieben sind?, Wie kann ich bestehende Schnittformen adaptieren, statt jedes Mal neu zu beginnen?

Digitalisierung, neue Produktions- und Vertriebswege – wie sehen Sie die Rolle digitaler Tools und neuer Geschäftsmodelle?

Einen wirklich gut funktionierenden Direct-to-Consumer-Vertrieb aufzubauen ist mit zahlreichen Herausforderungen verbunden. Es geht nicht nur um Shopify, sondern darum, die richtigen Tools für Marketing und Promotion zu nutzen und mit ihnen umgehen zu können.

Viele Designer*innen arbeiten bei der Entwicklung ihrer Kollektionen bereits mit digitalen Tools, um zu sehen, wie etwas aussehen wird, bevor sie ein physisches Sample produzieren. Gerade bei Accessoires funktioniert das schon gut. Man kann Produkte an Händler*innen pitchen, ohne sie physisch hergestellt zu haben. Wir haben Marken, die so arbeiten: Sie produzieren erst, wenn klar ist, dass es Nachfrage gibt.

Und dann gibt es KI, die komplett digitale Mode erschafft. Das ist noch ein anderes Feld, das sich gerade erst entwickelt.

Diversität ist ein zentraler Wert bei sheconomy – wie stellen Sie in Auswahl- und Förderprozessen faire Chancen sicher?

Wenn es um Förderungen geht, also um Programme, bei denen wir nur wenige Designer*innen auswählen und finanziell unterstützen, achten wir immer darauf, dass wir eine diverse Auswahl treffen – in Kriterien wie Geschlecht, Herkunft, Bildung usw. Wenn wir eine Show organisieren, achten wir auf ein diverses Casting. Wenn wir Menschen zu Events einladen, versuchen wir, unterschiedliche Gruppen zu erreichen. Unsere Beratungen stehen allen Designer*innen offen. Die Grundlage unserer Auswahl ist dennoch immer das Talent.

Mode ist ein unglaublich spannendes Feld. Es wirkt glamourös – aber in der Realität ist es das überhaupt nicht.

Welchen Rat würden Sie jungen Designer*innen mit auf den Weg geben?

Mode ist ein unglaublich spannendes Feld. Es wirkt glamourös – aber in der Realität ist es das überhaupt nicht. Wer ein Label gründen möchte, muss sehr motiviert und sehr geduldig sein – und sich bewusst sein, wie hart diese Arbeit ist. Es ist ein schwieriges Feld, man muss es wirklich wollen. Es gibt so viele Designer*innen und so viele Produkte. Man braucht eine gewisse Radikalität und eine sehr starke Identität. Man muss etwas entwickeln, das wirklich heraussticht – egal auf welche Weise. Wenn man „nur“ etwas macht, das es so ähnlich schon überall gibt, weiß ich nicht, ob das sinnvoll ist.


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Fotomaterial(c) Thomas Lerch

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