StartBalanceLifestyle & Art„Jede kleine Veränderung ergibt eine neue Farbe“

„Jede kleine Veränderung ergibt eine neue Farbe“

Rudolf Fritsch, einer der letzten Garn-Färber Europas, und die Designerin Antonia Maedel, Mitbegründerin der Marke rudolf Vienna, über ihre Faszination für natürlich gefärbte Stoffe und die Herausforderungen und Schönheiten, die mit deren Entstehungsprozess verbunden sind.

Rudolf Vienna zeichnet sich durch hochwertige Strickwaren aus, die im Umkreis von 150 km von Wien gefärbt und gestrickt werden. Im Gegensatz zu anderen nachhaltigen Marken hat rudolf Vienna viele Farben in seinen Kollektionen und ist sehr bunt. Wie werden diese speziell intensiven Farbtöne erreicht?

Antonia Maedel: Wenn wir uns Farbtöne ansehen, die nicht in der Natur sind, sind all diese Farbstoffe auf der Grundlage von Erdölderivaten entstanden. Die Farbtöne bei rudolf Vienna sind rein natürlich und werden aus Pflanzen gewonnen, deshalb ist das Erscheinungsbild so außergewöhnlich.

Rudolf Vienna hat sich auf pflanzliche Färbung spezialisiert?

Antonia Maedel: Ja, wir färben unsere Garne ausschließlich pflanzlich. Nur der starke Farbton Rot kann nicht mit Pflanzenfarben gefärbt werden. Hier ist die Grundlage Cochenille, eine Schildlaus, die auch für das Färben von Lebensmitteln oder Kosmetik verwendet wird, wie zum Beispiel bei rotem Lippenstift. Wir kreieren eine Kollektion pro Jahr, und da erarbeiten wir auch neue Farben.

Wie sind Sie auf das Thema Naturfärbung gestoßen, Herr Fritsch?

Rudolf Fritsch: Ich habe vor 20 Jahren angefangen, mich mit Naturfarben zu beschäftigen. Ich habe auf einer Alm in Vorarlberg einen Färber besucht, der die schönsten Farben rein pflanzlich erzielt hat. Bei Naturfärbung ist es schwieriger, die Lichtechtheit und Waschechtheit zu erreichen. Dazu muss man viel ausprobieren und forschen. Aber unsere Naturfarben sind alle wasch- und lichtecht. Die Färberei Fritsch gibt es schon seit den Fünfzigerjahren, und als wir vor circa fünfzehn Jahren mit den Naturfarben auf den Markt gekommen sind, sind wir zwar auf großes Interesse gestoßen, aber es wurde nicht angenommen, weil es den Kund:innen zu teuer war. Wir verkaufen jetzt nur noch unsere eigenen, fertig gefärbten Garne und machen kaum noch Lohnfärbung.

Wie kann man so viele verschiedene Farbtöne erzielen?

Antonia Maedel: Generell ist es bei Pflanzenstoffen so, dass sich durch ein und dieselbe Pflanze viele verschiedene Farbtöne ergeben können. Das hat mit Temperatur, Dauer, pH-Wert und vielen anderen Faktoren zu tun. An der Entwicklung der richtigen Rezeptur für die breite Farbpalette wurde und wird lange gearbeitet.

Rudolf Fritsch: Diese Parameter beeinflussen die Farbe. Eine kleine Veränderung ergibt eine ganz andere Farbe. Mit Naturfarben sind dadurch unendlich viele Farben zu erzielen. Das hat mich fasziniert. Wie lange dauert eine Naturfärbung?

Antonia Maedel: Das kommt auf das Material an. Baumwolle zum Beispiel hat den höchsten Wasserverbrauch, auch im Färbeprozess, und braucht besonders lange, bis es gefärbt ist. Das ist also eine Faser, die in ihrem gesamten Lebenszyklus am meisten Wasser verbraucht. Alle Cellulosefasern wie Baumwolle, Kunstseide oder Viskose sind am schwierigsten zu färben. Am leichtesten zu färben ist Wolle.

Wie verhält sich die Naturfärbung zur industriellen Färbung preislich?

Rudolf Fritsch: Natürlich ist es teurer. Zum Beispiel kostet eine synthetische Färbung von einem Kilo Baumwolle oder Polyester zwischen sechs bis zehn Euro. Bei Naturfärbung muss man mit zehn bis fünfzehn Euro mehr rechnen.

Antonia Maedel: Es ist schon teurer, weil schon allein die Farbstoffe teurer sind. Wir verwenden die feinsten und hochwertigsten Materialien wie Merinobaumwolle, und auch bei den Rohstoffen für die Färbung verwenden wir ausschließlich lokale Pflanzen. Das ist natürlich kostspieliger.

Wie wird die Farbe fixiert?

Antonia Maedel: Das ist unser großes Firmengeheimnis. Die Farbe auf den Stoff zu bringen ist nicht schwer, aber sie darauf haltbar zu machen, ist sehr schwierig. Herr Fritsch hat sehr lange recherchiert und ist meines Wissens der Einzige weltweit, der so eine große Bandbreite an Naturfarben anbieten kann. In den letzten Jahren ist ein regelrechter Boom entstanden, auf einen umweltfreundlichen Färbeprozess umzusteigen. Es gibt sehr viele, die das wollen, aber nur sehr wenige, die das können.

Rudolf Fritsch: Und das nächste Problem ist, dass keiner dafür bezahlen möchte. Jeder will grün sein und Zertifikate haben, aber es darf nichts kosten. Wir könnten jetzt natürlich sagen, dass die Färbereien in Fernost alles kaputtmachen, inklusive der Preise, aber wir haben ihnen beigebracht billig zu produzieren. Jedes große Kleidungsunternehmen, das in Asien produzieren lässt, will es noch billiger haben. Und wir als Endverbraucher:innen kaufen diese Billigstkleidung.

Wird sich durch das EU-Lieferketten-Gesetz etwas im Hinblick auf Transparenz in der Produktion ändern?

Rudolf Fritsch: Ein Gesetz ist nur so gut wie seine Kontrolle. Es gibt so viele Zertifikate, die sich Firmen einfach kaufen können und die nur sehr lückenhaft kontrolliert werden oder durch angekündigte Audits stattfinden. Die Umweltauflagen für unsere Färberei sind so hoch und wir werden sehr engmaschig kontrolliert, dass wir mitten in Wien produzieren können und die wenigsten wissen, dass es hier überhaupt eine Färberei gibt. Den Kund:innen reicht oft, wenn sie auf einer Textilie ein Bio-Zertifikat sehen, und sie kaufen es dann, obwohl ein T-Shirt zum Beispiel nur 3,50 Euro kostet. Jeder weiß, dass sich dieser Preis nicht ausgehen kann. Aber es ist ja ein Zertifikat drauf. So funktioniert Greenwashing, und die Zertifikate sind dabei unser größtes Problem.

STAY CONNECTED